In Nischni Nowgorod setzte man unter der Führung von Siegfried Wolf auf Modernisierung und auf einen neuen Fokus. Und das durchaus mit einigem Erfolg.

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Der Frühling bringt gute Nachrichten: Die Autoverkäufe in Russland sind im April im Vergleich zum Vorjahr förmlich nach oben geschossen. Laut der Assoziation des Europäischen Business (AEB) verkauften die Autohändler 151.964 Neuwagen und damit um 290 Prozent mehr als im April 2020.

Doch euphorisch wird Thomas Sterzel, der Leiter des Automobilkomitees beim AEB, angesichts der Zahlen nicht, schließlich wurde das Ergebnis im Vorjahr just in dieser Zeit durch einen rigorosen Lockdown massiv beeinträchtigt. "Insgesamt beliefen sich die Verkäufe in den ersten vier Monaten auf 515.934 Neuwagen, was – wie erwartet – um 24,3 Prozent über dem Ergebnis von 2020, aber auch um 4,5 Prozent unter dem Resultat für 2019 liegt", sagte Sterzel.

Auf zum russischen Markt

Einst gaben die großen Autobauer Vollgas, um auf den russischen Markt zu kommen, schließlich hatte der Kreml schon früh mit Protektionsmaßnahmen Anreize für eine Lokalisierung der Produktion geschaffen. Toyota, VW, Ford, Renault oder General Motors. Sie alle kamen, um von St. Petersburg über Kaluga und Togliatti bis hin nach Wladiwostok eigene Produktionsstätten aufzubauen.

Der Moskauer Autosalon machte den etablierten Veranstaltungen in Frankfurt und Genf Konkurrenz. 2008 prognostizierte der damalige Chef des deutschen Verbands der Automobilindustrie, Matthias Wissmann, bei seinem Messebesuch in Moskau, dass Russland bald der wichtigste Markt in Europa sein werde mit einem Absatz von knapp 3,5 Millionen Neufahrzeugen. Die Vorhersage sollte sich nie erfüllen. Zuletzt wurden 1,6 Millionen (2017), 1,8 Millionen (2018), 1,76 Millionen (2019) und nun wieder 1,6 Millionen Neuwagen in Russland abgesetzt.

Heuer sagt der AEB ein leichtes Wachstum von 2,1 Prozent voraus – weit weg von einstigen Traumzielen. Der Markt kämpft mit der stetigen Rubelabwertung und den seit Jahren sinkenden Realeinkommen der Bürger.

Wolf als Modernisierer

Mit der Krise hat auch der Konzern Gaz von Oleg Deripaska zu kämpfen. Im vergangenen Jahr gingen die Umsätze bei den Kleintransportern um 20 Prozent auf 51.169 Fahrzeuge zurück. Logisch, denn angesichts der Krise war der Bedarf an Nutzfahrzeugen ebenfalls gering.

Dabei kann der Konzern aus Nischni Nowgorod unter der Führung von CEO Siegfried Wolf in den vergangenen zehn Jahren durchaus auf eine erfolgreiche Modernisierung und Neufokussierung verweisen. Der einst als Wolga-Schmiede bekannte Autobauer hat sich inzwischen als Hersteller von Nutzfahrzeugen, Bussen, Lkws und vor allem Kleintransportern der Marke Gazelle etabliert. Die Gazelle wird nicht nur in Russland verkauft, sondern auch in die GUS, nach Nordafrika und Südamerika exportiert.

Zweites Standbein

Nebenbei hat Wolf mit der Montage anderer Automarken dem Konzern ein zweites Standbein verschafft. Gerade die Kooperation mit VW lief sehr erfolgreich. Seit 2011 werden in Nischni Nowgorod verschiedene VW- und Škoda-Modelle zusammengeschraubt. Eine geplante noch engere Verzahnung – zeitweise war von einem Einstieg VWs die Rede – scheiterte an den 2018 von den USA gegen den Kreml-nahen Milliardär Deripaska verhängten Sanktionen, die unter anderem auch dessen Beteiligung an Gaz betreffen.

Gaz steht seit drei Jahren auf der Schwarzen Liste des dem US-Finanzministerium untergeordneten Amts für die Kontrolle von Auslandsvermögen (OFAC). Seither hängen die Sanktionsdrohungen Gaz wie ein schwerer Klotz am Bein, denn potenziell wird damit anderen Unternehmen die Arbeit mit dem Konzern verboten. Zwar wird die Umsetzung dieser Sanktionen immer wieder verschoben – die jetzige Gnadenfrist gilt bis Jänner 2022 –, doch Gaz werden internationale Kooperationen massiv erschwert. Zulieferer und Banken, die mit Gaz zusammenarbeiten, riskieren damit ebenfalls Strafen. Daimler hat deswegen seine Kooperation mit Gaz bereits beendet.

Rechenschaft

Die OFAC fordert von Deripaska die Abgabe der Kontrolle. Monatlich muss das Unternehmen nun Rechenschaft darüber ablegen, dass es weder in Deripaskas Namen noch für andere auf der Sanktionsliste stehende russische Oligarchen tätig ist. Die operative Geschäftsführung hat der österreichaffine Russe aufgegeben, doch der angedachte Verkauf hat bisher nicht geklappt. So kommt auch der Konzern nicht vom Fleck. Deripaska aber hofft, dass in den nächsten zwei Jahren die US-Sanktionen gegen Russland abgemildert würden, wie er am Donnerstag prognostizierte. Er wäre einer der größten Profiteure. (André Ballin aus Moskau, 14.5.2021)