Michael Choc leitet den Betrieb, den seine Ahnen um 1580 aufgebaut haben.

Foto: Urban Andy

Es schnalzt, der Ball fliegt gegen den Zaun, rundherum braust der Verkehr: Der Ballkäfig im Stefan-Weber-Park am Margaretengürtel ist endlich frisch rundumerneuert. Es kracht beim Kicken viel weniger laut als früher, dank der Schalldämpfer, die seit einigen Jahren nach den Vorgaben der Stadt Wien eingebaut werden.

"Da wird eine Gummientkopplung zwischen Steher und Gitter montiert, die verhindert, dass sich der Schall fortpflanzt." Über die Montage wacht Michael Choc, Geschäftsführer der Firma Jergitsch, die umzäunte Spielplätze baut. Der Familienbetrieb ist nicht die einzige Firma, die dies in Wien tut, aber wohl die mit der längsten Geschichte: Bis ins 16. Jahrhundert lassen sich die Jergitsch-Ahnen zurückverfolgen, weiß Petra Choc, die den Betrieb gemeinsam mit ihrem Bruder Michael führt und sich als Hobby-Familienhistorikerin und leidenschaftliche Fremdenführerin intensiv mit der Geschichte ihrer Vorfahren auseinandersetzt.

Ein Gitter, gut für die Ritter

Wie eine Urkundenerwähnung von 1580 beweist, liegen die Wurzeln des Familienunternehmens in Ulm, damals ein Zentrum der Metallverarbeitungskunst. Ob die Ahnen damals tatsächlich Ritterrüstungen schmiedeten, wie der Ritter im Firmenlogo suggeriert, ist nicht nachzuweisen; der charmante Werbereim des Ururgroßvaters von Petra Choc – "Die Brust geschützt durch Jergitsch Gitter, kämpften schon die alten Ritter" – gehört eher ins Reich der Gebrauchspoesie.

Ein altes Werbeschild.
Foto: Urban Andy

Fix ist: Irgendwann im 16. Jahrhundert waren die Vorfahren der Jergitschs ins heutige Kroatien ausgewandert, später nach Kärnten, wo die Gewerbe der Drahtzieher und Gitterstricker verbreitet waren. Nach der Jahrhundertwende kamen die Brüder Emmerich und Reinhold aus dem heimatlichen Klagenfurt nach Wien und bauten hier eine Filiale der väterlichen Firma auf, die später als eigenständiger Betrieb neu gegründet wurde.

Von damals existieren im Firmenarchiv noch hinreißende Jugendstilkataloge mit einer atemberaubenden Produktvielfalt. Die Wiener Jergitsch-Filiale dürfte allerdings in den ersten Jahrzehnten vor allem das vertrieben haben, was in Kärnten hergestellt wurde.

Die Liste der Produkte, die laut dem Jahreskatalog von 1914 erhältlich waren, liest sich wie ein Alltagsgedicht: Abtropfgitter, patentierte Hundehütten, romantisch geschnörkelte Gartenbänke, -tische und -stühle, weiters Stahldraht-Stoßbürsten ("die ideale Bürste für Kaminfeger"), Aufzug-Stiegengitter, Luft-Firmenschilder, Hühnergehege, Baumschutzgitter, Umzäunungen für modische Lawn-Tennis-Spielplätze, außerdem das Patent-Wurfgitter "Rapid" (unübertroffen, um Sand oder Erde nach Körnung zu sortieren), schmiedeeiserne achteckige Gartenkioske, und – topaktuell zu Zeiten, als Bettgeher noch üblich waren – die Neuheit!: Not- und Fremdenbetten um nur 25,50 Kronen, illustriert mit drei starken Männern, die das Drahtgittergeflecht mit Leichtigkeit zu tragen vermögen.

Das vergitterte Vogelhaus

Die Kataloge mit den detaillierten Federzeichnungen sind ein reizvolles Stück Alltagsgeschichte, weil die Jergitsch-Produkte fast jeden nur vorstellbaren Lebensbereich umfassten, vom Privaten über das Städtisch-Wienerische. Auf Produktfotos aus den Sechzigerjahren ist etwa zu sehen, dass die aufwendige Vergitterung des Vogelhauses im Tiergarten Schönbrunn ebenso von Jergitsch hergestellt worden war wie das komplexe Drahtgestell jener Kristallluster, die einst die Sophiensäle zierten. "Ich bin selber ganz fasziniert von diesen Fotos", sagt Petra Choc. "Unser neuestes Produkt sind Steighilfen für Rauchfangkehrer – aber sowohl in dem Katalog von 1914 als auch auf den Fotos aus den 60er-Jahren gab es das schon. Es war alles schon einmal da!"

