Bundeskanzler Sebastian Kurz ist nun Beschuldigter, er bestreitet Falschaussagen im U-Ausschuss.

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Am Mittwoch war rasch klar: Irgendetwas ist im Busch. In der ÖVP wurde intern Alarm gegeben, der traditionelle "Doorstep" vor dem Ministerrat wurde ganz kurzfristig um eine Stunde auf 9.45 Uhr vorverlegt. Angekündigt: ein Statement von Bundeskanzler Sebastian Kurz. Wenig später war die Katze aus dem Sack. Eingetreten ist, was in der Volkspartei schon lange befürchtet worden war: Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat Ermittlungen gegen Kurz aufgenommen. Sie führt ihn nicht als Verdächtigen, sondern als Beschuldigten, was auf substanzielle Verdachtsmomente schließen lässt.

Die offizielle Mitteilung der Behörde über die Eröffnung des Ermittlungsverfahrens ging am Dienstag an Kurz und dessen ebenfalls beschuldigten Kabinettschef Bernhard Bonelli. Datiert ist dieses Dokument mit 6. Mai. Am Mittwoch hat sich die ÖVP dann entschieden, in die Offensive zu gehen: Dem Vernehmen nach hatten "Profil" und "Falter" bereits von den Ermittlungen erfahren und Recherchen aufgenommen. Zuvor hatten die Neos diesbezüglich eine Sachverhaltsdarstellung eingebracht.

Für die ÖVP und ihren grünen Koalitionspartner ist Kurz' Beschuldigtenstatus zwar eine schlechte Nachricht, wegen des Vorwurfs allerdings nicht der Worst Case. Schließlich wird gegen Kurz nicht wegen des Verdachts auf Korruptionsdelikte ermittelt, sondern wegen des Verdachts auf Falschaussagen im Ibiza-Untersuchungsausschuss. Derartige Vorwürfe lassen sich aus Sicht der Betroffenen leichter entkräften: So sprach der Kanzler vor dem Ministerrat denn auch von der "aufgeheizten Stimmung" im U-Ausschuss, wo versucht werde, Befragten "das Wort im Mund umzudrehen". Er betonte, dass er stets wahrheitsgemäß habe antworten wollen; es gilt die Unschuldsvermutung. Sein Kabinettschef Bonelli sagte zum STANDARD: "An den politisch motivierten Vorwürfen, die die Grundlage für dieses Verfahren liefern, ist nichts dran."

Verwirklicht ist das Delikt der Falschaussage auch nur, wenn man vorsätzlich falsch aussagt.

58 Seiten voller Widersprüchlichkeiten

Allerdings hat die WKStA in ihrem Verständigungsschreiben auf 58 Seiten viele Indizien und Verdachtsmomente für die von ihr in den Raum gestellten Falschaussagen zusammengetragen. Es geht dabei um Vorgänge rund um die staatliche Beteiligungsholding Öbag. Die wurde während der türkis-blauen Regierung gegründet und ging aus der Öbib hervor. Um die Vorbereitungen dafür kümmerte sich vor allem Thomas Schmid, damals Generalsekretär und Kabinettschef im Finanzministerium. Schmid wollte selbst Chef der Öbag werden, das war nicht nur innerhalb der Koalition ein offenes Geheimnis. Er schrieb mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Kabinett am Ausschreibungstext für den Posten des Öbag-Alleinvorstands mit und bewarb sich dann auch. Zudem sprach er bei der Auswahl jener Aufsichtsratsmitglieder mit, die ihn später bestellen sollten. All das zeigt eine Vielzahl von Chatnachrichten aus Schmids Smartphone, das im Herbst 2019 in der Causa Postenschacher Casinos sichergestellt worden ist.

Sebastian Kurz wurde im Sommer 2020 als Auskunftsperson im U-Ausschuss befragt – auch zur Öbag. Die WKStA vermutet, dass er die Abgeordneten bei drei Themengebieten falsch informiert habe. Er habe "tatsachenwidrig (...) behauptet", er sei bei der Entscheidung, Schmid als Alleinvorstand zu nominieren, "nur informiert, aber nicht darüber hinaus eingebunden gewesen". Laut WKStA habe er "ebenso tatsachenwidrig (...) Wahrnehmungen zur Besetzung des Aufsichtsrats der Öbag" bestritten, "obwohl er die faktische Entscheidung, welche Mitglieder von der ÖVP nominiert werden, tatsächlich selbst getroffen hat". Beim dritten Vorwurf handelt es sich um eine Absprache zwischen Schmid und dem freiheitlichen Regierungsverhandler und Manager Arnold Schiefer über die Öbag ("ÖIAG neu"), von der Kurz "jegliche Kenntnis bestritt".

