Die Frist für die nationale Zulassung Ende Oktober wurde verpasst, jetzt brauchen die Bombardier-Züge für Vorarlberg und Tirol neue Papiere von der EU-Behörde.

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Wien – Nach Monaten der Verspätung sollte die ÖBB doch noch Elektrotriebzüge für den Einsatz in Vorarlberg und Tirol bekommen. Allerdings nicht wie geplant des Typs Talent 3 vom inzwischen fusionierten Bahnriesen Alstom Bombardier, sondern aus dem Hause Siemens Mobility. Denn die Kanadier haben nach bald zweijähriger Verspätung noch immer keine Zulassung der europäischen Eisenbahnbehörde ERA vorliegen und können deshalb noch immer nicht liefern.

Die auf einer kurzfristig vor Weihnachten durchgeführten Ausschreibung basierende neue Bestellung von 46 Elektrotriebzügen bei Siemens solle am Mittwoch von den Aufsichtsräten der ÖBB-Holding und der ÖBB-Personenverkehr AG beschlossen werden, erfuhr DER STANDARD in Bahnkreisen. Die ÖBB bestätigte die Sitzungstermine, machte unter Verweis auf Verschwiegenheitsverpflichtungen aber keine Angaben zur Fahrzeugbeschaffung.

Mehr als 300 Millionen Euro

Die Anzahl der Züge ergibt sich aus dem zugesagten Bedarf in Vorarlberg und Tirol, der seinerzeit mit 21 beziehungsweise 25 Schnellbahngarnituren angegeben wurde. Branchenkenner taxieren die Größenordnung der neuen Vergabe auf ein Volumen von 320 bis 360 Millionen Euro.

Die Ausschreibung war eigentlich als Reserve gedacht gewesen, falls Bombardier mehr als eineinhalb Jahre nach dem ursprünglich geplanten Liefertermin im Frühsommer 2019 im ersten Quartal 2021 noch immer über keine Zulassung für seine Talent-3-Züge verfügen sollte.

Das dürfte nun der Fall sein und kommt Siemens, die in den vergangenen Jahren bereits mehr als hundert Elektrotriebzüge des Typs Desiro ML an die ÖBB geliefert hat, zupass. In der gewünschten Frist kann nur ein Ausrüster liefern, der bereits eingearbeitet ist, was bei Siemens zweifellos der Fall ist. Neu ist dem Vernehmen nach nur, dass die ÖBB nun zwingend die Ausrüstung aller Züge mit dem Zugsicherungssystem ETCS verlangt. Ob Bombardier wegen der Lieferprobleme mit Pönalezahlungen belegt wird, ist nicht überliefert.

Fertig gebaut seien die im brandenburgischen Hennigsdorf gefertigten Talent-Züge für Vorarlberg längst, sagen ÖBB-Insider, sie durften außer befristet im Probebetrieb aber nicht in den Regelbetrieb überstellt werden, weil die ERA-Zulassung fehlt.

600 Millionen für Problemprojekte

Vorgesorgt wird im Alstom-Bombardier-Konzern bereits eifrig: Nach einer ersten Durchsicht der Projekte von Bombardier stellt Alstom weitere 632 Millionen Euro für die damit verbundenen Risiken zurück, teilte der weltweit zweitgrößte Zughersteller am Dienstag mit.

Dabei hatte Bombardier seinerseits bereits im Dezember 451 Millionen Euro auf "belastende Projekte" abgeschrieben. Alstom hatte 4,4 Milliarden Euro für Bombardier gezahlt, die Kanadier gehören seit Anfang Februar zum Konzern. Zusammen kommen die Siemens-Konkurrenten auf einen Umsatz von 14 Milliarden Euro und einen Auftragsbestand von 74,5 Milliarden.

Synergieeffekte

Alstom bleibt aber dabei, dass die Übernahme 400 Millionen Euro an Synergieeffekten binnen vier bis fünf Jahren liefern wird. Die Franzosen wollen Bombardier mittelfristig auf das eigene Renditeniveau heben, das zuletzt bei acht Prozent vom Umsatz lag. Konzernchef Henri Poupart-Lafarge zog eine positive Zwischenbilanz. Es habe keine Überraschungen gegeben, "die Integration läuft gut", wie er auf einer Telefonkonferenz sagte.

Im Geschäftsjahr 2020/21 (per Ende März) steigerte Alstom den Umsatz dank der Übernahme um sieben Prozent auf 8,79 Milliarden Euro, auf vergleichbarer Basis wäre er um vier Prozent gesunken. Alstom begründet das mit der Corona-Krise. Unter dem Strich sackte der Nettogewinn auf 247 Millionen Euro ab, nachdem Alstom im Jahr zuvor noch 467 Millionen erwirtschaftet hatte. Belastet haben den Hersteller der TGV-Hochgeschwindigkeitszüge auch Kosten im Zusammenhang mit der Übernahme. (Luise Ungerboeck, 11.5.2021)