Im U-Ausschuss war Andreas Hanger (ÖVP) bis vor kurzem Stellvertreter des Vorsitzenden Wolfgang Sobotka. Jetzt führt er die Fraktion der Volkspartei an und findet für den U-Ausschuss jede Menge Kritik, er selbst sieht sich aber als glühenden Befürworter der Gewaltenteilung und gegenseitigen Kontrolle. Ein Gespräch über Verfassung, Löwinger-Bühne und die richtige Kleidung im Parlament.

STANDARD: Fast hätte der Bundespräsident im Finanzministerium die Akten für den Ibiza-U-Ausschuss abholen lassen müssen. Finanzminister Gernot Blümel ist dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom 3. März mehr als zwei Monate nicht gefolgt, Verfassungsbruch steht im Raum. Wie sieht das der Fraktionsführer der ÖVP im U-Ausschuss?

Hanger: Das war ein Interessenkonflikt. Auf der einen Seite gibt es ein sehr klares VfGH-Erkenntnis, das umzusetzen ist, denn VfGH-Entscheidungen sind ohne Wenn und Aber zu akzeptieren. Auf der anderen Seite gab es das Interesse, Persönlichkeitsrechte von Ministeriumsmitarbeitern zu schützen. Dieser Interessenkonflikt hat zu den Entwicklungen der letzten Tage geführt. In der Zeit ab 3. März ist ja nicht nichts passiert, unter Einbindung des Anwalts der Republik wurde versucht, Einvernehmen herzustellen. Das Ministerium hat angeboten, die Akten in einen Datenraum einzuliefern und mit dem U-Ausschuss gemeinsam nach Suchbegriffen zu filtern.

Andreas Hanger wehrt Vorwürfe gegen den Finanzminister und Kritik am Rechtsstaatsverständnis der ÖVP ab.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Der VfGH hat aber nicht gesagt "Einigt euch", sondern "Liefert".

Hanger: Ja, aber der Interessenkonflikt war ganz einfach da, und die Problematik des Schutzes von persönlichen Daten sehen wir im U-Ausschuss ja oft. Vom Verfassungsbruch sind wir ganz, ganz weit weg, weil die Akten dann ja geliefert wurden.

STANDARD: Die Verfassung beugen, bis es knirscht?

Hanger: Es wurde versucht, persönliche Daten der Mitarbeiter zu schützen. Man wirft der ÖVP oft vor, sie würde einem totalitären System das Wort reden – aber ganz das Gegenteil ist der Fall: Es wäre totalitär, wenn man alle Daten hergibt, da wären wir im Überwachungsstaat.

STANDARD: Der Finanzminister hat sich am Dienstagabend in der "ZiB 2" entschuldigt. Hat er sich für einen Interessenkonflikt entschuldigt?

Hanger: Er hat sich dafür entschuldigt, dass der Eindruck in der Öffentlichkeit entstehen hätte können, dass er das Höchstgericht und die Verfassung, auf die wir alle angelobt sind, infrage gestellt hat.

STANDARD: Das Finanzministerium hat 65.800 Seiten an Unterlagen, 8.000 Mails – und das alles unter der hohen Geheimhaltungsstufe 3 – geschickt. Haben die ÖVP-Mandatare schon angefangen zu lesen? Ist ja nur bis 15. Juli Zeit.

Hanger: Diese Menge beruht darauf, dass man alles liefern muss, was "abstrakt relevant" für den U-Ausschuss ist – und dabei ist der Ermessensspielraum sehr groß. Der Untersuchungsgegenstand ist viel zu weit gefasst, der U-Ausschuss ist inzwischen ein Kraut-und-Rüben-Ausschuss: Es wird alles und jedes untersucht.

STANDARD: Warum kritisieren Sie das erst jetzt?

