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Die Spuren von Gewalt und Zerstörung sind in Tigray überall zu sehen.

Foto: AP/Ben Curtis

Von den Augen der Weltöffentlichkeit weitgehend abgeschottet, halten die Menschenrechtsverletzungen in der äthiopischen Tigray-Provinz unvermindert an. Entgegen den Ankündigungen der äthiopischen Regierung haben sich die Truppen aus dem Nachbarstaat Eritrea noch immer nicht aus der besetzten Region zurückgezogen: Sie werden von der dortigen Bevölkerung, von Mitarbeitern internationaler Hilfsorganisationen und den wenigen in die Provinz gelassenen Journalisten für einen Großteil der Menschenrechtsverbrechen verantwortlich gemacht.

Teilweise seien die eritreischen Soldaten inzwischen in äthiopische Uniformen gekleidet, heißt es in Berichten aus dem Bürgerkriegsgebiet: Sie seien vor allem dafür verantwortlich zu machen, dass Hilfslieferungen nicht in die am schlimmsten betroffenen Regionen gebracht werden könnten. Selbst nach Angaben der äthiopischen Regierung sind 5,2 Millionen Menschen, mehr als 95 Prozent der Provinzbevölkerung, auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen.

Eritreische Truppen konfiszieren Nahrungsmittel

In einem Journalisten zugespielten Bericht des "Nothilfe-Koordinations-Zentrums" der von der Zentralregierung eingesetzten Übergangsregierung von Tigray ist von der "Blockade" und "Plünderung" ausländischer Hilfslieferungen durch eritreische Soldaten die Rede. Diese tauchten auch immer wieder bei der Verteilung von Hilfsgütern auf, heißt es weiter: Die "verängstigte Bevölkerung" suche daraufhin das Weite, während die eritreischen Truppen die Nahrungsmittel konfiszierten. Der von Addis Abeba eingesetzte Chef der Provinzverwaltung, Mulu Nega, trat in der vergangenen Woche ohne Nennung von Gründen zurück.

Die eritreischen Truppen hätten in der Tigray-Provinz eine "Terrorherrschaft" errichtet, berichtet ein Team des US-Senders CNN: "Sie töten, vergewaltigen und blockieren Hilfslieferungen für die hungernde Bevölkerung – und das mehr als einen Monat nach der Ankündigung ihres Abzugs durch den äthiopischen Premierminister Abiy Ahmed."

Im lokalen Fernsehsender Tigray TV sprach Abebe Gebrehiwot, der Stellvertreter des zurückgetretenen Provinzchefs Mulu, von einer "gezielten Kampagne", die Bevölkerung von der Landwirtschaft abzuhalten. Kleinbauern würde der Zugang zu ihren Feldern verwehrt, außerdem werde der Transport von Saatgut behindert. Die Absicht des Militärs sei offensichtlich, "das Volk von Tigray verhungern" zu lassen, sagte Abebe.

Verfolgungswelle gegen Angehörige der Tigray

Auch außerhalb der Provinz wird von einer zunehmenden Verfolgungswelle gegenüber Angehörigen der Tigray berichtet, die gut fünf Prozent der 110 Millionen Äthiopier ausmachen. Sie würden "verhaftet, verfolgt, von ihren Jobs gefeuert oder suspendiert", heißt es in einem Reuters-Bericht: Soldaten aus Tigray würden in Internierungslagern festgehalten, Diplomaten von ihren Posten abgezogen, Professoren um ihre Lehraufträge gebracht. In einem Lager außerhalb der Hauptstadt Addis Abeba seien mehr als 300 Männer, Frauen und Kinder unter "miserablen" Bedingungen eingesperrt.

Mehr als 100 im Rahmen einer UN-Mission im Nachbarland Sudan dienende Soldaten, die jetzt abgezogen werden sollten, ersuchten Ende vergangener Woche um Asyl: Derzeit warteten sie an einem "sicheren Ort" auf die sudanesische Entscheidung über ihren Asylantrag, teilte die Flüchtlingsorganisation UNHCR mit. Unterdessen sprach der Patriarch der Äthiopischen Orthodoxen Kirche, Abune Mathias, in einer privaten Videobotschaft von einem "Völkermord" in Tigray: "Sie wollen mit Akten von höchster Brutalität und Grausamkeit unser Volk zerstören."

Der selbst aus Tigray stammende Kirchenführer wird derzeit gegen seinen Willen in Addis Abeba festgehalten: Schon seit Wochen werde er daran gehindert, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Die Videobotschaft wurde von einem ausländischen Besucher aus dem Aufenthaltsort des Patriarchen in Addis Abeba geschmuggelt. (Johannes Dieterich, 14.5.2021)