Pandemiebedingt wurden Gesetze, die Medizinprodukte und Laborleistungen regeln, aufgeweicht. Mit gefährlichen Folgen, wie die FPÖ kritisiert.

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Innsbruck – Der größte Auftrag für PCR-Tests in Tirol erging ohne Ausschreibung an einen Urologen, der sich wegen Kunstfehler und schwerem Betrug vor Gericht steht – es gilt die Unschuldsvermutung. Ob sein Unternehmen überhaupt Labormediziner zur Befundung der Tests beschäftigt hat, ist bis heute unklar. Einer der größten Anbieter für Antigen-Schnelltests in Tirol, Christian Raudner, ist nebenbei Finanzdienstleister und Immobilienhändler. Als 100 Prozent-Gesellschafter des "Ärztezentrums" in Telfs betreibt er unter diesem Namen tirolweit Teststationen. Es stehen Vorwürfe im Raum, dass von seiner Firma durchgeführte Tests zum Teil nicht fachgerecht durchgeführt würden – der ORF Tirol und der Blogger Markus Wilhelm berichteten dazu.

Insgesamt 40 Millionen Euro gab das Land Tirol allein von Jänner bis April 2021 für PCR- und Antigen-Tests aus. Die Kosten dafür sollen vom Bund erstattet werden. Diese enormen Summen ermöglichen gute Geschäfte mit der Pandemie. Kommen die Behörden in einer solchen Gemengelage ihrer Kontrollfunktion nicht nach, kann das unangenehme Folgen haben, wie die aktuellen Vorkommnisse in Tirol zeigen. Die neue Gesundheitslandesrätin Annette Leja (ÖVP) hat nun "anonyme Kontrollen" der Schnelltest-Stationen angekündigt. Bei Verstößen drohen Sanktionen. Zudem wurde die E-Mail-Adresse antigenteststationen@tirol.gv.at eingerichtet, unter der die Bevölkerung Auffälligkeiten einmelden kann.

Staatsanwaltschaft prüft weitere Ermittlungen

Mittlerweile prüft auch die Staatsanwaltschaft Innsbruck in beiden oben genannten Fällen, ob sie weitere Ermittlungen einleitet. Das wird sich kommende Woche entscheiden, so ein Sprecher. Immerhin geht es im Fall der HG Pharma um mehr als acht Millionen Euro. Raudner vom Ärztezentrum weist auf Nachfrage des STANDARD sämtliche gegen seine Firma erhobenen Vorwürfe zurück. Seitens der Behörden habe es bisher keine Beanstandungen gegeben.

Man prüfe zudem selbst sehr genau die Einhaltung aller Vorgaben, betont Raudner: "Nach der zweiten Abmahnung folgt die Entlassung." Von vier Mitarbeitern habe er sich deshalb schon getrennt. Mit dem Ärztezentrum biete er seit mittlerweile acht Jahren medizinische Leistungen an oder vermiete ebendort Räumlichkeiten an Mediziner. Auch seine Teststationen würden von medizinischem Fachpersonal betreut und überwacht. Der Chef der HG Pharma, Ralf Herwig, hat Anfragen dieser Zeitung bisher nicht beantwortet.

FPÖ-Hauser kritisiert Novelle des Medizinproduktegesetzes

Der Osttiroler FPÖ-Nationalratsabgeordnete Gerald Hauser vermutet einen Hauptgrund für derlei Geschäftemacherei rund um die Pandemie in Gesetzesnovellen, die am 15. März 2020 passierten. Er hat dazu eine parlamentarische Anfrage an Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein eingebracht. Hauser glaubt, dass man durch die Aufweichungen geltender Bestimmungen, dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet hat.

