Jeden Tag gebe es im Basislager des Mount Everest neue Corona-Infizierte, berichtet Lukas Furtenbach. Nun kommt auch noch schlechtes Wetter dazu.

Foto: Furtenbach Adventures

Es braucht zwei Anläufe, bis die Verbindung zu Lukas Furtenbach hält – auf 5.400 Meter Seehöhe ist das Internetsignal eben etwas wackliger. Der Tiroler Furtenbach hat als erster Veranstalter angesichts unzähliger Corona-Fälle im Basislager des Mount Everest die Reißleine gezogen und seine Expedition abgebrochen.

STANDARD: Anfang März gab es in Nepal nur 100 Neuinfektionen pro Tag, nun eskaliert die Lage wegen der indischen Virusmutante. Seit wann hat sich abgezeichnet, dass Corona im Basislager ein Problem wird?

Furtenbach: Das erste Mal habe ich vor zwei Wochen gehört, dass im Basislager wahrscheinlich ein größerer Ausbruch bevorsteht. Ich habe versucht, Druck für einen Massentest zu machen – das ist ignoriert worden. Dann habe ich gehofft, dass die Regierung entscheidet, die Saison zu beenden. Das ist auch nicht passiert. In den letzten zwei Wochen war es dann eine tägliche Entwicklung, man konnte zusehen, wie es schlechter wird.

Lukas Furtenbachs Organisation brachte tausende Antigentests mit ins Basislager.
Furtenbach Adventures

STANDARD: Es gab immer mehr Cluster.

Furtenbach: Es gibt kein einziges Team im Basecamp, das keine Covid-Fälle hat. Selbst die Teams, die sich komplett isoliert haben und ganz streng an Maßnahmen gehalten haben, waren betroffen. Wir haben vor einer Woche nach unserer Akklimatisierungs-Rotation am Berg einen Teilnehmer positiv getestet (Furtenbach Adventures ist nach Eigenangaben eine von drei Expeditionen, die Testkits mithaben; insgesamt sind 46 Expeditionen am Berg, Anm. d. Red.). Er wurde nach Kathmandu ausgeflogen, da wurde das Ergebnis per PCR-Test bestätigt. Da haben wir uns gefragt: Wie kann das sein? Bei uns kommt niemand Fremder rein, wir haben keinen Kontakt zu anderen. Die einzige Erklärung war der Khumbu-Eisbruch, wo man auf engem Raum mit sehr viel anderen Menschen eng aneinander steht, durch die Anstrengung atmet jeder schwer.

Der Khumbu-Eisfall gilt als gefährlichster Teil des Everest.
Foto: PRAKASH MATHEMA / AFP

Wir haben rundherum Fälle gesehen, wie schnell es gehen kann. Ob das Sherpas waren, die innerhalb von 24 Stunden so schwer symptomatisch geworden sind, dass sie kaum mehr gehen konnten, oder ein amerikanischer Teilnehmer im Nachbarcamp, der auch in kürzester Zeit einen so schweren Verlauf gehabt hat, dass er selbst mit einer hohen Sauerstoffzufuhr kaum mehr am Leben zu erhalten war.

STANDARD: Also der Abbruch.

Furtenbach: Ich kann jeden Tag das gesamte Team durchtesten, und heute ist jemand negativ und nicht symptomatisch – ich schicke den dann rauf ins Hochlager, und am nächsten Tag ist er krank. Da oben gibt es keine Versorgung oder Rettung mehr. Gemeinsam mit der Teamärztin Anita Maruna war die Entscheidung klar, dass wir abbrechen müssen. Es gibt keine Alternative, sowohl rechtlich als auch moralisch. Wenn wir wissen, dass im Basecamp ein Covid-Ausbruch ist, und die Leute raufschicken, dann ist das ja Fahrlässigkeit. Moralisch ist es auch nicht zu verantworten – selbst wenn der Teilnehmer das Risiko eingehen möchte, ist der Sherpa ja auch da und genauso gefährdet wie der Teilnehmer.

Der Himalaya ist imposant.
Furtenbach Adventures

STANDARD: Werden jetzt auch andere Teams abreisen?

Furtenbach: Ich habe lang darauf gewartet, dass ein anderer Veranstalter den ersten Schritt macht, dann habe ich mir eine Kettenreaktion erwartet. Für uns war jetzt wirklich Deadline, es wäre zum Gipfelsturm gegangen – das geht nicht. Es hat kein anderer Veranstalter abgebrochen, die stecken alle den Kopf in den Sand und hoffen, dass sie das noch die letzten zwei Wochen durchdrücken. Es gibt aber sehr wohl einzelne Teilnehmer, die abbrechen wollen oder abgebrochen haben. Teilweise auch, weil sie Druck von zu Hause kriegen.

STANDARD: Der Zyklon Tauktae dürfte ein gutes Wetterfenster am Wochenende verhindern.

Furtenbach: Es ist jetzt relativ klar, dass das ursprüngliche Wetterfenster um den 21./22. Mai nichts wird. Es ist ein starker Sturm am Südsattel, aufgebaute Zelte sind sicher großteils zerstört. Das Wetter sieht schwierig aus, es ist ein weiterer Zyklon im Entstehen, und der nahende Monsun beendet die Saison.

STANDARD: Wie muss man sich das Basislager vorstellen?

