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Solarkraftwerke wie dieses in Kalifornien sollten Afrika und Europa mit Strom versorgen. Doch so weit kam es nicht.

Foto: Reuters/Mike Blake

Ein kleines rotes Quadrat hätte die Welt retten sollen. Als der deutsche Physiker Gerhard Knies Anfang der Nullerjahre durch die Welt reiste, um Industrie, Politik und Öffentlichkeit von seiner Idee zu überzeugen, soll er die Grafik immer wieder präsentiert haben, später geisterte sie durch das Internet. Etwa 100 mal 100 Kilometer hätte das Quadrat in der Realität gemessen, auf der Karte eingezeichnet ist es in der nordafrikanischen Sahara-Wüste. Dieser kleine Farbklecks auf dem Globus würde reichen, um die ganze Welt mit sauberer Energie zu versorgen – das war das große Versprechen von Knies und dem Projekt Desertec.

Die Idee war einfach wie genial: In der gesamten Sahara trifft in wenigen Stunden so viel Energie auf, wie die gesamte Erde in einem Jahr verbraucht. Solarthermische Kraftwerke könnten das Sonnenlicht ernten und Europa günstigen und klimafreundlichen Strom bescheren. Das noch dazu in einem Gebiet, wo nichts wächst, kaum jemand wohnt und sich deshalb – im Gegensatz zu Mitteleuropa – an riesigen Sonnenkraftwerken stören könnte. Quasi nebenbei könne man dazu auch Nordafrika zum Aufschwung verhelfen. Die Industrie war begeistert. Der damalige Siemens-Chef Peter Löscher sprach bei der Gründung der Desertec-Industrieinitiative DII gar vom "Apollo-Projekt des 21. Jahrhunderts".

Eine Grafik, die um die Welt ging: Ein Quadrat mit einer Seitenlänge von wenigen Hundert Kilometern könnte die Welt mit Strom versorgen.

Mehr als zehn Jahre später gibt es das Megakraftwerk in der Wüste immer noch nicht. Die DII hat sich zerstritten, mehrere Großunternehmen stiegen aus. Der Projektvater Gerhard Knies ist inzwischen verstorben. In der Sahara scheint die Sonne tagtäglich immer noch ungenutzt auf den Wüstenboden, statt auf Kraftwerke, im Mittelmeer liegen keine Leitungen, die Wüstenstrom in europäische Steckdosen bringen könnten. Ist das Megaprojekt tot?

"Vieles ist blöd gelaufen", sagt Andreas Huber, Direktor der Desertec Foundation, heute. Zwischen der gemeinnützigen, damals beim Club of Rome angesiedelten Desertec Foundation und dem Industriekonsortium DII kriselte es bald. Schon beim Namen war man sich uneinig: Die Abkürzung DII sollte für Desertec Industrial Initiative stehen, wäre da nicht ein Markenstreit entbrannt. Die DII wollte den Namen "Desertec" für sich beanspruchen, die Foundation aber nur einzelne Projekte mit dem Label versehen.

Kolonialer Beigeschmack

Das große Interesse der Industrie habe sich auch in der Öffentlichkeit vom Segen zum Fluch entwickelt. Huber erinnert sich, wie das Projekt 2008 den Utopia-Nachhaltigkeitspreis verliehen bekam. "Ein Jahr später, als die Industrie mit an Bord war, waren wir dort plötzlich die Buhmänner", sagt Huber. Zwischen der Foundation und dem mittlerweile in Dubai angesiedelten Industriekonsortium herrscht nun weitgehend Funkstille.

Auch den neokolonialen Beigeschmack wurde das Projekt nie ganz los. Wenn weiße Europäer das Lineal auf Afrikas Landkarte auflegen, schrillen bei vielen die Alarmglocken – auch wenn es nur rote Quadrate sind. Der aus Algerien stammende Aktivist und Gründer der Organisation Environmental Justice North Africa beobachtet und kommentiert das Projekt schon seit Jahren kritisch. Desertec funktioniere nach einem "kolonialen Schema", schreibt er in einem seiner Blogeinträge. Es gehe einzig um den "uneingeschränkten Fluss billiger natürlicher Ressourcen vom Globalen Süden in den reichen industrialisierten Norden". Projekte wie Desertec sieht er als "apolitischen Techno-Fix", der nichts an den sozialen Verhältnissen ändere.

