Das KZ Gusen kurz nach der Befreiung

Foto: Mauthausen Memorial

Granit und Tod: der Appellplatz des ehemaligen KZ Gusen heute. Das Areal und andere zentrale Orte des größten Konzentrationslagers Österreichs wurden von der Republik nun gekauft.

Foto: KZ-Gedenkstätte Mauthausen/Bernhard Mühleder

Über vieles ist heute in St. Georgen an der Gusen Gras gewachsen. Bedeckt scheint auf den ersten Blick, was einst von KZ-Häftlingen als "Hölle aller Höllen" bezeichnet wurde. Für einen zweiten Blick im Sinne eines "Nie wieder" soll nun eine Neuausrichtung der Gedenkstätte sorgen.

STANDARD: Das offizielle Nachkriegsösterreich hat das Gedenken nach Mauthausen verlegt, Gusen trotz seiner 44.000 Toten war kaum in der gesellschaftlichen Wahrnehmung präsent. Sehen Sie mit dem Ankauf die große Gedenk-Trendwende?

Gammer: Nein. Eine Trendwende in der Erinnerung gibt es nur durch neue Forschungsergebnisse, und diese stehen vor allem zu Gusen II, dem 1944 gegründeten sogenannten "Judenlager", noch aus. Aber es gab ja auch keine ordentliche fachliche Untersuchung der Stollenanlage Bergkristall, bevor diese durch eine Tunnelbau-Spezialfirma zubetoniert wurde. Man hat versucht, die Geschichte einfach zuzuschütten.

STANDARD: Ist es nicht auch ein Armutszeugnis für die Gedenkkultur, dass die Republik erst 76 Jahre nach der Befreiung aktiv wird?

Gammer: Für die Opferfamilien war das Negieren von Gusen entsetzlich und unverständlich. Wir standen allein da in Gusen, wenn ein Bus kam, als Privatleute, hörten den Überlebenden zu. Zusammen mit den Überlebenden feiern wir seit 1995 jedes Jahr eine Gedenkfeier.

STANDARD: Hätte es diesen Ankauf ohne den massiven Druck etwa aus dem Ausland – Opferschutzverbände, polnische Regierung – gegeben?

Gammer: Wohl eher nicht. Wer dachte schon an Gusen? Weder die Historie noch die Politik. Für die Polen ist Gusen hingegen einer der fünf KZ-Orte der "Vernichtung der polnischen Intelligenz".

STANDARD: Wie kann ein würdiges Gedenken inmitten einer Marktgemeinde harmonisch funktionieren? Es gab schon jetzt immer wieder Beschwerden. Das Memorial grenzt unmittelbar an Gärten – die einen gedenken, die anderen grillen. Sind da nicht Konflikte vorprogrammiert?

Gammer: Wir müssen lernen, Rücksicht zu nehmen. Man muss nicht laut sein während einer Gedenkfeier, und man muss nicht auf eine private Gartenmauer steigen, um den Steinbrecher wenigstens aus der Ferne fotografieren zu können. Beides ist vorgekommen. Wenn jetzt ein näherer Zutritt zu diesen Gedenkorten möglich sein wird, könnten sich die Interessenkonflikte etwas auflösen. Man darf nicht vergessen, man konnte zu diesen Todesteilen nie hingelangen. Das Interesse der nachfolgenden Generationen war oft unbefriedigt. (Markus Rohrhofer, 10.5.2021)