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Drei Präservative wurden im Vorfeld eines via Internet vereinbarten Treffens zwischen einem 24-Jährigen und einer ein Jahr jüngeren Frau besorgt. Benutzt wurden sie alle, das Gericht musste urteilen, ob es beim dritten Geschlechtsakt zu einer Vergewaltigung gekommen ist.

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Wien – Beim dritten Geschlechtsverkehr der Nacht soll Mohammed A. zum Vergewaltiger geworden sein. Laut Staatsanwältin soll der 24-Jährige die ein Jahr jüngere Frau S. derart in den Schwitzkasten genommen haben, dass ihr fast die Luft wegblieb und sie auch am nächsten Tag noch Rötungen am Hals hatte. Stimmt nicht, sagen der wegen Diebstahls vorbestrafte Angeklagte und sein Verteidiger: Es habe sich am 26. September um härteren, aber einvernehmlichen Sex gehandelt.

Der Fall, der vor einem Schöffensenat unter Vorsitz von Stefan Apostol verhandelt wird, ist etwas ungewöhnlich. Unstrittig ist nämlich, dass sich A. und S. erst ein oder zwei Tage vor der fraglichen Nacht via Dating-App kennengelernt haben. Aus vom Vorsitzenden verlesenen Whatsapp-Chats geht hervor, dass nicht lange herumgeredet wurde. Die beiden diskutierten, in welchen Dessous S. den Iraker an ihrer Tür empfangen und wie viele Kondome in welcher Größe sie organisieren sollte. Es wurden drei Stück.

Zweimal einvernehmlicher Verkehr

Unstrittig ist ebenso, das der Angeklagte irgendwann zwischen 22 und 23 Uhr in der Wohnung der jungen Frau erschien und dass die ersten beiden Präservative im beidseitigen Einverständnis verbraucht wurden. A. sagt, die Frau habe ihn beim ersten Mal nur aufgefordert, ihr keine "Knutschflecken" zu machen. Das könnten die Rötungen am Hals von S. sein, mutmaßt er.

Der medizinische Sachverständige Christian Reiter kommt in seinem Gutachten zu einem anderen Schluss: Die von der Frau vorgelegten Fotos der Spuren würden zu einem Würgen mit dem Unterarm passen, "Knutschflecken" seien sie nicht. A. kann sich das nur so erklären, dass sich S. während des Geschlechtsakts mit ihrem Hals auf seinem Unterarm abgestützt haben könnte. Außerdem habe auch er selbst Kratzspuren auf der Brust gehabt, es sei leidenschaftlich gewesen.

Frau schlief im Wohnzimmer

Auch danach habe S. ihm keine Vorwürfe gemacht, beteuert der Angeklagte. Im Gegenteil, wie im Vorfeld vereinbart, habe er in ihrem Bett geschlafen, am nächsten Morgen habe sie ihm noch Kaffee angeboten. "Die Frau hat in ihrer eigenen Wohnung im Wohnzimmer geschlafen? Da muss doch etwas vorgefallen sein?", ist Apostol misstrauisch. "Sie hat gesagt, sie will Computerspielen oder irgendwas", lautet die Antwort.

Was A. überhaupt nicht versteht: Nach dem dritten Mal sei eine der Katzen von S. ins Bett gesprungen, er habe das Tier gestreichelt. "Sie hat mir erzählt, dass sie die Katze von der Straße aufgenommen und vor dem Verhungern gerettet hat. Wie kann sie zu dem Tier so nett sein und mir so etwas vorwerfen?", rätselt der Angeklagte.

Nachdem er die Wohnung von S. verlassen hatte, nahm sie noch einmal Kontakt mit ihm auf. Sie sandte ihm eine Nachricht mit folgendem Inhalt: "Weil ich kein Arschloch bin, sag ich es gleich: Es wird kein zweites Treffen geben, sorry." Dass sie ihn am selben Tag bei der Polizei anzeigen würde, habe er nicht gewusst.

Schilderung von Bissen

Bei der auf Video vorgespielten kontradiktorischen Einvernahme von Frau S. bestätigt diese die Vorgeschichte grundsätzlich. Sie sagt allerdings, es sei nicht um Knutschflecken gegangen, sondern A. habe sie beim Sex in den Hals gebissen. Zahnabdrücke beschreibt der Sachverständige in seiner Expertise allerdings nicht. Beim dritten Mal habe A. sie dann in den Schwitzkasten genommen, sie habe ihm garantiert gesagt, dass sie das nicht wolle.

Warum sie ihn dann nicht einfach aus ihrer Wohnung geworfen habe? Sie sei verwirrt gewesen und habe mit einem Freund in Deutschland gechattet, obwohl sie wusste, dass der ihr nicht helfen konnte. Auch Videos habe sie im Wohnzimmer angesehen, um sich abzulenken.

Am nächsten Tag habe sie sich mit ihrer Mutter und ihrem Bruder getroffen. Da die Mutter den Eindruck hatte, dass etwas nicht stimmte, erzählte S. ihr zunächst, sie sei überfallen und vergewaltigt worden. Der Bruder packte sie ins Auto und fuhr mit ihr zur Polizei. "Im Auto hat sie mir dann gesagt, dass sie den – entschuldigen Sie – Typen im Internet kennengelernt hat", erinnert sich der Verwandte als Zeuge.

Untersuchung im Spital abgelehnt

Bei der Anzeige sagte S. ursprünglich auch, es habe nur einen Geschlechtsakt gegeben – und bei diesem sei sie in den Schwitzkasten genommen worden. Erst nach der Aussage des Angeklagten bei der Polizei bestätigte sie den Verlauf der Nacht. Auch eine von der Polizistin angebotene gynäkologische Untersuchung im Spital lehnte sie ab.

"Irgendetwas muss passiert sein, das das Opfer verstört hat", zeigt sich die Anklagevertreterin in ihrem Schlusswort überzeugt. Sonst sei es kaum erklärbar, warum S. nicht in ihrem Bett übernachtet habe. Auch einvernehmlicher Sex könne sich zu einer Vergewaltigung entwickeln, stellt die Staatsanwältin noch klar.

Gegen den vom Senat gefällten Freispruch für A. erhebt sie dann aber kein Rechtsmittel. Vorsitzender Apostol begründet die damit rechtskräftige Entscheidung so: Das Delikt erfordere, dass man jemanden mit Gewalt zum Sex zwinge. Das sei in diesem Fall aber nicht so gewesen, da die beiden ja schon Geschlechtsverkehr hatten und es keine Anhaltspunkte gebe, dass S. das nicht wollte.

Problem der subjektiven Tatseite

Es bliebe also das Würgen. Das sei aber im Zweifel als Ausdruck einer Sexualpraktik zu werten, es sei nicht klar, ob die Frau dem Angeklagten gesagt habe, dass sie das nicht wolle. Subjektiv habe S. das möglicherweise als gefährlich empfunden, dem Angeklagten könne man aber nicht nachweisen, dass er von der subjektiven Tatseite her eine Verletzungsabsicht gehabt habe. Schließlich gebe es auch sozial adäquate Körperverletzung, die kein Fall für das Strafrecht seien, etwa bei einem Foul im Sport. (Michael Möseneder, 18.5.2021)