Jene Exponenten des Politzirkus, die die höchsten Titel tragen, sind nicht immer die Mächtigsten. Manchmal sind sie auch nur die Bauern im Schachspiel der Strippenzieher im Hintergrund, die weiter ihre Intrigen spinnen, auch wenn ihre vermeintlich machtvollen Marionetten ausgetauscht werden. Geraten die Intriganten jedoch selbst in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, haben sie einen Fehler gemacht, der ihnen ihre reale Macht kosten kann.

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Macht hat, wer eine Armee hat. Macht hat aber auch, wer im Hintergrund geschickt die Fäden ziehen kann, zeigt "Game of Thrones".
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Dieser Gedanke lässt sich in der Struktur von Weltverschwörungen wiederfinden, in abgeschwächter Variante aber durchaus auch in den realen Geflechten aus Politik, Staats- und Wirtschaftsmacht. Dass er in der vielschichtigen Fantasyserie "Game of Thrones" zum wesentlichen Erzählelement wurde, ist deshalb wohl ein kluger Schachzug.

Im Ringen um Macht inmitten einer unübersichtlichen Gegnerschar und unter bedrohlichen Umständen – Drachen, Hexen, Eiszombies – ist man besser der Einflüsterer im Hintergrund als der Anführer, dem gleich einmal der Kopf fehlt, wenn es hart auf hart kommt.

In der Serie sind es Figuren wie der Eunuch Lord Varys, Petyr Baelish, genannt Littlefinger, und zuallererst natürlich der kleinwüchsige, Wein trinkende Tyrion Lannister. Sie halten in der – vom plötzlichen Ableben von Hauptfiguren geprägten – Saga besonders lange durch, auch wenn es nicht alle in die finale Staffel schaffen.

Getreue Abbilder

Nicht zuletzt seien es die getreuen Abbilder gesellschaftlicher Räderwerke, die, verpackt in eine mittelalterliche Sagenwelt, zum Erfolg der Serie beitrügen, glaubt Rechtswissenschafter Thomas Müller von der Uni Innsbruck. In einer von ihm initiierten Online-Tagung der Universität Innsbruck finden sich Vertreter verschiedenster Wissenschaftsdisziplinen zusammen, um das Medienereignis, das ein ganzes TV-Jahrzehnt prägen sollte, aus interdisziplinärer Perspektive aufzuarbeiten.

Einer der Tagungsredner ist Jörg Schwarz vom Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie der Uni Innsbruck, zu dessen Arbeitsschwerpunkten das englische Mittelalter und die Geschichte der mittelalterlichen Herrscherhöfe gehören. Er sieht zwar in der Serie "einen von der Epoche losgelösten Mediävalismus", dennoch würden viele der gezeigten Figuren, Ereignisse und Machtkonstellationen erstaunlich konkret auf das mittelalterliche England verweisen. Und dazu kann man durchaus auch die Figur des Strippenziehers zählen, wie sie in Varys, Littlefinger und Tyrion Ausformungen findet.

"Die intriganten Berater finden ihre Entsprechung in der Geschichte, etwa in Piers Gaveston und Hugh le Despenser. Nachdem diese zu Beginn des 14. Jahrhunderts ihre höfischen Gegenparteien aus dem Feld schlugen, waren sie die faktischen Regenten Englands – unter dem eigentlichen König Edward II., der schließlich – so ein Gerücht – auf bestialische Weise ermordet worden sein soll", beschreibt Schwarz, der sich auch mit der Verarbeitung von Geschichte in populären Wissenskulturen beschäftigt. Aus seiner Sicht gebe die Serie durchaus "ein tolles Sprungbrett" in die englische Geschichte des Mittelalters ab.

Vorbild Rosenkriege

Intrigenspiele gab es auch an anderen Herrscherhöfen Europas – etwa bei den Habsburgern. Aber gerade die hohe Stellung der Günstlinge aufgrund eines politisch äußerst aktiven Hofes verbinden die gezeigten Machtkonstellationen eher mit der englischen Geschichte. "Viele der Motive sind eins zu eins den Rosenkriegen des 15. Jahrhunderts entnommen", betont der Historiker.

"Selbst die Familiennamen Stark und Lannister aus der Serie sind offenbar an die damals tatsächlich rivalisierenden Adelshäuser York und Lancaster angelehnt." Kriege an mehreren Fronten, ein König im Wahnsinn, Verschwörer, Überläufer, der Streit um legitime Erben und Herrscherkinder, die für tot gehalten werden – alles das findet man in dieser Zeit, was übrigens auch ausführlich in den Historiendramen William Shakespeares verarbeitet wurde.

Für Schwarz gibt es auch noch für einen zweiten Abschnitt des englischen Mittelalters eine ausführliche Entsprechung in der Serie – jenen der normannischen Eroberung im 11. Jahrhundert. Der Machtkampf zwischen Harald Godwinson, dem letzten angelsächsischen König, und dem Normannenherzog Wilhelm, der 1066 schließlich in der Schlacht bei Hastings mündete, hält viele der Motive bereit, die auch im Serienepos abgebildet sind – von Bruderkämpfen und Geiselnahmen bis zu Thronanwärtern, die von ihren Machtansprüchen jeweils vollkommen überzeugt sind.

Mittelalter-Patchwork

Wilhelm erhielt nach seinem Sieg den Beinamen "der Eroberer", davor war er Wilhelm der Bastard– die Serienfigur des Jon Snow erinnert wohl nicht ganz zufällig an ihn. Eine der berühmtesten Quellen für diese Zeit ist der fast 70 Meter lange Teppich von Bayeux, der die normannische Eroberung in 58 Szenen zeigt.

Auch die Mittelalterästhetik der Serie ist eher an diese raue, hochmittelalterliche Zeit in England angelehnt. Im Teppich fehlen die Schlussszenen, was eine seltsame Entsprechung zur lange ausbleibenden Fertigstellung der der Serie zugrunde liegenden Romanreihe durch Autor George R. R. Martin findet.

"Insgesamt sind die verschiedenen mittelalterlichen Epochen in 'Game of Thrones' viel stärker ineinander verwoben als etwa beim Genre-Archetyp Der Herr der Ringe von J. R. R. Tolkien", urteilt Schwarz. "Tolkien, selbst Anglist, hat ein angelsächsisch geprägtes Frühmittelalter zum Vorbild. Das Auenland kann als Idealbild dieser Zeit verstanden werden. 'Game of Thrones' ist dagegen – trotz der Konzentration auf die Rosenkriege – ein richtiges Mittelalter-Patchwork."

Spiegelt sich darin – wie schon den Werken Tolkiens nachgesagt wurde – auch aktuelle Politik? "Als Historiker stellt man mit der Zeit fest, dass sich die Menschen nicht ändern. Die Grundkonstanten der Menschheit – auch jene der Intrige, die hier so stark aufgegriffen wird – sind in allen Gesellschaftsformen zu finden", sagt Schwarz diplomatisch. (Alois Pumhösel, 12.5.2021)