Hanger: Ich war stellvertretender Vorsitzender und habe den Vorsitz überparteilich geführt, ohne in inhaltliche Themen einzugreifen. Jetzt aber bin ich Fraktionssprecher und erlebe, dass wir seit Wochen keinen neuen Erkenntnisgewinn haben. Da werden Auskunftspersonen geladen, die nichts gefragt werden oder die sich, weil sie kurz zuvor von Mandataren angezeigt wurden, berechtigterweise der Aussage entschlagen. Das ist das Widersinnigste an diesem Ausschuss, da muss man schon einmal über die Geschäftsordnung reden.

STANDARD: Hat nicht gerade die ÖVP die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien wegen ihrer Aktenlieferungen angezeigt?

Hanger: Ja. Es geht um Auswertungen von 635 Seiten Schmid-Chats (Thomas Schmid, einst Generalsekretär im Finanzministerium, heute Öbag-Chef, Anm.), und davon sind fünf oder zehn Seiten relevant für den U-Ausschuss. Gemäß unseren Juristen wurden mit dieser Vorlage der Oberstaatsanwaltschaft Persönlichkeitsrechte verletzt. Die Anzeige zielt darauf ab, die Staatsanwaltschaft zu bitten, genau zu schauen, was relevant für den Untersuchungsgegenstand ist und was nicht.

STANDARD: Dafür muss man Strafanzeige erstatten?

Hanger: Eine Anzeige einzubringen ist das Normalste im Rechtsstaat.

STANDARD: Aber Sie haben gerade indirekt die Neos kritisiert, die Ende März den Kabinettschef des Kanzlers angezeigt haben, der vor kurzem erneut ausgesagt und sich dabei oft entschlagen hat.

Hanger: Ich rege mich nicht über die Anzeige auf, sondern darüber, dass man diese Person auch lädt und sich die Mandatare dann über Entschlagungen empören. Zudem ignorieren Mandatare wie Jan Krainer (Fraktionsführer der SPÖ, Anm.) die Entscheidungen des Verfahrensrichters, da dreht man sich lange im Kreis. Da geht es um Skandalisierung und Unterstellungen, der U-Ausschuss ist ein politisches Tribunal. Denn es geht nicht um Inhalte und Aufklärung, sondern um Schlagzeilen.

SPÖ-Fraktionschef Jan Krainer zeigt sich im parlamentarischen U-Ausschuss als Suchender.
Foto: APA/Fohringer

STANDARD: Selbst der Finanzminister, gegen den ermittelt wird, sagt, der U-Ausschuss sei ein wichtiges parlamentarisches Instrument. Sie sprechen von Tribunal?

Hanger: Es geht um die Frage, was man daraus macht. Ich bin ein selbstbewusster Parlamentarier, glühender Befürworter der Gewaltenteilung und der gegenseitigen Kontrolle. Das Parlament hat zwei wichtige Aufgaben: Legislative und Kontrolle der Exekutive.

STANDARD: Und wenn es um die ÖVP geht, wird aus Kontrolle ein Tribunal?

Hanger: Nein, es geht darum, wie man U-Ausschuss und Untersuchungsgegenstand anlegt, mit Auskunftspersonen und Persönlichkeitsschutz umgeht. Es geht um Respekt. Ich lass mir nicht unterstellen, ich sei gegen politische Kontrolle.

STANDARD: Apropos Respekt. Finden Sie es respektvoll gegenüber dem Parlament, wenn ein Minister wie Blümel in türkisen Socken im Hohen Haus herumhüpft?

Hanger: Ich bin sehr dafür, dass man im Parlament ordentlich gekleidet ist.

Die Socken des türkisen Ministers.
Foto: SPÖ/Twitter

STANDARD: Sie sagten, es gebe keine neuen Erkenntnisse. Heißt das, dass Sie wussten, dass der Leiter der Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, Johann Fuchs, Ermittlungsakten an Christian Pilnacek weitergab, als der nicht mehr für Einzelstrafsachen zuständig war? Wegen Fuchs' Aussage im U-Ausschuss führt die Justiz ein Ermittlungsverfahren gegen beide.