Huber kennt diese Argumente nur allzu gut. In der Öffentlichkeit wurde Desertec seiner Meinung nach oft falsch wahrgenommen. "Es war nie ein europäisches Projekt", sagt er. Ziel war stets, zunächst Nordafrika mit grünem Strom zu versorgen und nur die Überschüsse nach Europa zu exportieren. Das rote Quadrat war nicht als Bauplan für ein einzelnes gigantisches Kraftwerk zu verstehen, sondern sollte nur das Potenzial der Wüste als Energiequelle illustrieren. Den Markennamen wollte man auch deshalb nicht aus der Hand geben, um ausschließlich sozial verträgliche und ökologische Projekte mit dem Namen zu zertifizieren.

Mehr Niederschlag

Auch Paul von Son, Geschäftsführer der DII, hatte "Bauchweh" dabei, wie die Bewegung anfangs oft als "europäisches Kraftwerk in Afrika" verkauft wurde. "Dabei macht es gar keinen Sinn, aus einem noch fossil dominierten Markt erneuerbare Energie zu exportieren", sagt er. Die Industrieinitiative will Nordafrika und Nahost mit "Desertec 3.0" zum "Powerhouse der Welt" machen. Erst nachdem der lokale Markt versorgt ist, soll der Rest in Form von Wasserstoff exportiert werden. Dass ausländische Investoren mitmischen, ist für von Son "eine gesunde Sache". Im Gegensatz zum endlichen Öl und Gas geht der Rohstoff Sonne jeden Tag wieder auf. "Und bislang ging alles praktisch verloren", sagt der Niederländer.

Ein Solarkraftwerk von gigantischer Größe könnte auch das Klima verändern – und zwar nicht nur aufgrund der eingesparten CO2-Emissionen. Denn die Anlagen wandeln nur einen kleinen Teil der einfallenden Sonnenstrahlung in elektrischen Strom um. Der große Rest wird von der Oberfläche geschluckt und als Wärme abgegeben. Das verändert die Luftzirkulation. In der Umgebung von großflächigen Wüstenkraftwerken könnte deshalb um rund 50 Prozent mehr Niederschlag fallen, was auch die Landwirtschaft begünstigen würde. Das hat ein Team aus Forscherinnen und Forschern 2018 berechnet.

Ende des vergangenen Jahres bestätigte ein weiteres wissenschaftliches Paper die klimatischen Auswirkungen der Megasolarparks. Wären rund 20 Prozent der Sahara mit Solaranlagen bedeckt, könnte es dort um rund 1,5 Grad wärmer werden. Ein Teil der Hitze würde sich allerdings rund um den Globus verteilen und die Erde um etwa 0,16 Grad wärmer machen. Auch der zusätzliche Niederschlag wird aus anderen Erdregionen abgezogen. Etwa die gleiche Menge an zusätzlichem Regen, der aufgrund der Oberflächenverdunklung über die Sahara niedergeht, würde im Amazonas-Gebiet verlorengehen.

Von Son sieht solche Berechnungen gelassen. Die in der Studie angenommenen 20 Prozent seien utopisch. Für den weltweiten Energieverbrauch würde es reichen, wenn acht Prozent der Wüstenfläche bedeckt wären, realistisch sind weit weniger – auch weil die Technologie immer effizienter werde. Als die Desertec-Idee aufkam, rechnete man mit Produktionskosten von fünf Cent pro Kilowattstunde, jetzt sei man bei Solarparks bei unter einem Cent, was sehr viel günstiger sei als jedes Kohlekraftwerk.

Weitgehend unabhängig von der Initiative baut etwa Marokko jetzt selbst gigantische Solarkraftwerke, bis 2030 soll die Hälfte des Stroms dort aus der Wüste kommen. "Desertec war seiner Zeit voraus", sagt Huber, die Vision werde nun aber trotzdem umgesetzt. "Ob das unter Desertec läuft oder nicht, ist eigentlich egal." (Philip Pramer, 14.5.2021)