Furtenbach: Es gibt 408 Permits (Aufstiegsgenehmigungen, Anm.) für Ausländer. Mit den Sherpas, Küchenmannschaften und Basecamp-Supportmannschaften sind ca. 1.500 Personen im Basislager. Es streckt sich über 1,5 Kilometer, jedes Team hat einen kleinen Bereich. Die meisten haben das inzwischen auch mit einer Schnur und Schildern abgegrenzt, damit keine fremden Personen reinkommen.

Mit Schildern wie diesen grenzt man sich ab.
Furtenbach Adventures

STANDARD: Man liest, dass manche Teams recht partywütig sind.

Furtenbach: Der Großteil der Teams nimmt das Ganze sehr ernst und versucht, alles richtig zu machen. Abstand halten, kein Kontakt und so weiter. Ohne zu sehr auf andere schimpfen zu wollen: Es gibt aber wenige Teams, die das komplett ignorieren. Gestern war die letzte große Party im Basecamp, da sind ja auch Bilder und Videos gepostet worden. Das ist einfach komplett unverständlich. Auch die Nepalesen und Russen, die vom Dhaulagiri-Basislager gekommen sind, wo ja fast 100 Prozent positiv getestet wurden, sind jetzt im Everest-Basislager und bringen einen zusätzlichen Cluster herein. Es ist ärgerlich, dass sich einige sehr unverantwortlich verhalten. Die haben sicher in den letzten Wochen das Infektionsgeschehen beschleunigt.

Schon am Dhaulagiri kam es im Basislager zu einem gewaltigen Corona-Ausbruch. Einige der Betroffenen sind nun am Everest.
Foto: EPA/NARENDRA SHRESTHA

STANDARD: Gibt es in den disziplinierteren Teams Einzelne, die auch zur Party gehen, oder passieren die Ansteckungen dann nur in den Rotationen auf dem Berg (für einen erfolgreichen Gipfelsturm sind sogenannte Akklimatisierungs-Rotationen nötig, bei denen die Bergsteiger in einem Hochlager übernachten, Anm.)?

Furtenbach: Bei uns nicht, da bleibt jeder im Camp. Ich glaube, dass tatsächlich die Nähe am Berg, wo sich verschiedene Teams nahe kommen und natürlich niemand eine Maske trägt, ein Grund ist. Ein Grund sind auch die Partys, wo verschiedene Teams hingehen und das weitertragen. Aber letztlich ist es so ein großer Ausbruch, dass es verschiedene Infektionsquellen gibt.

Am Berg erwischt die Sonne auch einen routinierten Abenteurer.
Furtenbach Adventures

STANDARD: Aber prinzipiell ist die Infrastruktur im Basecamp so, dass jeder für sich ist?

Furtenbach: Genau. Jeder hat seine eigene Versorgungskette, man ist nicht darauf angewiesen, mit anderen Kontakt zu haben.

STANDARD: Können Sie in etwa schätzen, wie viele Menschen mit Corona-Symptomen ausgeflogen wurden?

Furtenbach: Der vorsitzende Arzt der Himalayan Rescue Association hat bis zur vergangenen Woche 35 Fälle bestätigt, die positiv ausgeflogen wurden. Der Vorsitzende des größten nepalesischen Veranstalters hat 30 Fälle allein in seinem Team bestätigt, dann gibt es noch von einzelnen Teams bestätigte Fälle – insgesamt von offizieller Seite bestätigt sind um die 50. Die Dunkelziffer liegt mindestens bei 150. Es wird nicht darüber geredet, weil es jedem unangenehm ist, wenn er positive Fälle im Team hat.

Basecamp mit Berg.
Furtenbach Adventures

STANDARD: Also etwa jeder Zehnte.

Furtenbach: Und wenn man im Basecamp einen Massentest machen würde, kommt man auf 30 bis 40 Prozent. Vor allem die kranken Sherpas werden in den meisten Teams nicht getestet, sondern in einem Zelt isoliert. Wenn man durch das Basislager geht, hört man aus verschlossenen Zelten überall Leute röcheln und husten. Man fühlt sich wie in einem Feldlazarett, es ist eine gespenstische Situation. Es sind viele total unverantwortlich. Wir haben Sherpa-Fälle gehabt, die positiv waren, auch stark symptomatisch. Wir haben die sofort ins Krankenhaus nach Kathmandu ausfliegen lassen, weil die genau so ein Recht auf medizinische Behandlung haben wie der amerikanische Teilnehmer. Ich finde das furchtbar, dass da mit zweierlei Maß gemessen wird. Aber es passiert.

STANDARD: Und jetzt?

Furtenbach: Das eine ist, das Basecamp abzubauen. Das ist Routine. Das größere Problem ist, die Kunden und die Mannschaft rauszubringen. Wir haben alle Kunden, die das wollten, mit Helikopter evakuiert, weil – und jetzt wird es skurril: Es gibt derzeit nur als medizinische Notfallevakuierung mit Helikopter die Möglichkeit, das Basislager zu verlassen. Es ist nicht möglich, rauszutrekken. Das ganze Khumbu-Gebiet ist gesperrt, keine Lodge hat offen, man bekommt keine Träger. Die dürfen gar nicht ins Basislager raufgehen. Es ist alles gesperrt – aber das Tourismusministerium sagt bis zuletzt, also Sonntag: "Es gibt keine bestätigten Covid-Fälle im Basislager." Das ist komplette Ignoranz der Verantwortlichen und Behörden und eigentlich ein Skandal, was da gerade passiert. Da werden letztendlich Menschenleben gefährdet. (Interview: Martin Schauhuber, 19.5.2021)