"In einer Nacht- und Nebelaktion wurden damals [am 15. März 2020, Anm. der Red.] zig Gesetze verändert. Im Fall des Paragraphen 113 Medizinproduktegesetz wurde ein Blanko-Persilschein geschaffen, der solchen Missbrauch erst ermöglichte", ist Hauser überzeugt. Tatsächlich wurde etwa mit den Paragraphen 113a und 113b die Möglichkeit geschaffen, Covid-Tests einzusetzen, noch bevor diese auf ihre Qualität hin geprüft wurden.

Behörde kontrolliert erst nach Markteinführung

Das Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) bestätigt grundsätzlich, dass durch diese Paragraphen die Zulassung deutlich schneller möglich ist. Wörtlich heißt es auf Anfrage: "Bei SARS-CoV-2-Schnelltests für professionelle Anwender ist die Einbindung einer Benannten Stelle in das Konformitätsbewertungsverfahren nicht erforderlich, bei SARS-CoV-2-Schnelltests zur Eigenanwendung hingegen schon. Mit Paragraph 113b Medizinproduktegesetz (MPG) entfällt jedoch die Notwendigkeit zur Einbindung einer Benannten Stelle bei SARS-CoV-2-Schnelltests für einen befristeten Zeitraum, wenn diese die Bedingungen des Paragraph 113b MPG erfüllen."

Heißt das nun wirklich, wie FPÖ-Abgeordneter Hauser befürchtet, dass seit Beginn der Pandemie "nicht geprüfte Tests, die womöglich nicht valide sind, zur Anwendung kommen"? Es sei nicht auszuschließen, dass es schwarze Schafe unter den Herstellern gebe, sagen dazu Experten der Ages und des BAGS. Doch sollte es zu Auffälligkeiten kommen, so werden diese von den Anwendern umgehend eingemeldet und die BAGS wird tätig. Allerdings konnte auf Anfrage dieser Zeitung nicht genannt werden, wie oft dies seit Beginn der Pandemie bereits der Fall war.

Andere Risikoabwägung in Pandemiesituation

Sollte ein Hersteller Testkits in Umlauf bringen, die nicht funktionieren, würde das schnell auffallen und gemeldet werden, sagen Experten. Die Risikoabwägung sei in der Pandemiesituation eben eine andere, als unter Normalumständen. Wären die Marktzulassungen nicht derart aufgeweicht worden, stünden wahrscheinlich heute noch keine Testmaterialien zur Verfügung. Zudem sei man international vernetzt und tausche sich aus. Wenn ein Hersteller schlechte Qualität liefert, würde das umgehend im europäischen Netzwerk eingemeldet und der betreffende Produzent wäre "weg vom Fenster". Daher setze man auf die Sorgfaltspflicht der Hersteller, führe Stichproben durch und kontrolliere sofort bei Auffälligkeiten.

Zudem besteht für Hersteller von Schnelltests eine "Selbstverpflichtung", die dem Ministerium übermittelt werden muss. Darin verpflichten sich die Hersteller oder Inverkehrbringer, sich an die gesetzlichen Vorgaben zu halten. Haben diese ihren Sitz in Österreich, müssen sie sich auch im Österreichischen Register für Medizinprodukte mit ihrem Produkt registrieren. Die Aufweichung des Medizinproduktegesetzes ist nur angesichts der Pandemiesituation erlaubt und bedarf laut Paragraf 113a zudem einer entsprechenden Verordnung des Gesundheitsministeriums, die "höchstens sechs Monate gültig ist". Wann und ob diese erlassen wurde, ist noch Gegenstand einer Anfrage des STANDARD beim Ministerium. Sobald die Antwort einlangt – die Anfrage wurde erst am Mittwochabend eingebracht – wird sie hier ergänzt.

