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Der Versicherungsmakler Karl G. hat sich in einer hohen zweistelligen Zahl von Uniqa-Lebensversicherungen nachträglich als Begünstigter eintragen lassen.

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Am 12. Mai 2019 wird der Versicherungsmakler Karl G. kurz nach 13 Uhr ungeduldig. Er schickt eine E-Mail an eine Sachbearbeiterin der Uniqa-Versicherung, im Betreff steht "Abrechnung", gefolgt von einer Polizzennummer. Im Anhang befindet sich eine Sterbeurkunde. "Wir warten immer noch auf die Abrechnung und auf die Überweisung. Können Sie da einmal in der Leistungsabteilung nachfragen, vielleicht steht da jemand auf der Bremse. Bitte um Bescheid. Vielen Dank."

Bei der angeführten Polizze handelt es sich um eine Lebensversicherung. Sie wurde vom pensionierten Landesbediensteten Peter Ranftl* 2009 auf Vermittlung von G. abgeschlossen. Für G. ist es eine Versicherung von vielen, seit über 30 Jahren ist er als Makler tätig. Für Ranftl hingegen ist es eine Absicherung, er möchte seiner Frau eine sorgenfreie Zukunft bescheren, sollte er versterben.

Die Gunst der Stunde

Als G. im Mai 2019 schließlich auf die Auszahlung pocht, ist Ranftl seit vier Monaten tot. G. wendet sich allerdings nicht im Auftrag seiner Kundin, der nunmehrigen Witwe Irene Ranftl*, an die Uniqa. Es geht um sein Geld – rund 247.000 Euro. Mittlerweile scheint nämlich G. selbst als Begünstigter in der Lebensversicherung auf. Und das nicht nur beim Ehepaar Ranftl.

Der Versicherungsmakler hat sich in einer hohen zweistelligen Zahl von Uniqa-Lebensversicherungen nachträglich als Begünstigter eintragen lassen. Daran hat sich weder die Uniqa noch die Staatsanwaltschaft Wien im Zuge eines Ermittlungsverfahrens gestört. Das geht aus dem Ermittlungsakt sowie den betreffenden Versicherungspolizzen hervor, die dem STANDARD vorliegen.

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Lange Laufzeit, hohe Prämien, davon hat auch der Versicherungsberater etwas.
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Die Geschichte von G. ist die Geschichte eines Maklers, der sich über viele Jahre mit Geschick und Fleiß einen beachtlichen Kundenstock aufgebaut hat. Seine Geschäfte haben ihm zu mehreren Millionen Euro an Provisionen und Auszahlungen, prächtigen Büros in Wien-Döbling und Baden sowie zu einem Anwesen in der Karibik verholfen. Der STANDARD hat über Monate rund um G. und seine Geschäftspraktiken recherchiert und mit mehreren (ehemaligen) Klienten gesprochen.

Vertrauensverhältnis aufbauen

Sie zeichnen das Bild eines Mannes, der zuvorkommend auf seine Kunden zugeht und es versteht, zunächst einen seriösen Eindruck zu hinterlassen. Das Schema ist oft dasselbe: Der erste Kontakt kommt auf Eigeninitiative des Maklers zustande. Mal recherchiert G. in Geburtenregistern und ruft die junge Mutter an, mal steht er unangekündigt vor Haustüren, um für seine Produkte und Dienste zu werben.

Er baut teilweise über Jahrzehnte geduldig Vertrauensverhältnisse auf, für viele wird aus G. schlicht "der Karli". Dabei handelt er bevorzugt mit Versicherungen der Wiener Städtischen und der Uniqa. Mittlerweile wollen beide Unternehmen keine Geschäfte mehr mit ihm machen, teilweise sind noch Verfahren anhängig.

Exemplarisch für das Handeln von G. ist der Fall des Ehepaars Ranftl. Begonnen hat alles mit einem Krankenhausaufenthalt im Jahr 2005. G. und Peter Ranftl teilen sich in der Privatklinik Döbling ein Zimmer. Dabei kommen sie ins Gespräch, G. erzählt von seiner Tätigkeit als Versicherungsmakler und Ranftl vom Wunsch, seine Frau finanziell abzusichern.

Seine Frau Irene beschreibt Peter Ranftl als sparsamen Menschen, Anlagen wie Lebensversicherungen seien davor nie Thema gewesen. Dennoch schließt Ranftl im Juni des darauffolgenden Jahres über G. gleich zwei davon bei der Uniqa ab. Die Arbeiterkammer rät in diesem Fall zu einer reinen Risikoversicherung, die nur den Todesfall abdeckt.