Petra Choc führt nicht nur den Betrieb gemeinsam mit ihrem Bruder, sie ist auch die Familienhistorikerin.
Foto: Urban Andy

Wenn Petra Choc beim Termin am heutigen Firmengelände in Rothneusiedl am Rande von Wien zu erzählen beginnt, tun sich ganze Welten auf: von der Oma, die im legendären Freihausviertel noch bis in die Siebzigerjahre Möbel verkaufte, von der Tante, die als eine der Ersten ihres Jahrgangs Technik studierte, und vom Urgroßvater Emmerich und seinem weitgereisten Bruder Reinhold, die ihr Geschäft in der Elisabethstraße im ersten Bezirk hatten und jeden Morgen in ein anderes Kaffeehaus zum Frühstück und Networking gingen – der eine ins Café Museum, der andere ins heute geschlossene Café Pöchhacker am Karlsplatz. Unterdessen traf Urgroßmutter Maria ihre Damenrunde im Café Sperl – ungewöhnlich zu einer Zeit, in der Frauen ohne männliche Begleitung im Kaffeehaus noch eine Seltenheit waren.

Choc hat auch über jene Zeit Nachforschungen angestellt, die in Firmengeschichten sonst gern ausgelassen wird. Sie sagt, es habe wohl auch in der Familie jene gegeben, die Pamphlete verteilt haben, doch zumindest ist nicht nachweisbar, dass die Firma in der NS-Zeit profitiert habe – im Gegenteil: "Wir wissen, dass die Firma Jergitsch nie in der Rüstungsindustrie war", so Choc, "angeblich war die Firma auch eine von denen, die sich geweigert hatten. Daher mussten die Söhne beide in den Krieg, der eine ist kurz nach Kriegsende in Frankreich gestorben, der andere wurde unter schlimmen Umständen vermisst." Nach dem Tod der beiden Söhne mussten die Töchter in den Betrieb einsteigen, ein Geschäftsführer wurde dazugeholt. Zwei Generationen später arbeiten bereits Michael Chocs Kinder im Betrieb mit.

Ein Salettl wie aus dem Jahr 1914

Die Drahtzieherei und das Gitterstricken sehen heute ganz anders aus, wenige große Maschinen stellen jene Gitter her, die in ganz Europa verbaut werden. Die Firma Jergitsch arbeitet aber nach wie vor auch kleinteilig. Fast die Hälfte des momentanen Auftragsvolumens kommt heute von der Stadt Wien. Ein wichtiger Bereich ist der Bau tragender Stahlkonstruktionen, und auch bei den Einzäunungen von Pumpwerken und Brunnen wird die Firma beauftragt, zu niedrige Zäune und Tore zu ersetzen. Vieles stellen die Jergitschs für die Hausverwaltung Wiener Wohnen her, von der Wartung von Tiefgaragen bis zu den Brandschutztüren, Fahrradständern, Aufzugsumwehrungen, absperrbaren Müllsammelplätzen – die Liste klingt ein wenig prosaischer als aus dem Katalog von 1914.

Das Know-how von früher ist aber nach wie vor in der Firma, Michael Chocs Sohn Kai kann auch restaurieren: Die historischen Gitter der Hochschule für Bodenkultur im 18. Bezirk etwa wurden dem Denkmalschutz entsprechend mit historischen Materialien und Werkzeugen erneuert und im Originalzustand wieder aufgebaut. "Und ein Kunde wollte für seine Dachterrasse die Sonderanfertigung eines Salettls aus dem Katalog von 1914", so Michael Choc, "schade, dass man das von herunten nicht sieht." Die Ballspielplätze, die die Jergitschs seit 25 Jahren für die Stadt Wien bauen, sind vielleicht nicht ganz so elegant. Aber dafür profitieren mehr Menschen davon. (Magdalena Miedl, 14.5.2021)