Körperlicher Widerstand: Der argentinische Künstler Maximiliano Mamani macht als Dragqueen Bartolina Xixa soziale und ökologische Ungerechtigkeiten sowie koloniale Wunden sichtbar.
Foto: Courtesy Maximiliano Mamani Bartolina Xixa

Wie so oft in diesen Tagen muss ein Bildschirm herhalten. Über einen Fernseher spricht der peruanische Kurator Miguel A. López und kündigt die neue Ausstellung And if I devoted my life to one of its feathers? in der Kunsthalle Wien an, die in Kooperation mit den Wiener Festwochen entstanden ist. López konnte aufgrund zuletzt verschärfter Einreisebestimmungen nicht kommen, er sitzt in Lima fest. Doch die lang geplante und verschobene Gruppenschau konnte trotz seiner Abwesenheit fertigkonzipiert werden. Ein Modell für die Zukunft?

Immerhin geht es inhaltlich primär um Umweltzerstörung, Ausbeutung der Natur sowie aus kolonialer Vergangenheit entsprungene soziale Ungerechtigkeit. Diese Themen werden in Arbeiten von etwa 35 Künstlerinnen und Künstlern – großteils aus Lateinamerika – aus Sicht des Globalen Südens behandelt. Des Dilemmas, bei einer Ausstellung mit solch einem Fokus dennoch Werke nach Europa zu schiffen, sei man sich durchaus bewusst, sagt die kuratorische Assistentin Laura Amann. Man habe viele Werke gebündelt transportiert und einige erst vor Ort produziert.

So auch die zentrale Installation Burnt Quipu der Künstlerin, Aktivistin und Dichterin Cecilia Vicuña: Von der Decke hängen dicke Wollwürste bis zum Boden. Verknotet und in Rot-, Grau- und Gelbtönen erinnern sie an Flammen der Waldbrände im Amazonasgebiet. Aus einem Gedicht Vicuñas ist auch der Titel And if I devoted my life to one of its feathers? entlehnt. Er weist auf die heilende Kraft der Kunst und vor allem darauf hin, dass auch eine poetische Geste politischer Aktivismus sein kann.

Brand in Textilarbeiten: "Burning Ganna Khet" [Brennende Zuckerrohrfarm] von Quishile Charan. (Produktionsfoto, 2021).
Foto: Raymond Sagapolutele

"Wir sind der Müll"

Diesem Dogma verschreibt sich die gesamte Ausstellung, wobei viele Arbeiten in indigenen Theorien wurzeln und ihren politischen Aktivismus gegen patriarchale, rassistische, homophobe, stereotyp-westliche und koloniale Strukturen sowie Diskurse richten. Diese sollen dekonstruiert werden. Aktueller und wichtiger könnte die Idee nicht sein, die in einigen starken Werken Ausdruck findet, sich aber auch viel vorgenommen hat.

So beispielsweise in der Videoarbeit des argentinischen Tänzers und Künstlers Maximiliano Mamani. Darin performt er in der Rolle der Dragqueen Bartolina Xixa, die in traditionellem Gewand auf einer Müllhalde zur Musik eines Folksängers tanzt. Der radikale Text legt die kolonialen Wunden offen: "Wir sind der Müll, den diese hygienische und propere Welt nicht sehen will. Wir sind diejenigen, die die ökologische Schuld derer bezahlen, die uns aufzehren und daraus noch mehr Macht für sich herausschlagen."

Fast noch drastischer knüpft das Video aus den 1970er-Jahren von der afroperuanischen Choreografin Victoria Santa Cruz an: In Me gritaron negra [Sie riefen mich Schwarze] nimmt sie den als Beschimpfung gemeinten Ausspruch auf und kehrt ihn in ein selbstermächtigendes Statement um.

Es ist eine enorme Wucht, die einem aus der zur Schau gestellten Ungerechtigkeit entgegenschlägt und auch in vielen der gezeigten Textilarbeiten, die auf traditionelle (meist Frauen überlassene) Techniken Bezug nehmen, sichtbar wird. Auch hier brennt es!

Starke Fotografien von Castiel Vitorino Brasileiro. "Comigo-ninguém-pode [Niemand-schlägt-mich]", 2018.
Foto: Castiel Vitorino Brasileiro

Poetische Wucht mit Schieflage

Neben vielen im westlichen Kunstkanon unbekannten Künstlern und Künstlerinnen fügen sich auch spannende Stoffarbeiten von Nilbar Güres und Sophie Utikal ein, beide mit Wien-Bezug. In einer neuen Arbeit von Utikal stürzen die protestierenden Frauenfiguren Denkmäler, die symbolisch für White Supremacy stehen.

Andere Arbeiten lokaler Kunstschaffender wirken hingegen zwanghaft in die Ausstellung gestellt. Warum hier die Schwarzen Körper des in Ghana lebenden und in Wien studierten Malers Amoako Boafo oder ein performatives Video der Künstlerin Anna Witt, das in Leipzig spielt, gezeigt werden, ist nicht ganz nachvollziehbar. Zwar werden darin auch Machtstrukturen hinterfragt, dennoch verwässert der Ansatz hier.

Eine Schieflage, die sich auch in der weiteren Präsentation fortsetzt: Werke, die nicht mehr in der großen Halle Platz gefunden haben, wurden offenbar in den Stiegenabgang und den Kellerraum verbannt. Die Fotografien von Castiel Vitorino Brasileiros nacktem Körper (vier hängen in der Halle, vier bei der Treppe) oder das Kinderalphabet The ABC of Racist Europe von Daniela Ortiz können gar nicht ihre ganze Kraft entfalten.

So eröffnet die Schau zwar neue Ansätze und Perspektiven. Doch einzelne ihrer Werke sind in ihrer Geste so stark, dass sie mehr Platz und Aufmerksamkeit verdient hätten. Eine solche thematischen Fülle hätte es gar nicht gebraucht. Die Wucht allein hätte genügt. (Katharina Rustler, 15.5.2021)