"Zum Lernen gibt es freilich eine Zeit", ließ Goethe Mephistopheles im "Faust" sagen. Seit Montag wird wieder in Präsenz gelernt – nicht nur im Goethe-Gymnasium in Wien-Penzing.

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Schluss mit Schichtbetrieb für die älteren Schülerinnen und Schüler: Seit Montag dürfen auch sie – wie schon bisher die Kinder in den Volksschulen – wieder zurück in ihre Klassen zum Präsenzunterricht. Es ist eine fast "normale" Schule, in die die jungen Lernenden zurückkehren, denn das, was in pandemischen Zeiten draußen gilt, gilt auch drinnen: Hygiene- und Abstandsregeln haben sie ohnehin schon verinnerlicht, und auch Masken (Mund-Nasen-Schutz bis zur Unterstufe, FFP2-Masken in der Oberstufe) sind schon alltägliche Accessoires geworden.

Wer am Unterricht in der Schule teilnehmen will, muss sich dreimal pro Woche auf das Coronavirus testen, in der Zwischenzeit wurden auch die Volksschulen mit zuverlässigeren Antigentests ausgestattet.

Zuletzt zeigten die Infektionszahlen deutlich nach unten. In der Vorwoche wurden in den Schulen bei 1,9 Millionen Schnelltests 668 "Treffer" (0,04 Prozent) registriert, in der Woche davor 1099 (0,06 Prozent). Für den Bildungsminister ist das Testsystem – er sprach von einer "bahnbrechenden Teststrategie" – neben den weiter gültigen Sicherheitsmaßnahmen einer der wichtigsten Garanten für die Öffnung der Schulen.

Die meistgetestete Gruppe

Heinz Faßmann: "Die Schülerinnen und Schüler sind die meistgetestete Bevölkerungsgruppe. Wir können infektiöse Kinder so schnell erkennen und verhindern, dass sie andere anstecken." Zudem bedeuteten offene Schulen "eine große Erleichterung für die Familien", sagte der Minister.

Und wie weiter in den Schulen? Den Turbo einlegen und bis zu den schon recht nahen Ferien noch einmal Vollgas geben im Unterricht? Nachholen, was das Zeug hält? Davor warnt der Bildungswissenschafter Stefan Hopmann im STANDARD-Gespräch: "Ich würde mir wünschen, sie würden die Zeit nützen, um zusammenzufinden und wieder Lernfreude herzustellen. Das vergangene Schuljahr war eine enorme Herausforderung und Belastung für Kinder und Jugendliche. Sie konnten soziale Beziehungen nicht pflegen, viele hatten familiär ganz schwierige Situationen. Sie brauchen jetzt gemeinsame Erfahrungen mit Gleichaltrigen und Nähe. Das ist entwicklungsmäßig wahnsinnig wichtig. Sie brauchen wieder Boden unter den Füßen nach diesem Corona-Jahr, das sie großteils allein zu Hause verbracht haben."

Bitte keinen "normalen" Unterricht "simulieren"

Das wäre die Wunschvorstellung des Experten, die schulische Wirklichkeit, befürchtet Hopmann, wird eher so aussehen, "dass es vielerorts ein Hängen und Würgen gibt, weil sich viele Lehrkräfte genötigt fühlen, irgendwie noch möglichst viel Stoff durchzubringen und ,normalen‘ Unterricht zu simulieren".

Dabei sei "der Stoff" jetzt nicht das Wichtigste, sagt Hopmann, der auch nicht in den Chor vom "verlorenen Jahr" einstimmen will: "Die Kinder und Jugendlichen haben viele Erfahrungen gemacht, die für ihr Welt- und Selbstverhältnis mehr bringen als ein normales Schuljahr. Jetzt geht es darum, dass sie miteinander schauen: Wie gehen wir mit dem um, was wir hinter uns gebracht haben. Das war eine Erschütterung ihres Welt- und Selbstverhältnisses. Lernen hängt aber zentral vom Selbstvertrauen ab."

Selbstvertrauen lernen zum Lernen

Damit diese Schülergeneration nach der Corona-Zäsur überhaupt wieder eine gute Basis zum Lernen entwickeln kann, brauche sie "positive Erfahrungen, Bestärkung, Bestätigung und Anerkennung", sagt Hopmann. Nicht so sehr für irgendwelche Schularbeiten und Kompetenznachweise in letzter Minute: "Das kann Material sein, aber darf nicht Maßstab sein. Für die langfristige Lernfähigkeit dieser Kinder und Jugendlichen ist die Herstellung von Lerngemeinschaft und Selbstvertrauen jetzt viel wichtiger."

Aber so ganz ohne Maßstab das Schuljahr beenden? Was tun mit den Zeugnissen? Auch da plädiert der Bildungswissenschafter für Gelassenheit: "Noten sind ja keine Bestätigung eines bestimmten Wissensstands, sondern nur eine Mitteilung über die Bewährung im Unterricht." Und das könne man sehr wohl auch in dem speziellen Setting heuer bewerten: "Gelingt es dir, dich wieder einzubringen?"

Um das herauszufinden, bleiben den Schülerinnen und Schülern mit ihren Lehrerinnen und Lehrern im Osten noch 33 Schultage und im Rest des Landes 38, bevor sich die Schultüren für alle wieder schließen – weil die Sommerferien beginnen. (Lisa Nimmervoll, 18.5.2021)