Gainfarn bei Bad Vöslau ist für Fossiliensammler wie Gerhard Wanzenböck ein Dorado.

Foto: Regine Hendrich

Ein bräunlicher Stein in einer Felswand, nichts Besonderes, könnte man meinen. Tatsächlich war der vermeintliche Stein Teil einer wissenschaftlichen Sensation: Das 2012 in einem Steinbruch im steirischen Retznei entdeckte fossile Gerippe einer Seekuh ging kürzlich durch die Medien als erster gesicherter Nachweis, dass Tigerhaie schon vor etwa 15 Millionen Jahren Seekühe gejagt haben – in jenem tropischen Meer, das damals Teile des heutigen Österreichs bedeckte. Gemeinsam mit dem Skelett waren auch sieben Haizähne gefunden worden, wissenschaftlich aufgearbeitet hat den Fund die Paläontologin Iris Feichtinger vom Naturhistorischen Museum. Sie sagt: "Die Zähne stimmen mit den Bissspuren auf den Knochen direkt überein, damit haben wir hier die erste klare Identifizierung des Räuber-Beute-Verhaltens."

Gerhard Wanzenböck mit dem Zahn eines Riesenraubhais.
Foto: Regine Hendrich

Stolzer Finder der Seekuh ist der Bad Vöslauer Hobbypaläontologe Gerhard Wanzenböck, den in der Branche "jeder kennt", so Feichtinger. Sie hat Wanzenböck vor Jahren über die Österreichische Paläontologische Gesellschaft (ÖPG) kennengelernt und lobt seine Expertise und Sammlung, die einen Besuch wert sei: "Ohne Privatsammler wie ihn wären wir wirklich aufgeschmissen, nur die haben das Engagement und die Zeit, ins Gelände zu gehen und auch neue Aufschlüsse zu finden."

Im Sammlerreich

Also auf nach Bad Vöslau, wo der Sammler inmitten eines blühenden Gartens lebt, mit Teich, Katze und einem Haus voller Versteinerungen. Wanzenböck ist kein trockener, auf sein Spezialgebiet fixierter Nerd, eher wirkt er, als sei er jeder Herausforderung gewachsen: Er baut verunglückten Enteneltern im Gartenteich ein Floß, konstruiert Wasserfälle aus Bauschutt, hat sich sogar im Wohnzimmer einen Goldfischteich gemauert. Seinen Vater unterstützt er bei der bei der Nymphensittich- und Goldfasan-Haltung, und er sammelt mit großem Fachwissen historische Ziegelsteine vom Wienerberg.

Außerdem lehrt er Volksschulkinder die Begeisterung für Gesteinsbrocken, organisiert Sammlungsexkursionen für Studierende der Paläontologie, ist mit Wissenschafterinnen und Wissenschaftern von Neuseeland bis Florida auf Du und Du und birgt immer wieder aufsehenerregende Fossilienfunde. Und er sucht immer den Austausch mit wissenschaftlichen Institutionen und Fachleuten. Die gebissene Seekuh war nur die jüngste Mediensensation. Ein paar Jahre zuvor hatte Wanzenböck die Überreste einer anderen Seekuh gefunden, die inzwischen ihre letzte Ruhestätte im Stadtmuseum Bad Vöslau gefunden und nach ihrem Fundort Lindenberg den Kosenamen "Linda" bekommen hat. Außerdem wird demnächst ein von ihm gefundener und präparierter Schädel eines Speernasen-Zahnwals wohl ähnliche Aufmerksamkeit unter Fossilienbegeisterten wecken, da die Spezies für die Gegend noch nie wissenschaftlich beschrieben wurde.

Dabei ist Wanzenböck, aufgewachsen im Bad Vöslauer Stadtteil Gainfarn, kein studierter Paläontologe, sondern Feuerwehrmann – wie auch sein Bruder, der Vater, der Großvater und davor der Urgroßvater Wanzenböck. Der 24-Stunden-Takt seines Berufs erlaubt ihm, jeden zweiten Tag einem seiner vielen kleineren Interessen zu widmen – oder dem ganz großen, der Zeit vor etwa 14 bis 12,8 Millionen Jahren. Damals war Gainfarn eine Meeresbucht, heute ist die Gegend für ihre Fossilienfunde weltberühmt. Die ersten Spuren fand er vor über 40 Jahren, als er als Bub im Nebenerwerbsweingarten der Familie Steine klauben musste und einen Brocken mit einem fossilen Ammoniten entdeckte. Sein Bioprofessor borgte dem begeisterten Kind Fachliteratur, die Fahrradausflüge des kleinen Gerhard waren fortan den Muscheln, Schnecken und Seeigeln der Gainfarner Bucht gewidmet, dem Grundstock seiner Sammlung.

Ein Krokodil als Traum

Ein Gespräch mit Wanzenböck ist eine Achterbahnfahrt, lehrreich wie eine fundierte Sachunterrichtsstunde, dann wieder sanft mahnend, dass beim Sammeln unbedingt das Einverständnis des Grundbesitzers einzuholen ist und Steinbrüche ohne Betretungserlaubnis ohnehin tabu seien. Er beklagt den Mangel an Nachwuchs bei Fossilienbegeisterten und erzählt von seinem Kindheitstraum, einen fossilen Krokodilschädel zu finden.

Zwischendurch erläutert er den Untergang der minoischen Kultur als Folge eines Vulkanausbruchs und erzählt von futuristischen Konzepten für Unterwasserstädte als alternative Lebensform in der Klimakatastrophe. Offenbar macht das Hantieren mit solch gewaltigen Zeiträumen abgeklärt in Bezug auf jüngere klimatische Entwicklungen: "Wenn wir weiterhin Tierarten ausrotten, unsere Lebensgrundlage zerstören, werden wir irgendwann weg sein, und dann kommt wieder etwas anderes, Neues. Das dauert halt wieder ein paar Millionen Jahre, aber das ist ja der Erde komplett wurscht." Angesichts der fossilen Kegelschnecken aus Wanzenböcks Sammlung, die beweisen, dass ein evolutionär bewährtes Konzept gern einige Dutzend Millionen Jahre baugleich bleibt, ist das ein unerwartet handfester Gedanke. (Magdalena Miedl, 11.5.2021)
Hinweis: In der ersten Version war als Fundort der Seekuh Retznau, nicht Retznei angegeben. Der Tippfehler wurde korrigiert.