Budgetaufstockungen und PR-Kampagnen sind zu wenig, Philosophin Lisz Hirn spricht sich in ihrem Gastkommentar dafür aus, Geschlechterstereotype dauerhaft zu verändern.

Warum sind es häufiger Männer, die gewalttätig werden? Warum werden Frauen eher die Opfer von Gewalt? Die einfachste Antwort wäre, dass Männer generell körperlich stärker sind als Frauen, was ihnen in der Ausübung von Gewalt die Oberhand gibt. Eine komplexere Antwort lässt sich mit einem Blick auf die bestehenden Gewaltmonopole in unserer Gesellschaft formulieren. Hier zeigt sich, dass nicht nur polizeiliche und militärische, sondern auch staatliche Gewalt größtenteils in Männerhänden liegt.

Nach der Serie von Frauenmorden findet im Bundeskanzleramt ein runder Tisch mit Opferschutzeinrichtungen statt.
Illustration: Fatih Aydogdu

Wieso ist das so? Früher wurde damit argumentiert, dass Frauen aufgrund ihrer biologischen Disposition und der Möglichkeit von Schwangerschaften nicht als Kämpferinnen oder für den Militärdienst geeignet sind. Dieses Argument lässt sich heute leicht zurückweisen. Männer mögen früher besser geeignet gewesen sein, doch medizinische Fortschritte wie Verhütungsmittel und politische Privilegien wie das Frauenwahlrecht haben die Geschlechterbeziehungen ebenso verändert wie die militärische Technik und die Verlagerung kriegerischer Konflikte in den Cyberspace. Wieso sind wir dann mehrheitlich noch immer dafür, dass Frauen Gewalt höchstens "freiwillig" ausüben? Vielleicht, weil wir "Leben schenken" als weiblich, "Leben nehmen" als männlich konnotieren?

Spezifische Überhöhung

In unserem kulturellen Narrativ ist das Riskieren des eigenen und das Töten von anderem Leben als exklusiv "männliche" Fähigkeit festgeschrieben. Schlimm genug, ginge damit nicht auch noch die gleichzeitige Abwertung der als typisch "weiblich" definierten Fähigkeit, also Leben hervorzubringen, einher. Diese spezifische Überhöhung von "Männlichkeit" stellt eine beträchtliche Gefahr dar; nicht nur wenn es darum geht, eine Gesellschaft, sondern auch die Geschlechter zu befrieden. Sie zeigt aber deutlich, dass die eigentliche Gefahr nicht von "den Männern" ausgeht, sondern von einer gewissen Form der "Männlichkeit". Eine, die sehr oft als die einzig "echte" propagiert wird und deren mitunter brutalen Auswüchse mithilfe von klischeehaften Biologismen entschuldigt werden. Ein anschauliches Beispiel lieferte der populäre US-Psychologe Jordan Peterson, der sein großes Auditorium auf Monogamie einschwört, um damit die negativen Folgen "toxischer Männlichkeit" abzufedern. So kommentierte Peterson die Amokfahrt des kanadischen Studenten Alek Minassian mit den Worten: "Er war wütend auf Gott, weil ihn Frauen zurückwiesen. Das Heilmittel dafür ist sozialer Zwang zur Monogamie."

Peterson bediente sich bei seiner Verteidigung eines veralteten "Mythos", nach dem Männer gewalttätig werden müssen, weil sie ihre Gefühle nicht anders ausdrücken könnten: Ein Mann explodiert eben manchmal. Wäre dem allerdings wirklich so, würden Männer Gewalt wahllos ausüben. Das tun sie aber keineswegs! Sie schlagen oder töten selten ihren Chef, wenn sie "wütend" sind. Viel eher wenden die betroffenen Männer ihre Aggression gegen sich selbst oder andere, oft gegen ihre Partnerin. Eine derartige Tat "passiert" aber nicht jedem Mann, sondern auffälligerweise eher denen, die an die "männliche Vormachtstellung" glauben oder in einem stark patriarchalen Umfeld sozialisiert wurden.

Was aber können wir diesem "Glauben" und unserer "Sozialisation" entgegensetzen? Können wir geschlechterspezifische Gewalt verhindern, ohne unpopuläre Themen anzusprechen, an denen sich niemand die Hände schmutzig machen will? PR-Kampagnen zur Gewaltprävention und Budgetaufstockungen für "Opferarbeit" sind jedenfalls zu wenig. Schließlich ginge es darum, das männliche Gewaltmonopol in unserer Gesellschaft zu durchbrechen und Geschlechterstereotype von Gewalt dauerhaft zu verändern. Zum Beispiel, indem man Frauen auch in die Verantwortung nimmt, wenn es um die Ausübung von Gewalt geht.

Die österreichische Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner hat schon vor einiger Zeit vermerkt, dass es ebenso geschlechterdiskriminierend ist, ausschließlich Männer zur Gewalt beziehungsweise zum Töten zu verpflichten – genauso diskriminierend übrigens, wie Frauen zu unbezahlter beziehungsweise schlecht bezahlter Sorgearbeit oder zum Gebären verpflichten zu wollen. (Lisz Hirn, 12.5.2021)