Täglicher Pendleransturm auf Wien: Ein flächendeckendes Parkpickerl könnte den Bewohnern mehr Ruhe bringen – aber nur, wenn Parkplätze dann aufgelassen würden, so der Verkehrsclub.

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Die Ketzergasse ist ein Ort, der zu Querelen einlädt. Hier verläuft die Grenze zwischen dem Wiener Bezirk Liesing und dem niederösterreichischen Perchtoldsdorf, auf rund 150 Metern sogar quer durch die Häuser. Im verwaltungstechnisch in Bund, Länder und Gemeinden zerspragelten Österreich sind da Nachbarschaftskonflikte angelegt – etwa um Verkehrsprobleme. Die Liesinger beklagten sich, dass eine Straßensperre jenseits der Grenze Lkws in ihren Bezirk treibe. Die Perchtoldsdorfer zürnten, weil eine Trabantensiedlung am Stadtrand Autokolonnen durch den Vorort locke.

Nun wollen wieder die Wiener etwas anstellen. Was im Busch ist, haben die Perchtoldsdorfer, wie Bürgermeister Martin Schuster erzählt, einmal mehr aus den Medien statt aus erster Hand erfahren: Die Bundeshauptstadt hat vor, das Prinzip des Parkpickerls auf ihr gesamtes Gebiet auszuweiten. Damit wäre es nirgends mehr in Wien möglich, ein Auto kostenlos auf Dauer abzustellen. Anrainer können sich das Parkrecht mit dem Pickerl erkaufen, für alle anderen wird die Stadt zur lückenlosen, kostenpflichtigen Kurzparkzone.

Die Wiener dürfen als Resultat auf weniger Verkehr hoffen – doch so manchem Vorort droht das glatte Gegenteil. Derzeit fahren viele Tagespendler in Bezirke wie Floridsdorf, Donaustadt, Simmering, Hietzing oder eben Liesing hinein, um ihre Autos in den kostenlosen Straßenzügen abzustellen und für das letzte Stück Arbeitsweg auf Bim, Bus oder U-Bahn umzusteigen. Fällt diese Möglichkeit flach, könnte sich diese Praxis in die Umlandgemeinden verlagern – mit zugeparkten Wohnvierteln als Kollateralschaden.

Verbotene Zonen an der Grenze

Auch ohne Vorwarnung aus dem Wiener Rathaus sei absehbar gewesen, dass das Problem einmal auf seine am Südrand gelegene Gemeinde zukommt, sagt Bürgermeister Schuster. Längst liege deshalb ein Mobilitätskonzept in der Schublade: Diesem nach soll ein Korridor von 500 Metern bis zu einem Kilometer entlang der neuralgischen Grenzabschnitte zur Kurzparkzone werden. Dass Pendler dann halt einfach noch weiter im Ortsinneren parken werden, glaubt der ÖVP-Politiker nicht. Wenn man einmal eine halbe Stunde zu den öffentlichen Verkehrsmitteln auf Wiener Seite – etwa zum Bahnhof Liesing – gehen müsse, zahle sich das nicht mehr aus.

Anrainer sollen von der Kurzparkzone ausgenommen sein, an Gebühren ist aber auch für Ortsfremde nicht gedacht: Die Investition in derart viele Parkometer zahle sich nicht aus. Von wann bis wann die Beschränkungen dauern werden, soll sich am Wiener Konzept orientieren, "denn sonst kennt sich niemand mehr aus". Derzeit gilt die Kurzparkzone in den Innenbezirken von 9 bis 22 Uhr, bei einer Parkdauer von maximal zwei Stunden. In den betroffenen Gebieten der Außenbezirke darf der Wagen zwischen 9 und 19 Uhr bis zu drei Stunden lang abgestellt werden.

Rund 20 Kilometer weiter östlich ist es mit Restriktionen für ein paar Straßenzüge nicht getan. Das glaubt zumindest Karin Baier, Bürgermeisterin von Schwechat. Zu sehr drohe ihre Stadt zugeparkt zu werden, als dass eine kleine Lösung ausreiche.