G. überzeugt Ranftl, gemischte Er- und Ablebensversicherungen zu kaufen. Es wird also nicht nur der Todes- sondern auch der Erlebensfall versichert, was die jährlichen Prämien steigen lässt, die Versicherung somit teurer macht und die Maklerprovision erhöht.

Hohe Prämien, lange Laufzeit

Bei Vertragsabschluss ist Ranftl nicht nur bereits gesundheitlich gezeichnet, sondern auch schon 68 Jahre alt, seine Frau 65. Gleichwohl beträgt die Laufzeit der Versicherungen 20 Jahre, die Prämien verschlingen je 25.000 Euro pro Jahr. Angesprochen auf die für die Ranftls offensichtlich unpassenden Konditionen, heißt es seitens der Uniqa, dass Limits hinsichtlich Alter und Prämienhöhe eingehalten worden seien. Die Uniqa habe allerdings keinen Einfluss auf die Beratungsleistung eines Maklers.

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Die Geschichte von G. ist die Geschichte eines Maklers, der sich über viele Jahre mit Geschick und Fleiß einen beachtlichen Kundenstock aufgebaut hat.
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Ranftl bedient die Prämien der Versicherungen zwei Jahre lang, entschließt sich jedoch im Jahre 2008 zu einer Prämienreduktion. Per 1. Juni 2011 lässt er beide Versicherungen sogar komplett prämienfrei stellen. Trotzdem schließt das Ehepaar 2009 zwei weitere Lebensversicherungen über G. bei der Uniqa ab, erneut sind die Prämien hoch und die Laufzeiten lang. Als sich der Gesundheitszustand von Ranftl 2013 massiv verschlechtert, das Ehepaar die Wohnung im 15. Bezirk umbauen und teilweise zwei 24-Stunden-Pflegerinnen gleichzeitig beschäftigen muss, kann Ranftl die Prämien nicht mehr bezahlen.

Zwei Versionen

Da kommt G. mit einem Vorschlag. Ranftl solle die Polizzen einfach an eine dritte Person "übergeben", die anschließend die Prämien an seiner Stelle weiterbezahlen würde. An dieser Stelle beginnt sich die Geschichte in zwei Versionen zu teilen. G. behauptet, dass er mit dem Vorschlag an Peter Ranftl herangetreten sei, die Polizzen selbst zu übernehmen und die Prämien fortan zu bedienen.

Ranftl sei davon begeistert gewesen. Es habe weiters eine mündliche Vereinbarung zwischen G. und Peter Ranftl gegeben, dass im Falle einer Auszahlung das Geld intern anteilig aufgeteilt werde und G. für die Übernahme der Prämien von Ranftl eine zusätzliche Entschädigung erhalten solle. Irene Ranftl bestreitet dies jedoch, eine Verschriftlichung dieser Abmachung gibt es nicht.

Was es gibt, ist eine von den Ranftls unterschriebene Blanko-Veränderungsanzeige, datiert am 16. 11. 2013. Ein Formular also, mit dem sowohl Versicherungsnehmer (VN) als auch Begünstigter geändert werden können. Die Ranftls tragen sich als bisherige VN ein und unterschreiben. Die Spalte, die den neuen VN und somit auch neuen Begünstigten ausweist, bleibt jedoch zunächst frei.

Vollmacht

Wenige Tage später holt G. von den Rantfls auch noch eine versicherungstechnische Vollmacht ein. 2014 schließlich lässt er sich damit bei der Uniqa in allen Lebensversicherungen als neuen Begünstigten eintragen und bedient die jährlichen Prämien fortan großteils selbst. Die Ranftls, die ursprünglich Lebensversicherungen abgeschlossen hatten, um sich gegenseitig abzusichern, sind damit bezüglich einer Auszahlung faktisch rechtlos gestellt.

Bei Konsumentenschützern ruft der Umstand, dass sich der Makler nachträglich als Begünstiger eintragen lässt, Erstaunen hervor.
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Ein Versicherungsmakler, der sich selbst nachträglich als Begünstigter bei Lebensversicherungen, die er noch dazu selbst vermittelt hat, eintragen lässt, ruft bei Christian Prantner Verwunderung und Unverständnis hervor. Prantner ist Teamleiter des Bereichs Finanzdienstleistungen bei der Arbeiterkammer und seit Jahren im Bereich Konsumentenschutz aktiv.

"Das ist alles in allem höchst ungewöhnlich. Das sind Praktiken, die höchst seltsam sind und auch dem gewöhnlichen Geschäftsgebaren eines Versicherungsmaklers nicht entsprechen." Prantner wurde über die Jahre mit zahlreichen konsumentenschädigenden Methoden aus der Versicherungsbranche konfrontiert. Eine derartige Vorgehensweise sei ihm noch nicht untergekommen, wie er sagt.

