Am 19. Mai kehrt Leben in die Gastronomie zurück – und damit auch in die Logistikketten dahinter.

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Wien – Die Briten hatten den Durst ihrer Landsleute unterschätzt. Kaum waren ihre Pubs geöffnet, drohte auch schon das Bier zu versiegen. Der Ansturm auf die Wirte übertraf alle Prognosen. Brauereien kamen mit dem Liefern nicht mehr nach.

Österreich jedoch werde das herbe Schicksal Großbritanniens nicht ereilen, versichert die Braubranche hierzulande einhellig. Dem Bierland werde der Gerstensaft nach dem Neustart der Gastronomie am 19. Mai nicht ausgehen.

Schon vor Wochen wurde in Salzburg damit begonnen, die Kapazitäten hochzufahren und die Biertanks frisch zu befüllen, erzählt Stiegl-Geschäftsführer Thomas Gerbl. "Denn wenn alle Kunden zeitgleich bestellen, sprengt dies unser System."

Bier für Sirup und Gelee

Wie andere Braubetriebe auch, schüttete Stiegl einige Tausend Fässer Bier aufgrund der monatelangen Lockdowns weg. Ein Teil aber wurde, ehe es die Grenzen der Haltbarkeit überschritt, zu Suppe, Sirup, Chutney und Gelee. Frauen kochten es über ein Sozialprojekt in den Töpfen des Unternehmens ein.

Mehr als 130 Tage lang währte die Durststrecke der Österreicher. Mitte nächster Woche ist der Weg zum Wirt unter Auflagen wieder frei. Damit kehrt auch in dahinterstehende Logistikketten Leben zurück. Geliefert wird staffelweise. Auf Trockensortiment folgt frische Ware.

Rückkehr der Großpackungen

Die Lebensmittelindustrie stellt ihre Anlagen von kleinen Einheiten auf Großpackungen um: Fünf-Kilo-Säcke an Nudeln sind ebenso wieder gefragt wie Zehn-Liter-Eimer an Joghurt und kartonweise Flüssigei.

Doch wer kennt den tatsächlichen Bedarf? Drohen Engpässe, sollten die Österreicher über die Maßen der eigenen Küche entfliehen? Wie gesalzen werden die Preise sein, mit denen Wirte zu kompensieren versuchen, was sie die Corona-Krise mitsamt den hohen Sicherheitsauflagen kostet?

Thomas Panholzer hat Wochen des Rechnens und Kalkulierens hinter sich. Der Chef des Großhändlers Transgourmet versorgt mit gut 1.440 Mitarbeitern weite Teile der Gastronomie. Bedenken, dass sich Wien zieren könnte, bei den Lockerungen mit dem Rest Österreichs mitzuziehen, hatte er keine. Niemals hätte die Bundeshauptstadt dabei zugesehen, wie Wirte in Niederösterreich oder im Burgenland sie links und rechts überholen, ist er sich sicher.

Städte im Nachteil

Panholzer geht davon aus, im Mai 30 Prozent weniger Umsatz als 2019 zu erzielen. Übers Jahr würden sich die Einbußen bei 15 Prozent einpendeln. Zu groß blieben die Restriktionen, als dass von einer Rückkehr in die Normalität die Rede sein könne.

Sperrstunde um 22 Uhr und Stillstand der Nachtgastronomie, weniger Sitzplätze aufgrund großer Abstände, vor allem aber auch der verhaltene Tourismus mitsamt den fehlenden Kongressen bremsten die Geschäfte der Wirte. Vor allem in Städten, die weniger Urlauber aus dem eigenen Land anziehen, kämen sie erst verzögert in Schwung.

Transgourmet selbst holte bisher ein Drittel der Mitarbeiter zurück in die Vollbeschäftigung. Ob die Kurzarbeit mit Ende Juni beendet wird, macht der Konzern vom Verlauf der kommenden Wochen abhängig. An rasanter Expansion wird festgehalten. Transgourmet investiert 30 Millionen Euro in einen neuen Markt in Zell am See. Der Standort Salzburg wird großflächig erneuert.

Kampf um Lieferverträge

Die Branche kämpft mit härteren Bandagen denn je um Gastronomiekunden. Riesen wie Transgourmet, Metro und Rewe duellieren sich mit Familienbetrieben wie Kastner um teils langjährige Lieferverträge.

Christof Kastner, Chef der gleichnamigen Handelsgruppe, warnt davor, dass auch der Markt für Zulieferer für Großküchen und Gastronomen zum Oligopol wird. Verhindert wurde bisher das große Sterben der Wirtshäuser. 5.000 könnten infolge der Krise zusperren, fürchteten viele in der Branche noch im Vorjahr.

Die Gastronomie dürfe sich über die bisherigen staatliche Hilfe nicht beklagen, zieht Kastner Bilanz. Gut weg kämen vor allem jene, die über mehrere selbstständige Gesellschaften verfügten.

Auffangnetz mit Löchern

Kastner erinnert jedoch auch an Wirte, die durch das Auffangnetz fielen, etwa aufgrund eines Generationswechsels knapp vor der Krise. Was sein eigenes Unternehmen mit 900 Mitarbeitern betrifft, so mache das Geld aus den Fördertöpfen gerade einmal ein Drittel des im Corona-Jahr verlorenen Rohertrags wett.

Kastner appelliert daran, neue Lösungen für Kurzarbeit und Förderungen für die Branche zu finden. Solange die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen gerade im städtischen Bereich unsicher blieben, dürften die Hilfen für einen Teil der Betriebe nicht ersatzlos auslaufen.

Steigende Preise

Wie viel sich die Österreicher Essen außer Haus heuer kosten lassen, wird sich erst weisen, zumal sich etliche Gäste an die bequeme Zustellung bis vor die Tür gewöhnt haben. Dass ihnen Wirte Speis und Trank billiger geben werden als vor Corona, ist zu bezweifeln. Kastner erwartet eine moderate Teuerung: Es gebe an vielen Fronten Preiserhöhungen, die auf die Gastronomie durchschlugen.

Panholzer sieht die Preise auf den Speisezetteln nicht infolge etwaiger Engpässe, sondern aufgrund höherer Qualität auf den Tellern steigen. In der Gastronomie wachse der Bedarf an regionalen und biologischen Lebensmitteln, sagt er. Das zeigten auch Ausschreibungen des Bundes rund um die Gemeinschaftsverpflegung, von Kasernen bis zu Spitälern.

Doppelzüngige Politik

Für Kastner spricht die Politik jedoch sehr doppelzüngig. "Sie fordert mehr Bio ein, mehr kosten darf es nicht. Das geht sich für viele Großküchen nicht aus." Nicht angekommen sei in Österreich zudem, dass Regionalität in der EU nur ausgelobt werden dürfe, wenn sie mit besonderer Qualität einhergehe. "Regional ist nicht das neue Bio. Und wie arm wären Speisekarten ohne italienischen Prosciutto und griechischen Schafskäse."

Dass die Versorgung der Wirte im Zuge eines enormen Gästezulaufs da und dort ins Stocken gerät, bezweifelt Kastner. "Und sollte das Bier wirklich einmal knapp werden, Wein gibt es noch genug." (Verena Kainrath, 14.5.2021)