Hanger: Nein, das wusste ich nicht. Die Frage ist, ob das zum Untersuchungsgegenstand gehört. Schauen wir einmal, was da rauskommt. Manche Abgeordnete sehen sich ja als Ersatzrichter und Ersatzstaatsanwälte. Aber der U-Ausschuss soll die politische Verantwortung klären, und wir sollten die Justiz in Ruhe arbeiten lassen, ganz im Sinne der Gewaltenteilung.

STANDARD: Apropos. Sind Sie wie Sobotka der Meinung, künftig sollten Richter den Vorsitz in U-Ausschüssen führen?

Hanger: Diese Frage habe ich für mich noch nicht abschließend beantwortet. Im Sinne der Gewaltenteilung spricht einiges dagegen, umgekehrt haben Richter hohe Autorität. Aber egal, wie ein Vorsitzender heute entscheidet: Es gibt immer Kritik.

STANDARD: Wie sehen Sie die Arbeit der WKStA?

Hanger: Sie ist eine wichtige Einrichtung, aber ob es Sinn macht, zwei Staatsanwaltschaften zu haben, ist die Frage. Da kommt es, wie beim Ibiza-Video, zu Kompetenzüberschneidungen.

STANDARD: Finden Sie wie der eine oder andere Türkise, dass da "Rote" drin sitzen, die anderen ans Leder wollen?

Hanger: Manchmal hab ich den Eindruck, dass dort manche Damen und Herren eine politische Agenda verfolgen.

STANDARD: Weil sie gegen Türkise wie Blümel oder Schwarze wie Josef Pröll ermitteln?

Hanger: Nein, aber bei der Priorität wie etwa den Chat-Auswertungen könnte man ab und zu diesen Eindruck gewinnen. Aber das ist meine Einschätzung.

STANDARD: Muss ein Minister Ihrer Ansicht nach zurücktreten, wenn er angeklagt wird?

Hanger: Das muss man im konkreten Fall beurteilen. Finanzminister Blümel sagt, die Vorwürfe gegen ihn werden sich in Luft auflösen, und er hat dazu eine eidesstättige Erklärung abgegeben.

STANDARD: Ministerin Elisabeth Köstinger verglich den U-Ausschuss mit der "Löwinger-Bühne". Sehen Sie das auch so, sehen Sie vielleicht dämliche, derbe Befragungen?

Hanger: Teilweise sind wir nicht weit weg davon bei den Befragungen. Aber die Löwinger waren nicht dämlich und derb, das war eine Volksbühne. Ich hab die immer gern geschaut, das war gute Unterhaltung. Über Begriffe kann man natürlich diskutieren, aber schauen Sie: Wenn ich als Politiker etwas pointierter formuliere, bekomme ich mehr mediale Aufmerksamkeit und Schlagzeilen, als wenn ich das sachlich tue.

STANDARD: Sie selbst sagen gegenüber Journalisten oft, dass Sie den U-Ausschuss für Verschwendung von Steuergeld halten. Warum?

Hanger: Weil wir immer dieselben Themen abhandeln, zum 35. Mal die Bestellung Schmids in den Öbag-Vorstand, zum 47. Mal den Prikraf. Wobei doch, es gibt Neues: Wir wissen seit der Befragung von ÖGB-Chef Wolfgang Katzian, dass das Öbag-Gesetz in seinen Augen ein gutes Gesetz ist – und von Öbag-Aufsichtsratschef Helmut Kern, dass die Bestellung Schmids hochprofessionell über die Bühne gegangen ist.

STANDARD: Sind Sie eigentlich wie Ausschussvorsitzender Wolfgang Sobotka auch fürs Abschaffen der Wahrheitspflicht im U-Ausschuss?

Hanger: Nein. Und Sobotka wurde da falsch interpretiert.