"Kriegst eh alles was du willst"

In ihrer Mitteilung an Kurz schneidet die WKStA zahlreiche seiner Aussagen im U-Ausschuss mit SMS und anderen Chatnachrichten gegen. Für die Staatsanwälte scheint klar, dass "Schmid mit Sebastian Kurz ab Mitte 2017 (...) regelmäßig über die Entwicklung" des Projekts Öbag "kommunizierte" und dass spätestens nach den türkis-blauen Regierungsverhandlungen "vereinbart war, dass Schmid den Umbau zur Öbag mit Blick auf die dann von Sebastian Kurz unterstützte Alleinvorstandsposition vornehmen soll".

Im U-Ausschuss antwortete der Kanzler auf die Frage von Helmut Brandstätter (Neos), ob er vor der Bewerbung mit Schmid "nie darüber gesprochen habe, dass er das werden könnte", so: "Nein, es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert." Nach der Vorlage des Protokolls wollte Kurz diese Antwort ändern und das "Nein" streichen lassen. Für die WKStA ist das "ein Hinweis darauf, dass ihm die inhaltliche Unhaltbarkeit der Aussage bewusst war".

Die Staatsanwaltschaft verweist darauf, dass sowohl Kurz selbst mit Schmid über die Öbag gesprochen habe als auch andere Akteure über Kurz' Involvierung. So bedankte sich Schmid mehrfach bei Kurz "für alles", laut WKStA etwa "vor und direkt nach seiner Bestellung zum Vorstand der Öbag". Kurz schrieb ihm: "Kriegst eh alles was du willst." Der damalige Finanz-Generalsekretär äußerte in einer Nachricht auch die Befürchtung, dass er nicht "in die Öbag dürfe", weil Kurz auf ihn "sauer" war.

Pierer "wäre cool!"

Auch rund um die Aufsichtsratbestellung sehen die Ermittler viele Widersprüche. Auf eine Frage von Stephanie Krisper (Neos) zu den Öbag-Aufsichtsräten sagte Kurz, er kenne diese zwar, wisse aber, "dass ich sie nicht ausgewählt habe". Faktisch sei das aber anders, meint die WKStA. Sie verweist darauf, dass Schmid an Kurz schrieb, ÖVP-Spender Stefan Pierer "für den ÖBAG Aufsichtsrat wäre cool!", und dass er Kurz schrieb: "Habe nur paar Bitten wegen der anderen Aufsichtsräte." Schon im Dezember 2018 findet sich in Schmids Kalender ein Termin mit Kurz und Bonelli. An diesem Tag schrieb Schmid in einer SMS-Nachricht, dass die Besprechung noch dauere, weil sie "wegen der AR sitzen", also wegen der Aufsichtsräte. Der damalige Finanzminister Hartwig Löger (ÖVP) schrieb wiederum, er habe einen entsprechenden Vorschlag "mit Sebastian wie besprochen abgestimmt".

Im Zusammenhang mit Schiefer und Schmid sagte Kurz im U-Ausschuss, er habe "keine Ahnung, was die vereinbart haben". Er sei auch "kein Erziehungsberechtigter" der beiden. Chatnachrichten lassen freilich andere Interpretationen zu. Der damalige Vizekanzler Heinz-Christian Strache schrieb in Nachrichten etwa, dass Schmid und Schiefer "für beide Parteien eine Vereinbarung fixiert" hätten, und: "Kurz will davon nichts wissen und das geht nicht."

Die WKStA hat die Aussagen der Beschuldigten nicht nur inhaltlich, sondern auch sprachlich unter die Lupe genommen. Sie erkannte bei den Befragungen von Kurz, Finanzminister Gernot Blümel und Öbag-Chef Schmid "beinahe gleichlautende 'Wordings', die gemeinsam abgesprochen und vorbereitet wirken". Die Analyse zeige, dass die befragten Personen "Wert darauf legten, diese Personalentscheidungen als reinen Akt des zuständigen Aufsichtsrates (Vorstandsbestellung) sowie des Finanzministers (Aufsichtsratbestellung) darzustellen". Auch wenn die Befragten mit SMS zwischen Dritten konfrontiert wurden, habe es laut WKStA ein "einheitliches Wording" gegeben.