Maklergesetz

Doch nicht nur Konsumentenschützer, auch Standesvertreter reagieren verblüfft bis entsetzt, wenn sie auf derartige Praktiken angesprochen werden. Christoph Berghammer ist Obmann des Fachverbands der Versicherungsmakler in der Wirtschaftskammer und verweist auf das Maklergesetz: "Wir als Makler haben eine Verpflichtung gegenüber dem Kunden, seine Interessen zu wahren. Dieses Verhalten ist in höchstem Maße unseriös, unsittlich und unredlich. Solche Aktivitäten wollen wir in unserem Berufsstand nicht."

Von der Uniqa heißt es dazu: "Dass die Übertragung auf den vermittelnden Makler erfolgen soll, kommt nicht täglich vor, ist allerdings auch nicht völlig ungewöhnlich."

Lebensversicherungen sind ein wichtiger Geschäftszweig für österreichische Versicherungen. Im Jahr 2019 erhielt Uniqa Österreich laut eigenen Angaben aus Lebensversicherungen Prämien in der Höhe von insgesamt 983,9 Millionen Euro bei einem Gesamtvolumen von 3,8 Milliarden bei allen Versicherungen.

Hinter der Wiener Städtischen (23,74 Prozent) rangiert sie laut dem Verband der Versicherungsunternehmen in Österreich auf Platz zwei mit fast 18 Prozent Marktanteil. Doch hätte nicht die Uniqa bereits aufgrund des Geschäftsgebarens des Versicherungsmaklers G. stutzig werden sollen?

Unsaubere Methoden

STANDARD-Recherchen haben nicht nur ergeben, dass es weitere Geschädigte gibt, sondern auch, dass sie die Uniqa auf die Praktiken von G. wiederholt aufmerksam gemacht haben. Dies zeigt sich insbesondere in der Aussage eines Mitarbeiters der Uniqa-Rechtsabteilung im Zuge eines Verfahrens im Oktober 2014: "Es kam zu einer massiven Häufung von Vorwürfen gegen den Beklagten als Makler wegen unlauterer Wettbewerbsmethoden, die mittlerweile auch nachgewiesen wurden."

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G. ist über die Jahrzehnte zu einigem Wohlstand gekommen.
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Konkret spricht der Jurist davon, "dass dem Beklagten regelmäßig vorgeworfen wurde, dass er die Versicherungsnehmer unter Druck setzt". Dabei drohte G., Ansprüche gerichtlich geltend zu machen, die ihm gesetzlich nicht zustehen, oder sprach von vermeintlich horrenden Verlusten, die bei Inanspruchnahme von gesetzlichen Kündigungs- oder Rücktrittsrechten jedoch gar nicht erfolgen.

Dokumente zeigen zudem, dass die Schlichtungskommission des zuständigen Fachverbands im März 2014 mit einem Fall befasst war, in dem G. nach vorzeitiger Kündigung Provisionen zurückforderte, was gemäß Versicherungsvertragsgesetz ausgeschlossen ist. Die Schlichtungskommission attestierte G. daher "wettbewerbswidriges Verhalten".

Irreführende Beratungen

G. ist also über die Jahrzehnte durch eine Mischung aus irreführender Beratung, dubiosen Geschäftsmethoden und dem zögerlichen Handeln der Versicherungen zu viel Geld gekommen. Zum einen drängte er seine Kunden dazu, bestehende Versicherungen frühzeitig aufzukündigen und in neue zu reinvestieren. In Folge der zahlreichen Kündigungen und der damit verbundenen Neuabschlüsse erhielt er einen beträchtlichen Betrag an Provisionen.

Zum anderen kam es in Folge seiner Beratung zu unpassenden Abschlüssen, und G. ließ sich in weiterer Folge in sehr vielen Fällen als Begünstigter in Lebensversicherungen eintragen, auf deren Auszahlung er nur mehr warten muss. Unternehmen wie Uniqa beendeten die Zusammenarbeit erst nach eigenen Rechtsstreitigkeiten und als die Kundenbeschwerden überhand nahmen.

Als Ranftl Anfang 2019 verstarb, wäre die Versicherungssumme grundsätzlich in den Nachlass gefallen. Wird jedoch explizit ein Begünstigter genannt, erwirbt dieser einen privatrechtlichen Anspruch, und die Versicherungssumme wird direkt an ihn ausgezahlt. Jedoch erstattete Irene Ranftl Anzeige und verlangte von der Uniqa, keine Auszahlungen an G. vorzunehmen.

