Die Anwälte Norbert Wess und Bernhard Kispert (von links), Richterin Marianne Kodek und die Vertreter der Finanzprokuratur vor Beginn der Verhandlung nach dem Terroranschlag in Wien, bei der die Mutter einer getöteten Kunststudentin die Republik auf Entschädigung klagt.

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Bis zuletzt hatte man auf der Seite der Opfer des Terroranschlags eigentlich noch mit einem Vergleichsangebot seitens der Republik gerechnet. Doch dazu kam es nicht, und so saßen einander am Montag Opfer- und Republiksvertreter in einem Verhandlungssaal am Wiener Landesgericht für Zivilrechtssachen im ersten Amtshaftungsprozess nach dem Attentat gegenüber.

Die Mutter einer vom Attentäter am 2. November getöteten jungen Frau hatte Klage eingereicht, sie wirft den Behörden Versagen bei der Prävention vor und fordert Entschädigungen in Höhe von knapp 120.000 Euro. Rund 5000 Euro wurden ihr im Rahmen des Verbrechensopfergesetzes bisher ausbezahlt.

Eröffnet wurde der Prozess von Richterin Marianne Kodek zuerst mit Worten des Beileids an die Opfer und Hinterbliebenen. Es gehe nun darum zu eruieren, ob Behördenvertreter Handlungen im Vorfeld des Attentats unterließen, woraus sich eine Haftung der Republik ergeben könne. Am Montag wurden vorerst nur Formalia abgehandelt, zur Anhörung von Zeugen kam es noch nicht.

Verantwortung und Ersatz

Für Opfer und Hinterbliebene könnte eine solche Feststellung durchaus viel bedeuten: Denn daraus können sich bestimmte Ansprüche, etwa auf Schmerzensgeld oder Unterhaltszahlungen, ergeben. Bevor über deren Höhe verhandelt wird, soll nun aber zuerst einmal festgestellt werden, ob eine entsprechende Haftung überhaupt vorliegt.

Die Klägerin selbst war am Montag nicht anwesend. Laut ihrem Rechtsanwalt Norbert Wess gehe es sowohl ihr als auch der Schwester "nicht gut", sie seien weiterhin in Betreuung.

Vor Ort war hingegen die Tochter eines vom Attentäter getöteten Gastronomiebetreibers. Sie schloss sich kurzfristig dem Verfahren an und wurde von Rechtsanwalt Karl Newole begleitet, der etwa 20 Opfer vertritt und in den vergangenen Wochen bereits ebenfalls eine Klage in Aussicht gestellt hatte.

"Ich erwarte mir, dass die Republik Verantwortung übernimmt", sagte die junge Frau, die ihren Vater verlor. Es sei "schwierig, noch normal zu leben". Von den Vorgängen nach dem Anschlag sei sie außerdem "enttäuscht und frustriert". Newole kündigte an, die Finanzprokuratur, die die Republik als Anwältin vertritt, diese Woche erneut um ein Gespräch zu ersuchen.

Diese bestreitet, dass das Attentat im Vorfeld verhinderbar gewesen wäre, und hat einen außergerichtlichen Vergleich abgelehnt. Rechtsanwalt Wess sieht die Schuldfrage naturgemäß anders und verweist in dem Zusammenhang auf ein laufendes Strafverfahren. So ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) seit Februar gegen zwei Beamte des Wiener Verfassungsschutzes wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs. Das brisante: Eine Anregung zur Prüfung der Sachverhalte kam aus dem Innenministerium selbst.

Kritik von innen

Das Innenressort übermittelte nach internen disziplinarrechtlichen Erhebungen ein Schreiben an die Staatsanwaltschaft, das dem STANDARD zum Teil vorliegt. Dort wird unter anderem festgehalten, dass dem Wiener LVT "spätestens" mit 20. Oktober 2020 verschiedene Sachverhalte bekannt waren, die für die Staatsanwaltschaft "beurteilungsrelevant" erscheinen. Bereits im Sommer glaubte ein LVT-Beamter K. F. auf Fotos vom versuchten Munitionskauf in der Slowakei zu erkennen – auch das wird festgehalten. Doch eine entsprechende Meldung an die Staatsanwaltschaft unterblieb bekanntlich. Festgehalten wird zudem, dass die offizielle Risikobewertung des Attentäters zu lange dauerte. Doch auch die Arbeit des BVT wird kritisiert: So ist von einer "nicht gewissenhaften Bearbeitung" eines Aktes die Rede.

Weil ebenjenes Strafverfahren anhängig ist, beantragte die Finanzprokuratur eine Unterbrechung des Zivilprozesses, bis ein Ergebnis vorliegt. Einer solchen stimmte Kodek jedoch vorerst nicht zu. Denn eine Haftung durch die Republik wäre auch dann denkbar, wenn herauskommen sollte, dass sich einzelne Beamte strafrechtlich nichts zuschulden kommen ließen.

Der Prozess wurde am Montag bis Herbst vertagt, auch dann könnte er sich noch Monate ziehen. Vorerst erhalten beide Seiten noch einmal die Möglichkeit für weitere schriftliche Stellungnahmen. (Vanessa Gaigg, 17.5.2021)