Gehirn-Computer-Schnittstellen erkennen gedanklich geschriebene Buchstaben.
Bild: Erika Woodrum, Shenoy lab

Es ist eine neue Technologie, die insbesondere Personen mit Armlähmungen helfen könnte, wenn sie weiterentwickelt wird: Ein Team um den Stanford-Forscher Francis Willett veröffentlichte in der Fachzeitschrift "Nature" erste Ergebnisse der Zusammenarbeit mit einem Probanden, der vom Hals abwärts paralysiert ist. Mittels seiner Gedanken kann er Buchstaben schreiben, die ein technisches Gerät erkennt und in digitalen Text umwandelt.

Besonders Menschen mit Lähmungen der Gliedmaßen und der Stimmmuskulatur, die nicht tippen oder sprechen können, könnten davon profitieren. Die Methode stellt eine spannende Alternative zur Spracherkennung dar, die die Forschung an Gehirn-Computer-Schnittstellen (nach dem englischen "brain computer interface" oder "brain machine interface" mit BCI bzw. BMI abgekürzt) einen Schritt weiter bringt. So ließen sich im Kopf formulierte Texte übermitteln, ohne Mund oder Hände zu bewegen.

Spezifisches Muster pro Buchstabe

Wie funktioniert das Ganze? Der 65-jährige Proband, der 2007 eine Rückenmarksverletzung erlitt und dadurch unterhalb seines Halses kaum mehr Bewegungen steuern kann, erhielt vor fünf Jahren zwei BCI-Chip-Hirnimplantate durch den Neurochirurgen Jaimie Henderson, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. Pro Chip erfassen 100 Elektroden die Aktivität der Nervenzellen im motorischen Kortex, die üblicherweise die Bewegung der Arme und Hände steuern. Wenn die Person sich nun Buchstaben wie beim Schreiben mit der Hand vorstellt, kann die Schnittstelle diese "mentale Handschrift" in Form eines Musters elektrischer Impulse erkennen und auf einem Computerbildschirm darstellen. "Jeder Buchstabe ruft ein sehr unterschiedliches Muster an neuronaler Aktivität hervor", sagt Erstautor Willett.

So sieht das mental übermittelte Alphabet aus.
NPG Press

Das Verfahren baut auf Vorarbeiten des Co-Autors und Neurowissenschafters Krishna Shenoy auf. Er erforschte imaginäre Armbewegungen, mit denen Menschen Buchstaben per mentaler Cursorbewegung auf einer virtuellen Tastatur anklicken konnten. Dies funktioniert allerdings wesentlich langsamer als die neue Methode: Während hier nur 40 Zeichen pro Minute tippbar waren, brachte es der Proband mit der mentalen Handschrifterkennung auf 90 Zeichen pro Minute. Zum Vergleich: Die durchschnittliche Tippgeschwindigkeit beim Bedienen einer Tastatur liegt bei ungefähr 190 Anschlägen pro Minute. Wenn eine ältere Person ein Smartphone zum Tippen benutzt, kommt sie im Schnitt auf etwa 115 Zeichen. Davon sind die 90 Buchstaben nicht weit entfernt.

Potenzial für Locked-in-Syndrom

"Diese Arbeit könnte dazu beitragen, die Kommunikation bei Menschen wiederherzustellen, die schwer gelähmt sind oder das Locked-in-Syndrom haben", sagt Willett. Beim Locked-in-Syndrom kann eine Person sich ohne Hilfsmittel sprachlich oder körperlich kaum mitteilen und bewegen, während sie bei Bewusstsein ist.

Um das Ganze zu optimieren und noch bessere Methoden zu entwickeln, gibt es aber noch viel zu tun. "Es ist schwierig, Sprache mit ausreichender Genauigkeit und Wortschatzgröße zu dekodieren, um eine allgemeine Unterhaltung zu ermöglichen", sagt Willett. Das sei nicht ohne weiteres in den Computer zu übersetzen. Wann die Technologie in größerem Rahmen anwendbar ist, ist schwierig zu sagen. "Es gibt bereits Firmen, die an implantierbaren BCI-Geräten arbeiten", sagt der Forscher. "Wir hoffen, dass es eher innerhalb von Jahren und nicht von Jahrzehnten passiert."

Optimierbares Verfahren

Das Projekt zeigt laut Expertinnen und Experten einen deutlichen Leistungssprung auf dem Gebiet. Der Neurologe Mijail Serruya, der nicht an der Forschungsarbeit beteiligt war, betont gegenüber dem "Scientific American" die Relevanz für sein eigenes Fachgebiet: Auch nach einem Schlaganfall können motorische Kontrollsignale von BCIs dekodiert werden und die Patientinnen und Patienten bei der Kommunikation unterstützen.

Serruya merkt jedoch auch an, dass der Weg über geschriebene Buchstaben womöglich nicht die effizienteste Methode sei: "Warum sollte man der Person nicht eine neue Sprache beibringen, die auf einfacheren, elementaren Gesten basiert, ähnlich wie Steno-Akkorde oder Gebärdensprache?" Dies könne einerseits die Geschwindigkeit erhöhen, andererseits den Aufwand der User senken. (sic, 16.5.2021)