Kreis der Labore wurde ebenfalls erweitert

Im Fall der Labore, die PCR-Tests auswerten, verhält es sich etwas anders, aber die Hintergründe sind ähnlich. Hier wurde im Zuge der Pandemiebekämpfung durch die Erweiterung des Paragraphen 28c Epidemiegesetz die Möglichkeit geschaffen, dass nicht nur humanmedizinische, sondern auch naturwissenschaftliche und veterinärmedizinische Labore unter gewissen Voraussetzungen Tests auswerten dürfen. Um auf die entsprechende Laborliste des Gesundheitsministeriums zu kommen, genügt ein E-Mail und das Ausfüllen eines 38 Punkte umfassenden Fragenkataloges.

In einem Disclaimer zur Liste auf der Homepage des Ministeriums steht dazu: "Das alleinige Kriterium für die Aufnahme in die Liste war eine Selbstmeldung der Labore, Aussagen über die Qualität und Validität der Testergebnisse, die in den Labors durchgeführt werden, sind damit nicht verknüpft." Das heißt, die Qualität der geleisteten Arbeit der Labors ist vom jeweiligen Auftraggeber – im Fall der HG Pharma das Land Tirol – sicherzustellen. Nur verwies Tirol nach Bekanntwerden des Skandals um den Firmenchef Herwig auf ebendiese Liste des Ministeriums als "Zertifizierung".

Ministeriumsliste sagt nichts über Laborqualität aus

Das war unrichtig, wie auch das Gesundheitsministerium bestätigte. Dass die HG Pharma vergangene Woche wieder von der Liste verschwunden ist, sei nach Auskunft des Ministeriums einer Information der Ärztekammer geschuldet, die das Ministerium darüber informiert habe, dass Firmenchef Herwig derzeit keine Zulassung mehr als Arzt besitzt. Daher habe man dem Unternehmen erneut den Fragebogen zugesandt, mit der Bitte, die Daten zu aktualisieren.

Für den FPÖ-Abgeordneten Hauser ist die Aufweichung der Gesetze und die mangelnde Kontrolle "ein Megaskandal": "Ist es verantwortlich, nicht geprüfte Tests, von denen man nicht weiß, ob sie valide sind, zur Anwendung zu bringen?" Von Behördenseite wird erwidert, dass die Umstände die Aufweichung nötig machten und man laufend und engmaschig kontrolliere. Vor allem, wenn Auffälligkeiten eingemeldet werden. Doch wie oft das bisher passiert ist, bleibt vorerst offen.

Liste auf europäischer Ebene eingeführt

Ohne die Möglichkeit, Testmaterialien schneller zuzulassen, würde man heute wohl immer noch ohne Testmöglichkeiten dastehen, erklären Experten die Gesetzesnovellen. Zudem habe es im Vorjahr eine Vielzahl internationaler Studien zu Antigen-Tests gegeben und es finde ein reger Austausch auf internationaler Ebene statt.

Auch auf europäischer Ebene wird nun an einer einheitlichen Vorgehensweise in Sachen Tests gearbeitet. Im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Verkehr und die grenzüberschreitende Kontaktnachverfolgung sowie Behandlung erkrankter Personen, haben sich die EU-Mitgliedsstaaten auf eine gemeinsame Liste von COVID-19-Antigen-Schnelltests verständigt, deren Ergebnisse die Mitgliedstaaten gegenseitig anerkennen. Die Antigen-Schnelltest müssen eine CE-Kennzeichnung tragen, eine Sensitivität von mindestens 90 Prozent und eine Spezifität von mindestens 97 Prozent aufweisen und in mindestens einem EU-Mitgliedstaat validiert sein. Diese Liste wurde am 10. Mai 2021 grundlegend aktualisiert und erweitert.

Diese EU-Liste soll demnächst auch im Rahmen der öffentlichen Teststrategie auf nationaler Ebene umgesetzt werden. Ein entsprechendes Kammerrundschreiben erging zum Beispiel am Mittwoch an die österreichischen Apotheken. Demnach sollen künftig nur mehr Testkits auf Kosten des Bundes verwendet werden dürfen, wenn diese auf eben jener EU-Liste geführt werden. (ars, 13.5.2021)