"A schöne Leich!" – Mit dieser Bezeichnung beschreibt man in Wien eine aufwendig betriebene Begräbniskultur, für die man in der Stadt schon seit langem eine besondere Neigung haben will. Bei den stets dynastisch selbstbewusst auftretenden Habsburgern und ihrer auf verschiedenen medialen Ebenen gestalteten Repräsentation spielte diese zweifelsohne eine wichtige Rolle. Heute denkt man dabei zuerst an die Kapuzinergruft und die Herzerlgruft, doch waren Tod und habsburgisches Gedenken in der frühneuzeitlichen Residenzstadt nicht auf exklusive, abgeschlossene Räume begrenzt: Sie wurden öffentlich gemacht, zelebriert und drangen in das städtische Leben ein.

Schmiede und Tuchhändler beten für den Kaiser

Dank der medialen Berichterstattung durch das "Wiennerische Diarium" konnten Krankheit, Ableben und die Trauerfeierlichkeiten für Kaiser Joseph I. im Frühjahr 1711 von der zeitunglesenden Öffentlichkeit genau mitverfolgt werden. Man berichtete über den kritischen Gesundheitszustand des an den Pocken erkrankten Kaisers und über das kollektive Gebet für seine Genesung, zu welchem auch die Wiener Bürgerschaft mobilisiert worden war. Nach einer genau festgelegten Ordnung wechselten sich stündlich Geistlichkeit, Bruderschaften und die Zünfte im vierzigstündigen Gebet im Stephansdom ab. Doch der Gebetsmarathon blieb unerhört. Der junge Kaiser verstarb am Morgen des 17. April.

Die Pockenerkrankung machte die Aufbahrung seines Leichnams unmöglich, bei der dreitägigen öffentlichen Exposition in der schwarz ausgeschlagenen Ritterstube in der Hofburg blieb sein Sarg bedeckt. Die Ausstellung des verstorbenen Habsburgers umgeben von den Insignien seiner Herrschaft war ein wichtiger Akt dynastisch-herrschaftlicher Repräsentation, zu dem üblicherweise allen – "Adelichs vnd gemaine Leuth" – Zugang gewährt wurde. Es bot den Wienerinnen und Wienern auch die einzigartige Gelegenheit, die kaiserliche Residenz zu betreten – wenn auch nur einen der äußeren, öffentlicheren Räume – und der Andrang zur Beschau des kaiserlichen Leichnams war stets groß: "Zu Verhüettung deß überflüssigen eintringenß" mussten bei der Aufbahrung Kaiserin Margarita Teresas 1673 zusätzliche Wachen postiert werden, beim Ableben Ferdinands III. habe dem Apostolischen Nuntius zufolge ein "reger Zufluss" an trauernden Männern und Frauen "geradezu ganz Wien" an das Totenbett des Kaisers geführt.

Aufbahrungsbildnis Kaiser Ferdinands II., 1637, Kupferstich von Tobias Bidenharter.
Foto: Public domain

Die ganze Stadt auf den Beinen

Nach der Aufbahrung folgte der Trauerzug zur Beisetzung, der je nach Begräbnisort überregional (zum Beispiel 1565 Ferdinand I. nach Prag), meist aber innerhalb der Stadt und begleitet durch den Stadtrat, vorwiegend zur Kapuzinerkirche, stattfand. Die Bestattungen der Eingeweide und des Herzens erfolgten getrennt zu St. Stephan beziehungsweise im Augustinerkloster. Der Leichnam der 1646 in Linz verstorbenen Kaiserin Maria Anna wurde bei ihrer Ankunft bei der Roßau vom Rat der Stadt Wien sogar offiziell – gleichsam wie zu Lebzeiten – empfangen und durch die Stadt geleitet. Der Kondukt bewegte sich über die Herrengasse nach St. Stephan und weiter über die Kärntnerstraße zur Kapuzinerkirche, deren Zugang von der Stadtwache vor dem Eindringen des "Pöbels" gesichert wurde. Von der Bevölkerung wurde die Kaiserin lautstark betrauert, wobei unter anderem "ora pro nobis Sancta Imperatrix" gerufen worden sein soll.

Trauernde "Vienna"

Den Höhepunkt der Trauerfeierlichkeiten – die dreitägigen Seelenmessen, die vom Hof in der Augustinerkirche begangen wurden – kündigte einstündiges Glockenläuten in allen Kirchen Wiens an. Für die Exequien wurden Teile des Kirchenraumes mit schwarzem Stoff und einem kunstvollen, mit Herrschafts- und Todessymbolen geschmückten Castrum Doloris für den Verstorbenen dekoriert.

Trauergerüst für Joseph I. im Stephansdom 1711, Kupferstich von Benjamin Kenckel, Ausschnitt, Albertina Wien, www.albertina.at.
Foto: Albertina

Ab dem 17. Jahrhundert veranlassten auch die Jesuiten, die Universität und schließlich auch der Stadtrat öffentlich zugängliche Exequien mit eigenen Trauergerüsten und multiplizierten das Gedächtnis so zunehmend. Sie gestalteten dabei auch die visuelle Repräsentation der Dynastie maßgeblich mit und machten sich zuweilen selbst zu einem Teil der visuellen Inszenierung. So wurde beim städtischen Castrum Doloris für Joseph I. posthume Herrscherhuldigung geschickt mit städtischer Selbstdarstellung verbunden: Verkörpert durch die trauernde, vom Helm des hohen Turms von St. Stephan bekrönte weibliche Figur der "Vienna" ließ sich Wien im Trauergerüst an prominenter Stelle auch selbst darstellen. (Veronika Decker, Markus Jeitler, 14.5.2021)