Treten die letzte Reise gemeinsam an: der MS-Patient Robert Turin (Stefan Riedl) und die Psychologin Katharina Payer (Marion Fuhs).

Birgit Gufler

Die Ärzte sagen, du hast es bald geschafft", klingt für jemanden, der nur mehr eines sieht, was es zu schaffen gilt, wie blanker Hohn. Robert Turin hat einen Schub, der sein Sprachvermögen beeinträchtigt, ein Symptom seiner Erkrankung, er leidet an Multipler Sklerose. Seit zehn Jahren lebt der Mittvierziger im Pflegeheim, sitzt im Rollstuhl, ist impotent und will sterben, solange er noch kann. Das heißt, solange er noch selbst über seinen Tod bestimmen kann.

Eigentlich hätte diese neue Bühnenadaption von Daniel Wissers Königin der Berge im vergangenen November zur Uraufführung kommen sollen. Einen langen Theater-Lockdown und ein vielbeachtetes Urteil des Verfassungsgerichtshofes zum Thema Sterbebeihilfe später kommt sie nun doch noch auf die Bühne. Die Premiere fand ohne Publikum statt, erster offizieller Spieltag ist der 19. Mai. In den Innsbrucker Kammerspielen begeht man die Auferstehung des Theaters also mit einem Sterbefall.

Nie larmoyant

Eine kleine Ironie ganz nach dem Geschmack von Robert Turin, dem Titelhelden des Romans. Wisser ist es darin gelungen, ein hochsensibles Thema mit erstaunlicher Leichtigkeit anzupacken. Seine Gestaltung legte eine Dramatisierung (Fassung: Thomas Krauß) nahe, die Schwierigkeit liegt darin, auch auf der Bühne den richtigen Ton zu treffen. Felix Hafner, der in Innsbruck zuletzt Thomas Arzts Die Österreicherinnen inszeniert hat, gelingt das ziemlich gut, auch wenn der skurrile Humor der Vorlage ein wenig auf der Strecke bleibt. Trotzdem weiß diese "Königin der Berge" – so nennt Turin seine Krankheit – auf gänzlich unlarmoyante Art und Weise aufzurütteln und zu berühren.

Es geht um große Fragen: Was macht das Leben lebenswert? Wie geht man mit einer schweren Krankheit um? Was bedeutet ein Sterben in Würde? Wie nimmt man Abschied? Und was bedeutet Langzeitpflege?

Den Alltag im Pflegeheim vertreibt sich Turin mit reichlich Alkohol, imaginären Gesprächen mit seinem toten Kater Dukakis und damit, die Pflegerinnen zu sekkieren, die ihrerseits ihren jeweils ganz speziellen Umgang mit dem Patienten pflegen. Man mag sich, oder man hat sich arrangiert, man macht seinen Job, man kommt zum Geburtstag mit Partyhütchen ins Krankenzimmer, man leert den Urinbeutel aus, man muss auch auf den Ruf der Einrichtung achten: Zwei Suizidversuche Turins schlagen fehl, seine Frau will ihn nicht zur Freitodbegleitung in die Schweiz fahren, und er hat keine Ahnung, wie Uber funktioniert.

Verengte Welt

Eine leere schwarze Bühne (Helfried Lauckner) zeigt eine auf Krankheit und Einsamkeit verengte Welt, hinter einem durchsichtigen Plastikvorhang erahnt man die miesen Bedingungen des Pflegeberufs, davor spricht aus spärlichen Wortwechseln die Hilflosigkeit: Es gehört zu den stärksten Momenten des Stücks, wenn sich Turin (Stefan Riedl) und seine Ehefrau Irene (Sara Nunius, die auch in der Rolle der pragmatischen Schwägerin Beba glänzt) bei ihren selten gewordenen Besuchen anschweigen.

Das Leben kann ein fieser Hund sein – oder ein vor Sarkasmus triefender toter Kater, den Kristoffer Nowak mit Verve als trotziges Alter Ego Turins gibt. Man ahnt es bereits mit einer Träne im Knopfloch: Die Dinge sind und bleiben kompliziert. Denn das Leben ist unberechenbar, es ist alles andere als leicht zu lassen, und es hält Überraschungen bereit, die einen daran erinnern. Im Fall von Robert Turin kommt eine Begegnung in Gestalt der Psychologin Katharina Payer (Marion Fuhs) daher, die mit ihm die letzte Reise antritt. (Ivona Jelcic, 17.5.2021)