Nachdem Rudolf Nierlich bei der WM in Saalbach 1991 im Slalom gescheitert war, bestätigte er mit Gold im Riesenslalom seinen Titel aus Vail.

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Das schwer Fassbare ereignete sich in der Früh des 18. Mai 1991. Nahe St. Wolfgang im Salzkammergut kam ein Wagen bei regnerischem Wetter von der Straße ab, hob auf der bis zum Bankett hinuntergezogenen Leitschiene ab, flog über den Bach und krachte ins Obergeschoß des angrenzenden Hauses. Im Auto saß Rudi Nierlich. Der dreifache Skiweltmeister starb dabei an einem Genickbruch – er war gerade 25 Jahre alt.

Die fortan im Volksmund als Nierlich-Kurve bezeichnete tückische Passage mit einer Richtungsänderung von nahezu 90 Grad unweit seines Elternhauses wurde auch anderen Fahrzeuglenkern zum Verhängnis. 2015 verunglückte etwa ein 19-jähriger Feuerwehrmann dort ebenso tödlich. Die Leitplanke wurde danach verlängert, seither wurden keine Fahrzeuge mehr gegen die Mauer des dahinterliegenden Bügelzimmers eines Campingplatzbetriebes geschleudert.

"Wenn’s laft, dann laft’s"

Nierlich war einer der begnadetsten Skirennläufer seiner Zeit. Exzellenter Technik und einer unerschütterlichen inneren Ruhe verdankte er den Erfolg. Mit seiner bodenständigen, stoischen Art verzückte der Sieger von acht Weltcuprennen (23 Podestplatzierungen) das Publikum. "Wenn’s laft, dann laft’s", war einer seiner Sprüche, den er etwa nach seinem Debüterfolg im Weltcup beim Riesentorlauf in Schladming 1988 parat hatte.

Über Alberto Tomba, seinen wohl schärfsten Rivalen damals, sagte er nüchtern: "Er kocht auch nur mit Wasser." Daran erinnert sich auch sein Vater Günther Nierlich im Gespräch mit dem STANDARD. "Fast täglich denke ich an ihn. Wir haben im Stiegenhaus viele Bilder von der Zeit hängen, als er gewonnen hat", sagt der 76-Jährige, der sich mit dem tragischen Schicksal abfinden musste. "Mit den Jahren wird es besser, weil man es eh nicht ändern kann", sagt der frühere Fuhrparkunternehmer. Es sei ein kleiner Trost, dass sein Sohn vielen in guter Erinnerung geblieben ist.

Günther Nierlich erinnert sich fast täglich an seinen verstorbenen Sohn und an die "schöne Zeit" damals.
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Nierlichs Tod zählte zu einer schwarzen Serie für den österreichischen Skiverband: 1991 verunglückte Gernot Reinstadler bei der Abfahrt in Wengen und Damentrainer Alois Kahr bei einem Autounfall im Ennstal tödlich, 1992 kam Peter Wirnsberger II beim freien Skifahren in Altenmarkt ums Leben, 1994 starb Ulrike Maier in der Abfahrt von Garmisch.

Zum 30-jährigen Gedenken wird in St. Wolfgang das Nierlich-Denkmal vor dem Gemeindeamt in den Mittelpunkt jener Örtlichkeit versetzt, die fortan Rudi-Nierlich-Platz heißen soll. Für den Sommer ist eine Feier geplant. Vater Nierlich: "Auch Hans Pum wird kommen." Der damalige Herren-Cheftrainer bezeichnet seinen früheren Schützling als "absolut unvergleichlich. Er war ein ruhiger und besonnener Bursche, stets Freund und Kollege und immer ehrlich." Pum, dessen Büro in Innsbruck ein Foto von Rudi Nierlich zierte, verstand sich gut mit ihm, mit dessen Vater verbindet ihn bis heute eine Freundschaft.

Das Nierlich-Denkmal in St. Wolfgang.
Foto: privat

Früh auf Skiern

Die sportbegeisterten Eltern stellten Rudi bereits als dreieinhalbjährigen Spross auf Skier. Damit sei er zunächst "herumgegangen". Später bauten sie sogar einen kleinen Lift. Als er einmal ein Kinderrennen mit drei Sekunden Vorsprung gewann, erkannten sie, dass "mehr dahintersteckt". Also schickten sie ihn an die Skihauptschule nach Windischgarsten. Danach begann er eine Tischlerausbildung, die folgende Konzentration auf den Skisport bescherte ihm 1984 seinen ersten Weltcuppunkt für Platz 15 in der Kombination von Madonna di Campiglio. Im selben Jahr wurde er bei den Junioren auch erstmals Weltmeister im Riesentorlauf.

"Es war eine schöne Zeit. Und dass er dann Weltmeister wird, war unglaublich. Es hat alles zusammengepasst. Er hat fleißig trainiert, und er hatte Talent", erinnert sich der Vater. Nierlich war generell ein Bewegungstalent und in der Skifahrt ein Pionier. "Franz Klammer hat gesagt, er war seiner Zeit voraus, weil er eigentlich schon carvte." Freilich war das Material diesbezüglich noch nicht so weit. Es gab weder Carver noch Bindungsplatten, und Nierlich fiel öfter aus, wenn er am Schuh des Bergskis ausrutschte. Gegen Ratschläge, doch mehr den Talski zu belasten, verwehrte sich der junge Oberösterreicher. Das sollte sich bezahlt machen.

Alexx87

Bei der WM 1989 in Vail, Colorado, gewann er zunächst Gold im Riesentorlauf und legte im Slalom nach. "I hob’s", lautete der erste knappe Kommentar des Doppelweltmeisters, nachdem sich der zur Halbzeit führende Deutsche Armin Bittner hinter ihm einreihte. Im selben Jahr wurde Nierlich zu Österreichs Sportler des Jahres gekürt. 1991 holte er bei der WM in Saalbach trotz eines Ausrutschers im Zielhang erneut Gold im Riesentorlauf, im Slalom schied der Titelverteidiger wie bei Olympia 1988 in Calgary (Fünfter im Riesentorlauf) aus. Um seinen dritten WM-Titel musste er aber zunächst noch bangen. Weil die obligatorische Plombe als Nachweis einer Überprüfung seitens der Fis gefehlt hatte, ließ die offizielle Bestätigung des Erfolgs etwas auf sich warten. Rund vier Monate später war er tot.

Idol für Rennläufer

Nierlich war Vorbild für viele, etwa für Benni Raich und Hannes Reichelt. Auch Tomba schätzte ihn, verbarg beim Begräbnis Tränen unter einer Sonnenbrille. Günther Nierlich kennt den nun 54-jährigen Italiener gut, auch wenn die Kommunikation wegen Sprachbarrieren leidet. Über sein Management ließ "La Bomba" ausrichten, dass er der unzähligen Interviews müde sei und bis auf weiteres keines mehr gebe. Einst sagte der dreifache Olympiasieger, Doppelweltmeister und Sieger von 50 Weltcuprennen: "Hätte der Rudi länger gelebt, hätte ich nie so viel gewonnen." (Thomas Hirner, 16.5.2021)