Bei Demonstrationen am 10. April kam es auch zu Festnahmen. Nicht alle waren berechtigt, wie nun ein Strafrichter feststellte.

Foto: Christian Fischer

Wien – Am 10. April war in Wien demonstrationsmäßig einiges los. "Fairdenken" hatte mit Unterstützung von "Corona Widerstand Österreich" zur "Mutter aller Demos" aufgerufen, bei der der Unmut über die Corona-Schutzmaßnahmen-Verordnungen der Bundesregierung artikuliert werden sollte. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von "Antifa heißt Fahrradfahren vol. 2" wiederum wollten auf den aus ihrer Sicht starken Einfluss der rechten Szene auf die Maßnahmengegner aufmerksam machen. Nahe dem Arsenal trafen die beiden Gruppen sowie die Polizei aufeinander – Frau S. führt das nun mit einer Anklage wegen versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt vor Richter Christian Noe.

S. ist 25 Jahre alt, unbescholten, studierte Soziologin. Und sie ist eine Corona-Maßnahmen-Kritiker-Kritikerin, daher nahm sie an der antifaschistischen Fahrraddemo teil. "Beim Heeresgeschichtlichen Museum hat der Zug dann gestockt. Ich habe nicht genau gesehen, warum, ich war weiter hinten", erzählt sie dem Richter. "Ich habe mein Rad dann geschoben und mitbekommen, dass es Tumulte gab. Auf dem Boden sind Fahrradteile gelegen."

"So eine Polizeigewalt habe ich noch nie gesehen"

S. hob diese auf, sagt sie, dann beobachtete sie, wie ein uniformierter Polizist einen Demoteilnehmer zu Boden brachte. "So eine Polizeigewalt habe ich noch nie gesehen", schildert die Angeklagte. "Ich war erschrocken, habe einen Schritt nach vorne gemacht und den Polizisten am Unterarm berührt, um zu deeskalieren." – "Wie haben Sie den Polizisten berührt?", fragt Noe. "Ich habe beide Hände aufgelegt und versucht, ihn zu beschwichtigen." Dann sei sie schon von einem anderen Beamten weggerissen und in den Schwitzkasten genommen worden.

Der Staatsanwalt wirft ihr anderes vor: S. ist angeklagt, dass sie versucht habe, die Festnahme des anderen Kundgebungsteilnehmers zu vereiteln, indem sie den Beamten von hinten wegzerren wollte. Die nicht sehr große Frau hält das für absurd – schließlich sei der Polizist deutlich größer und kräftiger als sie gewesen. "Es war einfach eine Affekthandlung", wiederholt sie. Auf Nachfrage des Richters korrigiert sie sich: "Okay, ich kann nicht einschätzen, ob es Polizeigewalt war. Es hat für mich brutal ausgesehen", beschreibt sie die Festnahme.

Noch ein Punkt interessiert Noe: "Bei der Durchsuchung wurden bei Ihnen ein Pfefferspray und vier abgelaufene Hühnereier gefunden?" – "Nein, das stimmt nicht", bestreitet S. das. Ihr Verteidiger sekundiert: "Im Anhalteprotokoll scheinen diese Gegenstände nicht auf, erst in der Anzeige", wirft er ein.

Eigentlich kein Einfluss auf Amtshandlung

Der erste Zeuge ist Revierinspektor K., den die Angeklagte gehindert haben soll. Der 30-Jährige hat davon allerdings nichts mitbekommen. "Ich hatte eine Festnahme, dann habe ich gemerkt, dass jemand an mir zieht, dann hat es aufgehört", sagt er schlicht. "Hat das Einfluss auf Ihre Amtshandlung gehabt?", will der Richter wissen. "Ehrlich gesagt, eigentlich nicht." Er habe auch nicht mitbekommen, wer ihn gezogen habe, da sich alles in seinem Rücken abgespielt habe.

Oberstleutnant H., der nächste Zeuge, ist jener Beamte, der die Angeklagte festgenommen hat. Er schildert tumultartige Szenen und dass ihm S. aufgefallen sei, als sie seinen Kollegen zumindest berühren wollte. "Ich glaube, sie hat ihn erfasst", sagt H. vor Gericht. "Aber sie hat ihn nicht weggezogen?", fragt der Richter nach. "Das Wegziehen ist ihr nicht geglückt, da ich schnell genug dort war", ist der Zeuge überzeugt, seinen Kollegen geschützt zu haben. Wie der Verteidiger anmerkt, könnte aber auch erst das exekutive Zurückreißen von S. dazu geführt haben, dass der erste Beamte ein leichtes Ziehen merkte.

Pfefferspray und Eier gehörten anderer Person

Und was hat es mit dem Pfefferspray und den möglicherweise bereits faulenden Eiern auf sich? "Ich habe die Angeklagte nach der Festnahme dann an einen Kollegen gegeben. Es gab noch eine zweite Festnahme, was ich weiß, gehörten die Gegenstände dem zweiten Festgenommenen", bestätigt er die Darstellung der Angeklagten.

Selbst der Staatsanwalt muss in seinen Schlussworten zugeben, dass der versuchte Widerstand gegen die Staatsgewalt sich im sehr überschaubaren Bereich abgespielt habe und man normalerweise mit deutlich aggressiveren Fällen zu tun habe. Er plädiert im Falle einer Verurteilung für eine milde Strafe, Richter Noe spricht S. aber rechtskräftig frei.

"Die Zeugen haben es heute im Gegensatz zur Anzeige deutlich abgeschwächt dargestellt", begründet er seine Entscheidung. Auch die Widersprüche wie die Herkunft des Pfeffersprays und der Eier missfallen ihm. Selbst wenn S. die Festnahme verhindern wollte, habe sie nicht mit Gewalt gehandelt, ist Noe überzeugt, da der betroffene Beamte ja nicht einmal wirklich etwas gemerkt habe. (Michael Möseneder, 18.5.2021)