Schon jetzt fühlen sich die Schwechater, wenn nicht gerade eine Pandemie den Verkehr drosselt, von der Blechlawine überrollt. Das liegt an zwei Besonderheiten. Erstens stellen viele Flugreisende ihr Auto lieber in der Gemeinde als am teuren Flughafen ab und nehmen dann eben ein Taxi zum Gate. Zweitens endet am Bahnhof Schwechat die Kernzone Wien für den öffentlichen Verkehr, in der die städtische Netzkarte gilt. Viele Pendler fahren deshalb auf jeden Fall mit dem Auto zumindest bis dorthin, statt um ein Extraticket schon früher in Öffis einzusteigen.

Anreise per Auto soll Geschichte sein

Derzeit wird zwar die Park-and-ride-Anlage am Bahnhof Schwechat ausgebaut. Doch auch diese Kapazitäten würden gesprengt, prophezeit die Bürgermeisterin, wenn all jene Pendler, die derzeit im benachbarten Bezirk Simmering parkten, auf eine beunruhigende Idee kämen: "Na, dann stelle ich mein Auto eben bei der Baier ab!" Das solle erst gar niemand versuchen, sagt die SPÖ-Politikerin – und propagiert eine unmissverständliche Botschaft: "Diese Art der Anreise ist Geschichte."

Durchsetzen würde sie diese Revolution am liebsten mit einer flächendeckenden Kurzparkzone für Schwechat. Doch dafür müsse sie erst einmal mit der niederösterreichischen Landesregierung die Rechtsgrundlage klären – "und dabei will ich mich nicht in ein politische Hickhack zwischen Wien und Niederösterreich hineinziehen lassen".

Außerdem möchte sie erreichen, dass die Wiener Kernzone bis nach Mannswörth, nahe dem Flughafen, ausgedehnt wird, wo viele Pendler auf einem Großparkplatz abgefangen werden könnten. Doch die Verantwortlichen des Verkehrsverbundes Ost hätten sich bisher nicht erweichen lassen, berichtet Baier. Da gehe wohl die Angst um, dass dann alle möglichen Umlandgemeinden das Gleiche wollten.

Parkplätze sollen Grünraum weichen

In Langenzersdorf im Norden Wiens ist das Konzept für den Ernstfall, wie Bürgermeister Andreas Arbesser sagt, hingegen "einfach gestrickt": Halte das Parkpickerl im benachbarten Floridsdorf Einzug, sei eine Kurzparkzone rund um den eigenen Bahnhof ein probates Mittel. Für der Weisheit letzten Schluss hält der ÖVP-Politiker dieses dennoch nicht. Statt jede Gemeinde ihr eigenes Süppchen kochen zu lassen, sollten Niederösterreich und Wien besser ein Gesamtkonzept entwerfen, um das Problem bei der Wurzel anzupacken: Damit mehr Menschen per se mit Zug oder Bus in die Arbeit fahren können und wollen.

Christian Gratzer, Sprecher des Verkehrsclubs Österreich (VCÖ), sieht da noch viel Luft nach oben. Viele Menschen im Umland Wiens lebten zwar in der Nähe eines Bahnhofes, doch oft scheitere der Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel am ersten Kilometer. Wenn zu einem Bahnhof etwa kein anständiger Radweg führe, würde das zur Nutzung des motorisierten Untersatzes motivieren: "Und wenn die Leute einmal im Auto sitzen, dann fahren sie lieber gleich weiter ."

Aber auch auf Wiener Seite sei es mit dem flächendeckenden Parkpickerl noch nicht getan. Sollen die Pläne verkehrsgeplagte Stadtbürger tatsächlich aufatmen lassen, dann dürfe die von SPÖ und Neos regierte Stadt nicht auf den zweiten Schritt vergessen. Rasch gelte es, von Pendlern verwaiste Parkplätze aufzulassen, empfiehlt Gratzer. Sonst würden Autobesitzer auf die Idee kommen, dank des größeren Angebots an Parklücken doch wieder öfter ins eigene Vehikel zu steigen.

Was mit den Flächen passieren soll? Gratzer plädiert für Bepflanzung. Andernfalls werde der Klimawandel die Stadt so aufheizen, "dass alte Menschen im Sommer kaum noch auf die Straße gehen können". (Gerald John, 12.5.2021)