Im sich daraus entwickelnden Ermittlungsverfahren häufen sich die Hinweise, dass G. nicht nur bei Ranftls Uniqa-Lebensversicherungen im Nachhinein als Begünstigter aufscheint. Auf die Frage des ermittelnden Beamten, ob G. noch bei weiteren Lebensversicherungen als Begünstigter aufscheint, schreibt eine Mitarbeiterin der Abteilung Legal & Compliance: "Herr G. hat noch weitere Lebensversicherungsverträge übertragen und sich bei diesen als Begünstigter eintragen lassen."

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Der Makler baut teilweise über Jahrzehnte geduldig Vertrauensverhältnisse auf. Nicht ohne Erfolg.
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Ohrenbetäubend laute Alarmglocken

Dass sie nicht untertrieben hat, zeigen weiterführende Recherchen des STANDARD: Tatsächlich wurde G. zeitweise in einer hohen zweistelligen Zahl an Lebensversicherungen als Begünstigter geführt und beglich seinerseits dafür jährlich Prämien in Höhe von insgesamt über 250.000 Euro. Selbst Uniqa-Mitarbeiter zeigen sich verwundert, dass eine derartig dubiose Konstruktion überhaupt – und noch dazu in einer so großen Anzahl – möglich ist. Vielmehr hätten die Alarmglocken ohrenbetäubend laut klingeln müssen.

Auf Anfrage ließ die Uniqa verlauten, dass die interne Aufarbeitung des Falles bereits vor den kriminalpolizeilichen Ermittlungen erfolgt sei: "Die Ergebnisse waren, dass die Uniqa-Mitarbeiter keinen Fehler begangen haben. Das Ehepaar Ranftl ist möglicherweise einem Betrug zum Opfer gefallen, den Uniqa nicht verhindern hätte können. Die Geschäftsbeziehung bestand zwischen 1991 und 2013 und wurde seitens Uniqa aufgekündigt aufgrund zunehmender Unstimmigkeiten in der Zusammenarbeit." Davor hat die Uniqa dank der von G. vermittelten Versicherungsverträge viel Geld mit Prämienzahlungen verdient.

Verdacht der Urkundenfälschung

Im Fall Ranftl stellte die Staatsanwaltschaft Wien jedoch das Verfahren ein. Die Behauptung G.s, dass er nach dem Tod von Peter Ranftl die Versicherungssumme gemäß der mündlichen Vereinbarung an Irene Ranftl ausgezahlt hätte, könne nicht zweifelsfrei widerlegt werden. Die Hinweise, wonach das Handeln von G. bei den Ranftls bei weitem kein Einzelfall ist, wurden von der Staatsanwaltschaft als nicht verfahrensrelevant erachtet.

Das Ehepaar hatte Lebensversicherungen abgeschlossen, um sich gegenseitig abzusichern. Es kam anders.
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Weiterführende Unterlagen wurden von der Uniqa nicht angefordert. Irene Ranftl bestreitet die Echtheit einzelner Veränderungsanzeigen, ein diesbezügliches Gutachten, das auf Basis von Kopien erstellt werden musste, kam zum Schluss, "dass derartiges Material nur hinweisliche, tendenzielle Aussagen zur Schrifturheberschaft zulässt", jedoch insgesamt für die Echtheit der Unterschriften spricht. Auch in einem anderen Fall gab es den Verdacht der Urkundenfälschung.

Alles richtig gemacht

Auffallend ist, dass alle Lebensversicherungen im Fall der Ranftls von derselben Sachbearbeiterin der Uniqa, Frau W., betreut wurden. Dem mehrmaligen Antrag, W. daher zu vernehmen, kam die Staatsanwaltschaft nicht nach.

Dies erscheint umso brisanter, als dem STANDARD eine E-Mail von G. an W. vorliegt, die er im Zuge der Vertragsübernahmen der Versicherungen der Ranftls im August 2014 sendete. Darin schreibt er: "Mir liegt sehr viel daran, dass Sie diese Vertragsübernahmen durchführen." Auch die Uniqa kann kein Fehlverhalten von W. erkennen: "Sie hat alles richtig gemacht."

Das Geld verwahrt das Bezirksgericht Leopoldstadt. Verstirbt Irene Ranftl, die ja bei den weiteren Lebensversicherungen als versicherte Person fungiert, wird die Versicherungssumme an G. ausbezahlt. Ranftls Anwalt Maximilian Donner-Reichstädter will nun Zivilklage einreichen. Für Karl G. gilt die Unschuldsvermutung, eine Beantwortung eines umfangreichen Fragenkatalogs lehnte er ab. (Timo Schober, 15.5.2021)