Wo einst Gefangene ermordet wurden, leben heute Menschen und gehen ihrem Alltag nach.

Foto: Thomas Neuhold

4.000 Einwohner zählt die kleine Mühlviertler Marktgemeinde St. Georgen an der Gusen, 2.502 Einwohner leben in der Nachbargemeinde Langenstein. Zwei Orte, die eines eint: Man lebt hier auf geschichtlich schwer belastetem Boden. Zentrale Teile des ehemaligen KZ Gusen befanden sich dort, wo heute schmucke Einfamilienhäuser stehen. Anders als beim ehemaligen KZ Mauthausen sind die Gusen-Überreste nicht abgelegen, sondern werden zu einem großen Teil von gewachsenen Siedlungs- und Gewerbestrukturen überlagert. Einige Wege und Kanalführungen folgen heute noch dem historischen Verlauf der Wege im Lager. Wo einst Gefangene ermordet wurden, leben heute Menschen und gehen ihrem Alltag nach.

Steiniger Weg

Mit der jüngsten Entscheidung der Republik, den Eingang zum Stollensystem Bergkristall in St. Georgen, zwei ehemalige SS-Verwaltungsbaracken, den Steinbrecher und den Appellplatz in Langenstein zu kaufen, offenbart sich nun 76 Jahre nach der Befreiung erstmals die konkrete Chance, eine zeitgemäße, der historischen Dimension dieses Lagers entsprechende Gedenkstätte zu errichten.

Der Weg zu diesem Ziel wird aber, vor allem auch angesichts der örtlichen Gegebenheiten, wohl kein leichter sein. Barbara Glück – Leiterin der KZ-Gedenkstätte Mauthausen und damit auch für das Areal in Gusen verantwortlich – zeigt sich im Standard-Gespräch dennoch optimistisch: "Dieser Prozess ist eine große Herausforderung und Chance zugleich. Ja, natürlich, die Einbindung aller regionaler, nationaler und internationaler Interessen kann mitunter fordernd werden, sie werden aber allesamt fördernd für die weitere Entwicklung dieses Ortes sein."

"Wichtiger als das Ereignis selbst"

Dieser Prozess sei entscheidend für die Zukunft von Gusen. Glück: "Er ist vielleicht wichtiger als das Ergebnis selbst, weil er die Garantie sein wird, dass die neue Gedenkstätte von uns allen mitgetragen und mit Leben erfüllt wird." Offen ist im Moment noch, ob das derzeit vorhandene Areal so bleiben oder es eine komplette Neugestaltung geben wird. Glück: "Wie dieser Ort weiterentwickelt wird, werden wir in der nächsten Zeit gemeinsam überlegen, diskutieren und gestalten. Fest steht für mich, wir müssen zeitgemäße ,Sehhilfen‘ schaffen, die es uns allen heute ermöglichen, mit dem Blick zurück für unser heutiges Leben etwas mitzunehmen. Unsere Sehhilfen sollen und werden einen Mehrwert für die Gesellschaft anbieten."

Man sei sich aber sehr wohl bewusst, dass man "gerade in Gusen einen neuen Weg aktiver, lebendiger und nachhaltig gelebter Gedenkarbeit" gehen wird müssen.

"Die Arbeit in Gusen ist schon seit einiger Zeit einer unserer Schwerpunkte. So wird in Kürze eine progressive Web-App präsentiert, die noch vorhandene Spuren dieses Lagers in der gesamten Region dokumentiert und historisch kontextualisiert", erläutert die Gedenkstätten-Leiterin. (Markus Rohrhofer, 10.5.2021)