Wasserstoff soll der wichtigste Energieträger einer dekarbonisierten Industrie sein. Bleibt nur noch die Frage, wie man ihn in der erforderlichen Menge bereitstellen kann.

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Von der Stahlproduktion bis zu den Treibstoffen in der Luftfahrt: Auf die Frage, wie eine Dekarbonisierung von Industrie und Wirtschaft erreichbar wäre, lautet die Antwort sehr oft: mit Wasserstoff – wobei jedoch in vielen Fällen praxiserprobte und großflächige Lösungen noch fehlen.

Zwar wurde in den vergangenen Jahrzehnten die wissenschaftliche Basis für verschiedene Spielarten der Wasserstoffnutzung geschaffen – die Höhe der Investitionen reflektiert bisher aber kaum die große Herausforderung einer Umstellung auf diesen Energieträger.

Dass sich das nun langsam ändert, lässt sich auch an den einschlägigen Förderprogrammen auf europäischer und nationaler Ebene ablesen. In Österreich sollen bis 2030 500 Millionen Euro in die Wasserstoffambitionen der heimischen Industrie fließen.

Im Rahmen des EU-Wiederaufbaufonds, der die Konjunktur nach Corona wieder in Fahrt bringen soll, stehen allein 100 Millionen Euro für Wasserstoffprojekte zur Verfügung, wurde verlautbart. Österreich wird sich dabei an den Important Projects of Common European Interest (IPCEIs) beteiligen, die Unternehmen und Forschungsorganisationen im Wasserstoffbereich unterstützen.

Aufbau von Elektrolysekapazitäten

IPCEIs organisieren große und strategisch wichtige Innovationsvorhaben, die die ganze EU betreffen. Für Abwicklung und Betreuung der IPCEIs in Österreich wurden vom Klimaschutzministerium das Austria Wirtschaftsservice (AWS) und die Förderagentur FFG beauftragt.

Fix war bisher nur eine angestrebte Beteiligung Österreichs an IPCEIs bei den Themen Mikroelektronik und Batterien. Offenbar fand der Aufruf zu "Interessenbekundungen" für den Wasserstoffbereich genug Echo, die eine Beteiligung zulassen.

Welche Projekte und Forschungsvorhaben konkret profitieren, ist noch unbekannt. Klar ist, dass zunächst der Aufbau von Elektrolysekapazitäten im Vordergrund steht. Mit Strom aus Sonnen- und Windkraft wird dabei Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten.

Internationale Kooperation

Klar ist auch, dass in den neuen Netzwerken zu Produktion, Lagerung und Transport eine starke länderübergreifende Arbeitsteilung erforderlich ist. So hat etwa die internationale Industriekooperation H2EU+Store eben angekündigt, Kapazitäten für eine erneuerbare Produktion von Wasserstoff in der Ukraine aufzubauen. In Österreich soll die Lagerung dann in den Speichern des Betreibers RAG Austria, der ebenfalls Teil der Kooperation ist, erfolgen. Oft wird auch nahegelegt, dass die Erdölexporteure im Nahen Osten eine großangelegte Wasserstoffproduktion in Wüstengebieten forcieren könnten.

Doch die Frage ist, ob diese Art der Wasserstoffgewinnung den Energiehunger der Industrie auch nur ansatzweise wird stillen können. Immerhin wird die Lagerfähigkeit der emissionsfreien Energie durch einen relativ niedrigen Wirkungsgrad erkauft – vor allem wenn er erneut verstromt wird oder Teil von Biokraftstoffen wird.

Um die Stahlproduktion der Voest – des größte CO2-Einzelemittenten Österreichs – auf Wasserstoff umzustellen, soll so viel erneuerbare Energie notwendig sein, wie zehn Donaukraftwerke produzieren, besagen Schätzungen. In Deutschland ist die Stahlherstellung für etwa 40 Prozent der Industrieemissionen verantwortlich.

Alle Möglichkeiten ausschöpfen

Für Markus Lehner, Verfahrenstechniker an der Montanuniversität Leoben, ist klar, dass Elektrolyse allein nicht reichen wird. Es müssten alle möglichen emissionsfreien Produktionswege erforscht und ausgebaut werden – dazu zählen neben der Gewinnung aus Biomasse auch weiterhin Varianten, bei denen der Wasserstoff aus Erdgas gewonnen wird. Die bisher gängige Dampfreformierung von Erdgas zu Wasserstoffproduktion ist alles andere als emissionsfrei.

Eine Möglichkeit besteht in Carbon-Capture-and-Storage-Verfahren (CCS), bei denen man die CO2-Emissionen abscheidet und im Untergrund speichert. "In Mitteleuropa ist das allerdings kaum eine Option, weil die Risiken nicht vollständig geklärt sind und die Akzeptanz gering ist", sagt Lehner. Erst wenn das abgeschiedene CO2 in sogenannten Power-to-X-Verfahren zur Herstellung von Treibstoffen, Chemikalien oder Biogas genutzt werden kann, wäre dieser Weg hier sinnvoll.

Emissionsfreie Abscheidung aus Erdgas

Lehner selbst erforscht eine weitere Variante der emissionsfreien Abscheidung von Wasserstoff aus Erdgas – die Methanpyrolyse. "Das Methan des Erdgases wird bei hohen Temperaturen von über 1000 Grad abgespalten – in Wasserstoff und Kohlenstoff, der dann aber in fester Form vorliegt", skizziert der Forscher.

Der feste Kohlenstoff wäre etwa in Bergwerksstollen dauerhaft lagerbar. Zudem könnte er zum Rohstoff für weitere Produkte werden, etwa weiterverarbeitet zu Grafit für die Elektronik oder als Beimischung zu Zement, um auch hier CO2 zu sparen. Spezielle Kohlenstoffstrukturen können sogar für die Wasserstoffspeicherung genutzt werden.

Für die Methanpyrolyse wäre nur ein Viertel jener Energie notwendig, die für die Elektrolyse aufgewendet werden muss, hebt Lehner einen großen Vorteil hervor. Die Konzepte, die etwa ein flüssiges Kupferbad vorsehen, auf dem sich der abgesonderte Kohlenstoff ablagern kann, sind jedoch noch weit von ihrer Umsetzung in größeren Anlagen entfernt. Lehner stellt Praxisanwendungen erst nach 2030 in Aussicht.

Doch auch die Nutzung der Sonne für die Wasserspaltung muss künftig vielleicht nicht mehr den Weg über Stromerzeugung und Elektrolyse gehen. Die Fotokatalyse – eine Art künstliche Fotosynthese – könnte Sonnenenergie nutzen, um mithilfe eines Katalysators die Wassermoleküle direkt zu spalten.

Doch auch diese Variante ist heute vornehmlich in Labor- und Demomaßstäben zu sehen und ebenfalls noch weit von der praktischen Nutzung entfernt. Wasserstoff mag der Schlüssel für eine Bremsung des Klimawandels sein, Forschung und technologische Umsetzung stehen aber nach wie vor am Anfang. (Alois Pumhösel, 16.5.2021)