Verkehrslärm ist nicht nur unangenehm, er wurde bisher bei Erwachsenen mit verschiedenen lärmbedingten Krankheiten in Verbindung gebracht. Bei Kindern kann er zu Lern- und Sprachdefiziten führen. Das gilt offenbar sogar für Vogelkinder: Der akustische Stress stört Singvögel beim Erlernen ihres Gesangs und hemmt sogar ihr Immunsystem. Zu dem Ergebnis kommt eine Studie des deutschen Max-Planck-Instituts für Ornithologie in Seewiesen bei Starnberg.

"Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass junge Singvögel genau wie menschliche Kinder besonders anfällig für die Auswirkungen von Lärm sind, weil dieser das Lernen in einem kritischen Entwicklungsstadium beeinträchtigen kann", sagt der Projektleiter Henrik Brumm.

Verzögerte Entwicklung

Die Forschenden des internationalen Projekts halten es sogar für möglich, dass Verkehrslärm auf Dauer den Vogelgesang an sich verändern kann. Wie Kinder müssen Singvögel ihre Laute in einer sensiblen Phase ihrer Entwicklung früh im Leben von erwachsenen Tutoren lernen. Die Gesänge der Finken werden unter normalen Bedingungen in einem Alter von etwa 90 Tagen stabil und bleiben dann für den Rest ihres Erwachsenenlebens gleich.

Junge Zebrafinken – hier links neben mittelalten und alten Artgenossen – entwickeln sich je nach Lärmbelastung unterschiedlich.
Bild: Paul Jerem

Für die Studie hatte das Forschungsteam männlichen Zebrafinken-Küken regelmäßig den Gesang erwachsener Männchen vorgespielt. Eine Gruppe Vögel bekam zusätzlich Lärm zu hören, wie er entlang stark befahrener Straßen auftritt. Das Team maß neben Stressleveln auch mittels einem sogenannten PHA-Hauttest einen generellen Näherungswert dafür, in welchem Zustand das Immunsystem war.

Die Analyse der Daten ergab, dass junge Zebrafinken, die städtischen Lärmpegeln ausgesetzt waren, schwächere Immunreaktionen zeigten als die Küken aus ruhigen Nestern. Außerdem war die stimmliche Entwicklung der Vögel aus den lauten Nestern um mehr als 30 Prozent verzögert. Noch dazu war ihre Genauigkeit beim Lernen des Vogelsangs deutlich geringer.

Lärmbedingte Kopierfehler

Die Ergebnisse der Studie lassen sogar vermuten, dass Verkehrslärm die kulturelle Evolution des Vogelgesangs beeinflussen kann, da sich lärmbedingte Kopierfehler wahrscheinlich anhäufen, wenn der Gesang von einem Vogel zum anderen weitergegeben wird. "Unsere Arbeit markiert einen Durchbruch in der Erforschung der Auswirkungen von anthropogenem Lärm", sagt Sue Anne Zollinger, die Teil des Forschungsteams ist. "Sie zeigt, dass wir Lerndefizite durch Lärm anhand des Vogelgesangs experimentell untersuchen können."

Die Forschenden beobachten Zebrafinken schon länger. Im Herbst 2019 hatten sie eine Studie veröffentlicht, wonach Küken, die mit Straßenlärm aufwuchsen, kleiner waren als solche aus einem ruhigen Nistplatz. Später würden sie den Rückstand zwar wieder aufholen, Langzeitfolgen seien aber nicht auszuschließen. Andere Untersuchungen ergaben beispielsweise, dass Vögel lauter und zu anderen Zeiten singen, um Straßengeräusche zu übertönen. (red, APA, 15.5.2021)