Wenn Nicolas Sarkozy am Donnerstag das Pariser Gerichtsgebäude betritt, erwartet die Nation ein Déjà-vu. War dieser Mann mit dem federnden Schritt und den überhöhten Schuhabsätzen nicht schon kürzlich – und erst noch an der Seite seiner Gattin Carla Bruni – vor dem Kadi angetreten? Richtig, und das Urteil im März hatte es in sich: drei Jahre Haft für den Ex-Präsidenten wegen versuchter Bestechung – davon ein Jahr unbedingt, auch wenn wohl nur mit Fußfessel.

Jetzt folgt Prozess Nummer zwei für "Monsieur le Président", wie sich Sarkozy zeitlebens nennen darf. Der Tatbestand klingt harmloser: Überschreitung der Wahlkampfausgaben. Politisch ist der Fall gravierender, denn er enthüllt die Abgründe einer Wahlkampagne und eines ganzen Politstils an der Grenze zur Immoralität, ja Illegalität.

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Nicolas Sarkozy muss wieder vor Gericht.
Foto: Reuters/Camus

Fiktive Rechnungen

Die sogenannte Bygmalion-Affäre ist nach einer PR-Agentur benannt, die 2012 die Kampagne für Sarkozys Wiederwahl orchestrierte. Nach fünf sehr mäßigen Jahren im Élysée-Palast hatte der Konservative gegen den sozialistischen Kandidaten François Hollande nur eine Devise: Klotzen. 87.000 Euro allein für die Aufnahme des Indiana-Jones-Jingles zu Beginn seiner Wahlkampfauftritte; 386.000 Euro für einen Privatjetflug; 1,8 Millionen Euro für das krönende Pariser Meeting mit Sicht auf den Eiffelturm.

Allen Beteiligten war klar, dass Sarkozy den erlaubten Wahlkampfplafond sprengen würde. Also zogen sie ein System fiktiver Rechnungen auf, die von Sarkozys Partei UMP (heute: "Les Républicains") freundlicherweise abgebucht wurden. Nach der verlorenen Wahl flog das Ganze auf. Am Donnerstag nehmen abgesehen von Sarkozy 13 Mitarbeiter auf der Anklagebank Platz. Sie müssen für den Betrug geradestehen. Ihr Chef, dem keine Mitwissenschaft nachgewiesen werden konnte, muss sich nur wegen Missachtung des Wahlkampfplafonds verantworten. Und zwar nicht nur wegen ein paar Cents: Statt der erlaubten 22,5 Millionen Euro gaben die Sarko-Boys fast das Doppelte aus, nämlich 42,8 Millionen.

Rekordminus

Die politische Frage, die über dem Prozess schwebt, lautet: Kann jemand, der seine Mittel so schlecht einsetzt, den öffentlichen Haushalt kontrollieren? Offensichtlich nicht: Kein Präsident der Fünften Republik ließ die Staatschuld so rasant ansteigen wie Sarkozy, kein Sozialist erwirtschaftete im Élysée so hohe Fehlbeträge wie der rasende Republikaner: 605 Milliarden Euro in einer Amtszeit. Unter Sarkozy stieg die Staatsschuld von 64 auf 90 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Gewiss fiel in seine Zeit auch die Finanzkrise von 2008; doch selbst in der Corona-Krise hat Emmanuel Macron bisher weniger ausgegeben.

Die Bygmalion-Affäre wird der Nation während der einmonatigen Gerichtsverhandlung vor Augen führen, wie sehr Sarkozy seine eigenen Belange über die der Allgemeinheit stellte. Zu dem Befund sind auch schon andere gekommen. "Sein oberstes, kaum verhülltes Interesse war, im Mittelpunkt der Aktion zu stehen", urteilte der frühere US-Präsident Barack Obama Ende 2020 in seinen Memoiren. Zu Beginn des Libyenkriegs habe sich Sarkozy zum Beispiel vor allem dafür eingesetzt, "dass das erste angreifende Kampfflugzeug französisch war".

"Kleiner Hahn"

Obama schreibt weiter, Sarkozy schwanke im Gespräch zwischen Schmeichelei und Prahlerei und strecke "die Brust wie ein kleiner Hahn heraus". Der Sohn eines ungarischen Adligen und Enkel einer jüdischen Griechin erinnere fast an den Maler Toulouse-Lautrec.

Solcherlei kommt in Paris nicht nur schlecht an. Der 66-jährige, heute leicht angegraute Tausendsassa mit dem traurigem Blick verlor zwar 2012 die Präsidentschaftswiederwahl und 2017 schon die Primärwahl seiner Partei. Aber er bewahrt die Sympathien vieler Franzosen. "Trotz aller Affären bleibt er auf der Rechten populär," schrieb die Zeitung "L’Est républicain" noch im März. "Für viele Parteikader und ehemalige Wähler bleibt er der Leuchtturm."

Strippenzieher

Sarkozy gilt als der einzige Republikaner, der nicht zwischen dem Zentristen Macron und der Rechtspopulistin Marine Le Pen aufgerieben würde, sondern ihnen rhetorisch Paroli bieten könnte. Aber nicht mit einer Fußfessel, selbst wenn diese während der Dauer des Berufungsprozesses ausgesetzt bleibt. Und nicht mit einem Bygmalion-Prozess, der Einblick gibt in die "großen Tricksereien" (ein Buchtitel) und den "Bruderkrieg" (Titel eines anderen Buches) im bürgerlich-gaullistischen Lager.

Ob Sarkozy eingesehen hat, dass er bei den Präsidentschaftswahlen 2022 nicht mehr antreten kann, lässt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Vorläufig versucht er sich als politischer Strippenzieher seiner Partei. Regelmäßig rufe er das Élysée an, heißt es. Mit Macron soll er übereingekommen sein, dass er ihm "seine" Wähler zuführt, wenn er dafür Einfluss auf die politischen Entscheidungen der nächsten Amtszeit erhält.

"Alle korrupt"

Der aktuelle und wenig beliebte Präsident hat alles Interesse daran, dass ihm Sarkozy die rechte Flanke freihält. Das bisher betont herzliche Verhältnis der beiden Polittaktiker hat sich aber abgekühlt, seitdem Sarkozy im kleinen Kreis herumposaunt haben soll, er halte "den Schlüssel für Macrons Erfolg oder Scheitern" in der Hand. Und nur er, Sarkozy, könne Le Pens Wahlsieg verhindern.

Ein Teil der Pariser Kommentatoren sieht es umgekehrt: Mit seinen Justizhändeln bestätige Sarkozy nur den alten Le-Pen-Spruch "tous pourris" ("alle korrupt"). Die Franzosen haben genug von den in Paris so gebräuchlichen Hinterzimmer-Deals gewesener und amtierender Präsidentschaftsanwärter. Immer mehr Wähler sind laut den Umfragen bereit, 2022 einem Neuen eine Chance zu geben. Genauer: einer Neuen. (Stefan Brändle aus Paris, 18.5.2021)