Die "Dunkle Rhetorik"

Rhetorisch hätten die Beschuldigten "Kargheitssignale" verwendet. Unter Berufung auf die Fachliteratur "Tatsachenfeststellungen vor Gericht, Band I: Glaubwürdigkeits- und Beweislehre" schreibt die WKStA: "Je abstrakter die Aussage, je allgemeiner und unanschaulicher die Ausdrucksweise und je herkömmlicher der geschilderte Handlungsablauf, desto misstrauischer sollte man werden." Sie listet dazu Beispiele aus den Befragungen auf: "Es war allgemein bekannt, dass ihn das grundsätzlich interessiert" oder "Man trifft in einer Regierung täglich irgendwelche Vereinbarungen".

Die WKStA zitiert auch das Buch "Dunkle Rhetorik: Manipuliere, bevor du manipuliert wirst", das die Passivform als "Einfallstor für Halbwahrheiten" bezeichne. Beispiele dafür, so die WKStA: "Es war", "Man trifft". Außerdem würden Kernpunkte "immer wiederholt", die Befragten "Fluchtsymptome mit Gegenangriffen oder Gegenfragen" aufzeigen. Etwa: "Das ist eine Unterstellung. Ich bin Bundeskanzler und nicht Erziehungsberechtigter" oder "Sie reden immer von der Öbag. Wissen Sie, was vor der Öbag war? Vorher war es die Öbib".

Kurz will auch bei Strafantrag bleiben

In ihrer rechtlichen Beurteilung schreibt die WKStA, dass eine Aussage falsch sei, wenn sie objektiv unrichtig sei. Diesen Tatbestand erfülle "auch das Verschweigen erheblicher Tatsachen". Wer wesentliche Dinge verheimliche, werde "tätig, weil er insgesamt falsch (unvollständig) aussagt". Für eine Falschaussage vor dem U-Ausschuss droht im Höchstfall eine Freiheitsstrafe von drei Jahren, es gilt die Unschuldsvermutung. Vorausgesetzt, die Ermittlungen werden nicht eingestellt, käme es zu einem Strafantrag (nicht zu einer Anklage), und die Causa würde von einem Einzelrichter verhandelt werden.

Am Mittwoch vor dem Ministerrat erklärte Kurz, er würde auch dann Kanzler bleiben, wenn ein Strafantrag gestellt würde. Ohne inhaltlich auf die Vorwürfe einzugehen, sagte er, er habe natürlich vor dem U-Ausschuss wahrheitsgemäß zu antworten versucht.

Tatsächlich ist die Situation für Auskunftspersonen im U-Ausschuss oft schwierig, weil viele Fragen zu unterschiedlichsten Themen und zu Vorgängen in unterschiedlichsten Zeiträumen gestellt werden. Ständig finden – je nach der Fraktion, die gerade mit dem Fragen an der Reihe ist – Zeit- und Themensprünge statt. Allerdings hat jede Auskunftsperson das Recht, sich vor ihrer Antwort mit ihrer Vertrauensperson zu beraten. Ebenso mit dem Verfahrensanwalt, der im U-Ausschuss auf die Rechte der Auskunftsperson achtzugeben hat.

Der Verdacht auf Falschaussage im U-Ausschuss trifft derzeit die unterschiedlichsten Auskunftspersonen. So gibt es ein Ermittlungsverfahren gegen den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) und FMA-Vorstandsmitglied Helmut Ettl. In dem Fall geht es um den Eisenstädter U-Ausschuss zum Commerzialbank-Skandal.

Und auch der Ibiza-U-Ausschuss hat schon mehrere Ermittlungsverfahren hervorgebracht, genauso wie einst der BVT-U-Ausschuss. Und Kurz ist auch nicht der erste Kanzler, der als Beschuldigter geführt wird: Werner Faymann (SPÖ) stand wegen der Inseratenaffäre unter Verdacht, das Verfahren wurde schlussendlich eingestellt. (Fabian Schmid, Renate Graber, 12.5.2021)