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Das Gebäude in Gaza, in dem mehrere internationale Medien ihre Büros hatten, stürzte nach einem Luftschlag ein.

Foto: AP / Hatem Moussa

Der Ton war freundlich, die Kritik aber offenbar doch zu vernehmen. US-Präsident Joe Biden hat in einem Telefongespräch mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu Samstagabend auch Worte zum Angriff des israelischen Militärs auf ein Gebäude in Gaza gefunden, das von zahleichen internationalen Medienorganisationen genutzt wurde. Man habe "den Israelis direkt gesagt, dass die Gewährleistung der Sicherheit und des Schutzes von Journalisten und unabhängigen Medien eine vorrangige Pflicht ist", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, in der Nacht auf Sonntag.

Bei dem Einsturz des Hochhauses nach Raketenbeschuss waren am Samstag die Büros der Agentur AP, des Nachrichtensenders Al Jazeera und mehrerer weiterer Medienorganisationen zerstört worden. Auch ORF- und "Presse"-Korrespondent Karim El-Gawhary sendete laut eigenen Angaben auf Twitter seine Liveschaltungen meist vom Dach dieses Gebäudes.

Israel spricht von Hamas-Büros

Israels Militär hatte den Angriff mit einer Stunde Vorwarnzeit angekündigt. Ein Sprecher, Jonathan Conricus, sagte vor Journalisten zudem, in dem Gebäude seien "militärische Einrichtungen der Hamas" stationiert gewesen. Die Journalisten seien von der Organisation als menschliche Schutzschilde missbraucht worden. Beweise legte der Sprecher nicht vor, auf Nachfrage sagte er, er sei nicht befugt über die Methoden zu sprechen, mit denen die israelischen Streitkräfte ihre Informationen erlangen.

Die Agentur AP widersprach den Angaben. Die AP sei mit mehreren Journalistinnen und Journalisten seit 15 Jahren in dem Gebäude tätig gewesen. Es habe keinerlei Hinweise darauf gegen, dass die Hamas dort tätig sei, so der Chef der Agentur, Gary Pruitt. Da man die Mitarbeiter keinem Risiko aussetzen wolle, prüfe man derartige Fragen im Rahmen der eigenen Möglichkeiten auch laufend. Wie genau man untersuche, wer in den Wohnungen in dem Gebäude aus- und eingehe, sagte allerdings auch Pruitt nicht. Er forderte Israel auf, Beweise vorzulegen.

Associated Press

Die Chefkorrespondent von Al Jazeera in Gaza, Mohammed Ali, teilte in der "Washington Post" ebenfalls mit, seines Wissens nach seien in dem Gebäude zwar Wohnungen, Arztpraxen und Anwaltskanzleien gewesen. Wenn die Hamas dort tätig gewesen sei, so habe man darüber jedenfalls kein Wissen gehabt. Eine Journalistin des Senders Youmna Al Sayed sagte auf Sendung, sie wisse nicht, wer die Hamas-Leute in dem Haus gewesen sein sollen: "Wir kennen uns doch dort alle".

Laut beiden Medienorganisationen sind bei dem Angriff zwar keine Mitarbeiter zu Schaden gekommen, wohl aber viel technisches Equipment und zahlreiche Archivmaterialen zerstört worden. Außerdem sind die vorrangigen Kommunikations- und Arbeitsmittel der Journalistinnen und Journalisten zerstört. Der Besitzer des Hochhauses, Jawwad Mahdi, hatte das israelische Militär am Telefon noch gebeten, den Angriff zumindest zehn Minuten zu verschieben, um journalistische Materialien aus dem Haus schaffen zu können. Dem wurde nicht stattgegeben. Conricus, der Sprecher des Militärs, sagte hingegen, dass man überhaupt vor dem Angriff gewarnt habe, sei Zeichen des Respekts vor der Presse. Man habe damit immerhin auch der Hamas Zeit und Möglichkeit gegeben, ihre Materialien zu sichern, so Conricus, der auch für diese Behauptung keine Belege vorbringen konnte.

Berichte stoppen?

AP-Chef Pruitt hatte zuvor auf eine Folge hingewiesen, die der Angriff jedenfalls hat. Die Welt werde nun "weniger davon wissen, was in Gaza passiert". Al Jazeera teilte mit, man halte den Angriff für eine "Aktion, mit der die Wahrheit zum Verstummen gebracht werden soll, indem man ihren Überbringer tötet". Kritik gab es auch vom Verband der Auslandspresse in Jerusalem. "Der wissentliche Angriff auf die Büros von mehreren der weltgrößten Medienorganisationen" lasse Fragen dazu offen, ob Israel in die Freiheit der Presse eingreifen wolle. Das Komitee zum Schutz von Journalisten CPJ teilte mit, der Angriff lasse es jedenfalls denkmöglich erscheinen, "dass die israelische Armee wissentlich Medienorganisationen angreift, um so Berichte über das menschliche Leid in Gaza zu stören". UN-Generalsekretär Antonio Guterres sprach von einem "willkürlichen Angriff auf zivile Einrichtungen", der ihn beunruhige.

Schon vergangene Woche hatte die Armee ein Gebäude angegriffen, in dem sich andere journalistische Einrichtungen befunden hatte. Damals waren das Hamas-nahe Medium Sabq24 und die Zeitung Felestin zum Ziel geworden. Auch bei diesem Angriff berief sich das israelische Militär darauf, dass die Hamas in dem Gebäude tätig gewesen sei.

Fragen gibt es auch in einer weiteren Causa. Am Donnerstagabend teilte die israelische Armee mit, man habe eine Bodenoffensive gegen Gaza begonnen – eine Meldung, die fast alle internationalen Medien übernahmen, darunter auch der STANDARD. Während die Armee später mitteilte, es habe sich um einen Kommunikationsfehler gehandelt, steht auch ein weiterer Verdacht im Raum: Das Militär könnte die Meldung gezielt gestreut haben, um Hamas-Kämpfer damit in Verteidigungspositionen zu locken, auf denen sie leichter aus der Luft angreifbar waren.

Für die AP und Al Jazeera gibt es vorerst eine Übergangslösung. Die Agentur AFP, die schon zuvor ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht hatte, hat laut einer Mitteilung ihres Nahost-Direktors Sylvain Estibal ihre Büroräumlichkeiten in Gaza auch den Kolleginnen und Kollegen der beiden Konkurrenzunternehmen zur Verfügung gestellt. (mesc, 16.5.2021)