Der frühere Nationalratspräsident Andreas Khol übt in seinem Gastkommentar scharfe Kritik an der derzeitigen Ausformung der Untersuchungsausschüsse. Er sieht schwere Mängel und mahnt eine Reform ein.

Der Ibiza-Untersuchungsausschuss wirft eine Reihe von Problemen auf. Sie bilden den Mittelpunkt hitziger Polemiken. Für die einen legitime Speerspitze der Oppositionsarbeit, für die anderen eine unsachliche Themenverfehlung und missbräuchliche Instrumentalisierung. Die Debatte läuft nach einem archaischen Freund-Feind-Muster quer durch Medien, Politik und Sachkundige. Große Teile der Öffentlichkeit wenden sich verärgert ab. Das Parlament wird beschädigt und beschädigt sich selbst.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) und die Opposition: Im und über den Ibiza-U-Ausschuss wird heftig gestritten.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Wenn nun der Präsident des Nationalrats und zugleich kraft Gesetzes Vorsitzende des Untersuchungsausschusses einige der Probleme öffentlich zur Diskussion stellt und dabei sogar seine eigene Position infrage stellt (Wer tut das schon?), so ist dies sicher kein Spiel mit dem Feuer, wie es an dieser Stelle die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) formuliert hat. Man kann über die Sinnhaftigkeit seiner Vorschläge geteilter Meinung sein, aber es geht dabei jedenfalls um eine berechtigte Diskussion. In dieser aufgeheizten Stimmung ist Weisheit, nicht Brandbeschleunigung gefragt.

Dieser U-Ausschuss findet unter außergewöhnlichen Umständen statt. Die "Normalsituation" wäre: Eine parlamentarische Minderheit verlangt die Feststellung, wer für einen abgeschlossenen Vorgang politisch verantwortlich ist; die in der Regel angegriffene Regierung verfügt über eine Mehrheit im Parlament und im Ausschuss. Sie bestimmt die Art der Untersuchung mit. Konsens in Verfahrensfragen ist die Regel. Die gegenwärtige Situation ist grundverschieden: Eine parlamentarische Mehrheit aus Opposition und einer Regierungspartei führt den Angriff, die verteidigende Kanzlerpartei stellt den Vorsitz, hat aber keine Mehrheit hinter sich. Die Balance zwischen Rechten der Mehrheit und der Minderheit, wie sie der Verfahrensordnung zugrunde liegt, ist ausgehebelt. Das ist einmalig.

Nur behauptet

In der bisherigen Tätigkeit des U-Ausschusses haben sich mehrere Probleme gezeigt, die in Ruhe aufgearbeitet werden müssen. Im Folgenden einige Hauptpunkte, es gäbe mehr:

Wie kann durchgesetzt werden, dass, wie in der Verfassung vorgesehen, ein abgeschlossener Vorgang überprüft wird? Im U-Ausschuss stehen zumindest vier Vorgänge in Überprüfung, manche sind nicht abgeschlossen, andere nur behauptet, nicht bewiesen. Der U-Ausschuss dient dann der nachsuchenden Sachverhaltsfeststellung und nimmt damit gerichtliche Aufgaben wahr.

Das Selbstverständnis des U-Ausschusses steht einmal mehr im Zentrum: Parlamentarisches Organ, bestimmt von Mehrheit/Minderheit, wie es die Verfassung vorsieht, oder Tribunalisierung, also Vorgehen wie ein Strafgericht? Befangene Abgeordnete oder unbefangene Richter? Auskunftspersonen oder Zeugen?

Beispielloser Vorgang

Die Beachtung der Grundrechte durch den U-Ausschuss. Es ist ein beispielloser Vorgang, wenn eine geladene Auskunftsperson schon vorher von einem Ausschussmitglied bei der Staatsanwaltschaft angezeigt wird, von seinem Status als Beschuldigter aber erst im U-Ausschuss von der Verfahrensrichterin erfährt (also nicht von der Anzeigerin oder der ermittelnden Staatsanwaltschaft).

Noch unerhörter ist, dass die Mehrheit im U-Ausschuss gegen die Rechtsansicht der beiden unabhängigen Verfahrensrichter und des Präsidenten beschließt, dass der Beschuldigte dennoch aussagen muss, um ihm dann vorzuwerfen, dass er von seinem Entschlagungsrecht Gebrauch macht. Die Europäische Menschenrechtskonvention muss auch für den U-Ausschuss gelten. Rechtsschutz gegen eine willkürliche Mehrheit ist unabdingbar.

"Kein gewähltes Ausschussmitglied ist unbefangen."

Zum Vorsitz: Politiker oder Richter? Kein gewähltes Ausschussmitglied ist unbefangen. Die einen verteidigen, die anderen greifen an. Der Präsident des Nationalrats handhabt lediglich die Verfahrensordnung, richtig oder falsch, und steht nicht außerhalb des oder über dem U-Ausschuss, ist kein Richter.

In einer polarisierten Lage wird jeder Vorsitzende der ungerechten Sitzungsführung beschuldigt, selbst wenn er stets den Empfehlungen des Verfahrensrichters folgt. Das war immer so. In manchen Verfahrensordnungen für Untersuchungsausschüsse von österreichischen Landtagen sind Richter als Vorsitzende vorgesehen – die Erfahrungen damit sind gut. Einen solchen Vorschlag als Spiel mit dem Feuer zu bezeichnen ist töricht.

Persönliche Bloßstellung

Die Aktenvorlage im Zeitalter der Digitalisierung wirft riesige Probleme auf. Wer trifft die Entscheidung, dass ein konkretes Schriftstück vorzulegen ist? Wer entscheidet, was dem Untersuchungsgegenstand entspricht, wenn dieser so weit gefasst ist, dass in Wirklichkeit eine Gesamttätigkeit eines Ministeriums in einem bestimmten Zeitraum erfasst wird?

Wenn der Verfassungsgerichtshof entschieden hat: "alles, was abstrakt relevant sein könnte", so wirft dies mehr Probleme auf, als es Entscheidungshilfe bietet.

Wie ist mit elektronischen Geräten vorzugehen? Gelten die Regeln des Schutzes der Persönlichkeitsrechte der Verfassung und des europäischen Rechts für den Ausschuss nicht? Sind die jedem Menschen angeborenen Grundrechte bei Politikern wirklich vor Mehrheitsbeschlüssen von Abgeordneten nicht geschützt? Wo bleibt der Rechtsschutz vor der modernen Inquisition? Und zuletzt: Wer immer dafür auch verantwortlich ist, ich will hier nicht urteilen. Aber es ist unerträglich, dass systematisch geheime Einzelheiten aus behördlichen Akten und elektronischen Geräten den Medien zugespielt werden. Nichts, weder die bekannte und verbreitete Öffentlichkeitsarbeit, die persönliche Bloßstellung von Personen des öffentlichen Interesses oder die politische Steuerung der öffentlichen Meinung, kann diese schändlichen Eingriffe in die Rechtssphäre eines Menschen, wer auch immer er ist, rechtfertigen.

Der Beratungs- und Handlungsbedarf ist unbestritten. Sobald sich der Wirbel gelegt hat, muss diese Aufgabe im Interesse unserer Demokratie angepackt und gelöst werden. (Andreas Khol, 11.5.2021)