Wie sehr die jüngste Eskalation im Nahostkonflikt Menschen bewegt, zeigte sich am Mittwochabend in Wien. Rund 2.500 Menschen gingen auf die Straße, um gegen das militärische Vorgehen Israels zu protestieren.

Während der Kundgebung auf der Mariahilfer Straße waren antisemitische Sprechchöre zu hören, Fahnen der palästinensischen Terrororganisation Hamas zu sehen, und auf Transparenten wurde der Holocaust relativiert. Es war eine der größten antisemitischen Kundgebungen der vergangenen Jahre. "Das ist keine politische Kritik, sondern antisemitische Hetze", kommentierte der Schriftsteller Doron Rabinovici auf Twitter.

Doron Rabinovici auf Twitter.

In der jüdischen Community Wiens wurde die Demonstration mit Sorge beobachtet. "Es ist für uns als junge Jüdinnen und Juden wirklich verstörend, auf der Straße und auf Social Media mit Antisemitismus, Hitler-Verherrlichungen und Morddrohungen konfrontiert zu werden", sagt Lara Guttmann, Co-Präsidentin der Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen. Und sie betont, dass "jeder Mensch das Recht hat, sich über israelische Politik kritisch zu äußern und gegen diese zu demonstrieren, jedoch darf dies keinesfalls mit antisemitischen Organisationen und Botschaften einhergehen".

Eine Video von der Demo.

Schon kurz nachdem der Demonstrationszug gestartet war, waren Rufe wie "Israel Kindermörder" oder "Chaiber, Chaiber (antisemitisches Massaker, Anm.), oh, ihr Juden, Mohammeds Heer kommt bald wieder" zu hören. Dazu wurde offen zu einer neuen Intifada, also zu einem gewalttätigen Aufstand gegen Israel, aufgerufen. Neben zahlreichen Jugendlichen war beinahe das gesamte islamistische Spektrum der Hauptstadt vertreten, darunter Anhänger und Anhängerinnen der Hamas sowie Personen aus dem Umfeld des sogenannten "Islamischen Staates" und der Muslimbruderschaft. Auch Personen, die den Grauen Wölfen oder der türkischen Regierungspartei AKP von Recep Tayyip Erdoğan nahestehen, waren auszumachen. Wiener AKP-Aktivisten unterstützen auf Facebook offen die Raketenangriffe der Hamas auf Israel.

Dazu gesellten sich Aktivisten und Aktivistinnen linker Splittergruppen, die gegen den Zionismus wetterten, eine neue Intifada propagierten oder Parolen für Sprechchöre vorgaben. Auch Menschen aus der Gruppe "Boycott, Divestment and Sanctions" (BDS) waren mit dabei. Die Gruppierung versucht mit ihren Kampagnen, den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch zu isolieren.

Foto von der Demo. Es war eine der größten Anti-Israel-Demonstrationen der vergangenen Jahre in Wien.
Markus Sulzbacher

Die Polizei begleitete die Demonstration zeitweise nur mit sehr wenigen Beamten. Nachdem Videos und Fotos von der Kundgebung auf Twitter öffentlich geworden waren, reagierte der türkise Innenminister Karl Nehammer. Er sprach von einer "Gefahr für unsere Demokratie", wenn das Grundrecht auf Versammlung durch antiisraelische und antisemitische Parolen missbraucht werde. Nehammer gab bekannt, dass der Verfassungsschutz Ermittlungen aufgenommen hat und jüdische Einrichtungen jetzt verstärkt überwacht werden. Wobei die Polizei selbst über keine Filmaufnahmen von der Demo verfügt.

Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) reagierte mit einer Aussendung auf die Vorkommnisse. "Menschen jüdischen Glaubens in unserem Land können und dürfen für die Ereignisse im Nahen Osten nicht verantwortlich gemacht werden", betonte er. Und: "Für jede Form von Antisemitismus darf es in unserem Land null Toleranz geben."

Auf der Demo wurde der Holocaust relativiert.
Foto: Markus Sulzbacher

Die jüdische Community in Österreich wird seit Tagen Ziel antisemitischer Angriffe im Netz. "Viele von uns haben inzwischen ihre Social-Media-Accounts deaktiviert, weil sie es nicht mehr ausgehalten haben", sagt Lara Guttmann. (Markus Sulzbacher, 14.5.2021)