Die Symbole der Pop-Horror-Welt beginnen zu glühen und zu blinken – in Julia Zastavas Performance-Video "Sunset Z".

Foto: Videostill

Ganz einfach hat es das Vieldeutige im Tanz heute nicht. Oft wird es haltungsbegradigt oder demonstrativ in gute Absichten verpackt. Dadurch kommt unterschwellig etwas Unheimliches ins Spiel: mit eigentlich alten Forderungen nach dem Guten und Wahren. Eine neue Schönheit liegt im Pfeffer der Künste. Mit deren vielen hehren Ansinnen hoppelt eine beachtliche Verdrängung unliebsamer Gefühle einher.

Könnte es da eventuell schon Kritik an diesem postmodernen Biedermeier sein, wenn ein Narrenparadies verödet, ein Monsterchen kotzt, ein Gespenst aus seinem Feuerring starrt und ein Himmel sich auflöst wie derzeit beim Festival "Rakete" im Tanzquartier Wien?

Im Vorjahr musste diese Reihe für junge Choreografie ausfallen. Diesmal klappt’s, und zwar online und mitten in der Pandemie. Auf jeden Fall macht das Tanzquartier an diesem ersten von zwei "Rakete"-Wochenenden ein Fässchen auf: Vier ganz unterschiedliche Stücke, gemacht für oder beobachtet von Kameras, streifen an unseren Verdrängungen entlang.

Warme Computer

Um diese Öffnung zu beobachten, sitzt das Publikum daheim an seinen warmen Computern und scheint dem, was Kidows Kim, Julia Zastava, Samuel Feldhandler und Eliza Trefas mit Katarzyna Paluch zu zeigen haben, direkter ausgeliefert zu sein, als säße es in trügerischer Trautheit gemeinsam im Tanzquartier. Ist das Heim zur Hölle geworden? Also wieder auf ins Theaterparadies – ein Achterl vorher, ein Plauscherl nachher und dazwischen ein Snack namens Kunst?

Der Auftakt dieser "Rakete" könnte eine Warnung sein: Man sollte sich im Theaterraum auch weiterhin nicht in eingebildeter Sicherheit wiegen. Denn so wie man sich in jeden Safe Space oder Panic Room selbst als Gefahrenpotenzial mitbringt, sitzt man auch im Theater wie zu Hause als ein Haunted House des eigenen Seelenheils.

Deswegen vielleicht haben sich Eliza Trefas und Katarzyna Paluch für das Video ihrer Study on Fool’s Paradise in eine leere, glatt designte Firmencafeteria begeben. Zwei junge Frauen tanzen da, und sie wirken erst, als wären sie auf das, was sie zu tun haben, gut vorbereitet. Doch im Lauf der Zeit stellt sich heraus, dass diese beiden Figuren trotzdem die Fassung verlieren. Erstens, weil ihr perfekt wirkendes Cafeteria-Studio nur ein geborgter Ort ist, an dem es permanent spukt, und zweitens, weil sie ihre eigenen Abgründe mitgebracht haben, in denen sie zwanghaft herumzustochern beginnen.

Sorgen um "Identity"

Im Gegensatz dazu hat sich Julia Zastava für ihr Installationsperformance-Video Sunset Z ein Tanzquartier-Studio ausgesucht und gleich gruselig eingerichtet. Darin geistert sie selbst als Teil eines Pop-Horror-Szenarios vom Feinsten, in dem der Witz abgenutzter Schreckenssymbole blinkt und glüht. Richtig unheimlich wird es bekanntlich aber erst, wenn etwas Verdrängtes wieder zur Tür hereinschaut. Das ist bei dem kalkuliert ironischen Setting von Sunset Z nicht der Fall.

Auch nicht in dem Video Funkenstein von Kidows Kim. Der Koreaner verkörpert eine ins Eck gedrängte Figur, die von einem Rahmen aus digital simuliertem Feuer umgeben ist. Ein paar Inserts verraten die Gedanken dieses herzigen Zitats aus diversen Grusel-Animes. Dieser innere Monolog verrät, dass sich das einen orangen Brei erbrechende Monsterchen Sorgen um seine "Identity" macht und schwer beleidigt ist, weil sein Boyfriend es sitzengelassen hat. Das ist hart. Aber jene Art von innerer Gänsehaut, wie sie die Study on Fool’s Paradise bewirkt, erzeugt es nicht.

Gespielte Harmlosigkeit

Anders als der vierte Teil des "Raketen"-Programms. Klar, es klingt zwar ironisch, wenn Samuel Feldhandler sein Duett mit Lena Schattenberg Immerhin ist mein Himmel hin (Sonata #5) nennt. Aber in ihrer Grauzone des Abwägens von Bewegungsnuancen, des verhalten virtuosen und präzise durchdachten Austarierens von Musik und Bewegung kommt etwas durch, das üblicherweise gern verdrängt wird: eine gespielte Harmlosigkeit, etwas leidenschaftlich Unbestimmtes, wie wir’s aus manchen Filmen der Nouvelle Vague zu kennen glauben.

Zu den Charakteristika des Stücks zählt ein lila Vorhang, hinter dem sich, wenn er einmal gelüftet wird, ein nächster, schwarzer befindet, hinter dem das Unbewusste liegen könnte. Eine Stunde hindurch tanzen Schattenberg und Feldhandler so, als wäre alles nur ein vertrautes Spiel. Schön und gut, aber ist, was sie tanzen, auch "wahr"? Oder spüren wir aus diesem Tanz etwas heraus, dem wir nicht so gern begegnen: eine Drohung, die hinter dieser schönen Zweisamkeit lauert. Wer weiß? (Helmut Ploebst, 17.5.2021)