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Letzte Woche, Drehpause auf einem Filmset. Drei Studentinnen und ein Student, die als Darsteller engagiert wurden, hängen auf einem Sofa ab. Sie umarmen und drücken einander, machen Witze. "Ich kenne mich mit diesen jungen Leuten echt nicht mehr aus", raunt mir die 37-jährige Hauptdarstellerin zu. "Sind die jetzt lesbisch, schwul, hetero? Oder schlafen sie alle nur mehr mit Stofftieren?"

Sie wirkt ratlos. Auch weil eine Generation-Z-Kollegin vorhin in der Garderobe deutlich mit ihr zu flirten schien. "Vielleicht alles nur ein Missverständnis", urteilt meine Bekannte jetzt mit Blick auf das Sofa. Beide bewundern wir diese neue, interessante Energie. Läuft das noch unter fröhlich-unverbindlicher Körperlichkeit oder schon unter Anmache? In diesem Universum von Bauchfrei-Tops, rosa Haaren und Ugly-Sneaker-Trends: Was gelten da für erotische Codes?

Autsch, das tut weh

Ja, wir Boomer, Vertreter der Generation X und alle anderen Steinzeitmodelle sind natürlich neugierig. Einige von uns wurden im musikalischen Underground der 1980er und 1990er sozialisiert, fühlten sich über Jahrzehnte als Teil einer progressiven Elite. Haben in New Yorker Schwulenclubs abgetanzt, Ledersex und gleichgeschlechtliche Beziehungen ausprobiert. Und jetzt soll man plötzlich die Zeichen der Zeit nicht mehr verstehen? Blamiert sich vor theorie-bewaffneten Millennials und Zoomers mit ironischen Seitenhieben auf das Binnen-I? Autsch, das tut weh.

"Das Zentrum der krassen Gefühle" titelte das Nachrichtenmagazin Spiegel anlässlich einer Fotostory über Teenie-Zimmer. Später, in ihren Zwanzigern, wissen viele dieser ehemaligen Teenies dann schon krass gut Bescheid: was sie wollen oder nicht wollen, was sie reizen würde, auszuprobieren. Vor allem staunt man über das extreme Selbstbewusstsein eines völlig neuen Frauentyps: gebildet, genderfluid und frei von Bodyshaming.

Der feministische Mann gewinnt

"Die schlafen mit ihren besten Freunden und Freundinnen, ohne sich zu irgendetwas verpflichtet zu fühlen", schwärmt mein Freund, der wilde Künstler. Er ist in seinen Vierzigern, seit jeher deklarierter Feminist, kennt alle Positionen der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler. Intellektueller Freigeist mit sexueller Erfahrung – dieser Typ Mann dürfte trotz seines fortgeschrittenen Alters für experimentierfreudige weibliche Millennials von Interesse sein.

Während sich andere Singles in unserem Freundeskreis resigniert zurückziehen, genießt er eine literarische Beziehung mit einer angehenden Medizinerin. "Sie bestimmt die Spielregeln, und ich diene ihr", erklärt er treuherzig – und wirkt dabei nicht wie ein Samariter. (Ela Angerer, RONDO, 24.5.2021)