"Bei uns hat jede Person, die Auskunftsperson ist, eine ungeheure Sorge, dort etwas Falsches zu sagen, weil sie dort unter Wahrheitspflicht steht. In Deutschland gibt es das nicht", sagte Nationalratspräsident Sobotka laut der Puls-24-Sendung "Milborn". Und: "Man kann sich da viele Dinge überlegen, wenn man einen Konsens findet."
Foto: APA/Fohringer

STANDARD: Sie beklagen, dass man Ihnen und der ÖVP da und dort unterstellt, sie hätte Probleme mit dem Rechtsstaat. Der Kanzler hat die WKStA massiv angegriffen …

Hanger: Ein funktionierender Rechtsstaat gehört zum Fundament jeder Demokratie. Aber natürlich ist auch eine Staatsanwaltschaft nicht sakrosankt, und als Mandatar kann man sie kritisieren, ohne den Rechtsstaat infrage zu stellen. Was uns allen Sorgen bereiten sollte, ist, dass permanent nichtöffentliche Ermittlungsakten medial bekannt werden. Da sollten wir alle etwas vorsichtiger sein, da werden Leute in aller Öffentlichkeit diskreditiert, sobald sie angezeigt wurden.

STANDARD: Sie meinen die von Ihnen angezeigte Oberstaatsanwaltschaft?

Hanger: Nein, ich meine vor allem den Umgang mit Beschuldigten in Social Media. Und noch zur WKStA: Wir von der ÖVP haben kritisiert, dass die Strache-Chats noch immer nicht ausgewertet sind. Und der U-Ausschuss hatte vorigen Freitag eine Konsultation mit der Behördenleiterin. Sie sagte, wenn der Ausschuss diese Chats prioritär ausgewertet haben will, werde die WKStA das tun. Ich hoffe, dass die anderen Fraktionen mit uns gehen, damit wir uns dem Kern des U-Ausschusses widmen, in dem es ums Ibiza-Video geht.

STANDARD: Ist es eigentlich denkbar, dass jemand von der ÖVP für die von der Opposition geplante Ministeranklage gegen ihn mitstimmt?

Hanger: Ich hab mir die angeschaut, sie ist völlig substanzlos. Da werden wir sicher nicht mitstimmen. Zudem macht der Finanzminister einen Superjob, insbesondere in der Pandemiebekämpfung.

STANDARD: Er gibt viel Geld aus, gemäß dem Regierungsmotto "Koste es, was es wolle".

Hanger: Ja, aber wir können auch stolz sein: Der Staat refinanziert sich so billig wie nie.

STANDARD: Aber beim Aufschwung nach der Pandemie tut sich Österreich schwerer als andere, etwa Deutschland oder die Schweiz.

Hanger: Na, aber bitte, jetzt sind wir bei meinem Leibthema, ich bin studierter Betriebswirt. Das liegt daran, dass unsere Wirtschaft vor allem vom Tourismus getragen wird. Die Kernfrage sind die Refinanzierungskosten, und die sind historisch niedrig. Das liegt an der guten Wirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte und Jahre. Und auch beim Geldverteilen muss man schnell und zielgerichtet agieren – auch das ist gelungen. Umsatzersatz, Kurzarbeit, Verlustersatz: Topleistung, Topjob vom Minister.

STANDARD: Im U-Ausschuss fehlen noch die E-Mails aus dem Kanzleramt, der VfGH klärt auch diese Frage. Droht da wieder eine Eskalation?

Hanger: Das kann man nicht mit der Aktenlieferung des Finanzministeriums vergleichen. Denn das Kanzleramt sagt, es habe alle relevanten Mails geliefert und den Rest gelöscht.

STANDARD: Löschen Sie auch?

Hanger: Meine Chats lösche ich jeden Abend. Weil da vermischt sich Privates mit Beruflichem.

STANDARD: Haben Sie auch schon einmal geschrieben: "Ich liebe meinen Kanzler"?

Hanger: Nein. (Renate Graber, 12.5.2021)