Eine IP-Aussetzung könnte langfristig Innovationen hemmen.

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Der von der US-Regierung unterstützte Antrag bei der Welthandelsorganisation WTO auf temporäre Aussetzung des Patentschutzes für Covid-19-Impfstoffe hat das Ziel, das Ende der Pandemie beschleunigen. Doch es gibt gute Gründe, das zu hinterfragen.

Das Hindernis für die Produktion von Impfstoffen lag bisher in der Praxis nicht im Zugang zu Rechten für geistiges Eigentum (IP), sondern bei knappen Produktions-, Logistik- und Materialressourcen. Eine IP-Aussetzung könnte langfristig allerdings Innovationen hemmen.

Der Antrag zielt auf eine Aussetzung von Teilen des sogenannten Trips-Abkommens ab. Gefordert wird die Aussetzung des Schutzes von Patenten, Geschäftsgeheimnissen und Urheberrechten samt Leistungsschutzrechten, soweit die Nutzung dieser IP-Rechte für die Verhinderung, Bekämpfung und Behandlung von Covid-19 erfolgt. Es geht nicht nur um den Zugang zu patentierten Erfindungen, sondern auch um den Transfer von Know-how und Daten.

Der Antrag wird derzeit auf WTO-Ebene verhandelt, und ihm kann nur im Einvernehmen mit allen WTO-Mitgliedern entsprochen werden. Diese Verhandlungen werden, nicht zuletzt im Lichte der zurückhaltenden Position der EU, selbst im Falle einer raschen Verständigung zumindest noch Monate dauern.

Nationale Ermächtigung

Selbst wenn der Antrag angenommen würde, käme es nicht automatisch zu einer pauschalen und globalen Aussetzung der betroffenen IP-Rechte. Es wären lediglich einzelne WTO-Mitglieder ermächtigt, eine temporäre und teilweise Aussetzung für Impfstoffpatente in ihren nationalen Gesetzen vorzusehen.

Ob und welche WTO-Mitglieder davon tatsächlich Gebrauch machen werden, darf gerade im Lichte vielfacher Exportbeschränkungen für Covid-19-Impfstoffe bezweifelt werden. Ein kurzfristiger und globaler Beitrag zur Pandemiebekämpfung ist von dieser Maßnahme daher nicht zu erwarten.

Auch aus anderen Gründen ist fraglich, ob der "IP Waiver" die Impfstoffverfügbarkeit tatsächlich rasch erhöhen könnte: Impfstoffe erfordern komplexe Spezialanlagen und ausgebildetes Personal für eine sichere Herstellung: So hat etwa der Impfstoff von Pfizer nach eigenen Angaben 280 Komponenten von 86 Zulieferern aus 19 Ländern.

Das größte Problem in der Praxis sei daher der Mangel an qualifizierten Produktions- und Logistikressourcen und den benötigten Materialien, sagt Emer Cooke, Chefin der Europäischen Arzneimittelbehörde EMA in einem Interview im "Handelsblatt". Auch das renommierte Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum in München betont in einer Stellungnahme, dass eine Patentaussetzung diese Probleme nicht beseitigen würde.

Die für die Herstellung und Verteilung von Impfstoffen erforderlichen Ressourcen müssten auch bei Aussetzung von IP-Rechten erst zeit- und kostenintensiv aufgebaut werden; auch den Aufwand des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens erspart man sich damit nicht.

Zwangslizenzen möglich

Hingegen waren der Zugang zu IP-Rechten, etwa in Form von Lizenzen, und deren Durchsetzung durch Patentinhaber bisher kein praktisch relevantes Thema. Das zeigt sich auch daran, dass die meisten nationalen Rechtsordnungen es ohnehin ermöglichen, im öffentlichen Interesse Zwangslizenzen zu erteilen, dieses Instrument bisher trotz Impfstoffknappheit offensichtlich noch nicht benötigt wurde.

Das IP- und insbesondere das Patentrecht schaffen gerade im Arzneimittelbereich wichtige Investitions- und Innovationsanreize. IP-Rechte stellen zudem die Basis für die gerade im Bereich der Impfstoffentwicklung und -produktion so wichtigen und allgegenwärtigen Kollaborationen, etwa Biontech mit Pfizer, Sanofi mit Ovartis, Curevac mit GSK und Bayer oder Moderna mit Lonza.

Würde das bestehende IP-Schutzsystem wie angedacht eingeschränkt, könnte dies nicht nur derartige Kollaborationen behindern, sondern langfristig innovationsmindernde Effekte haben und so die künftige Impfstoffentwicklung beeinträchtigen, ohne einen echten Beitrag zur heutigen Pandemiebekämpfung zu liefern. Es darf bezweifelt werden, ob das im Interesse der Allgemeinheit wäre. (Lutz Riede, Matthias Hofer, 17.5.2021)