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Der gesetzliche Begriff ist so sperrig, dass mehr kaum noch geht: Wiedereingliederungsteilzeit. Tatsächlich geht es um das Ermöglichen einer schrittweisen Rückkehr in den Job nach längerer Krankheit. Konkret: Hat ein Krankenstand mindestens sechs Wochen gedauert, kann anschließend Teilzeit gearbeitet werden. Die wöchentliche Normalarbeitszeit wird via schriftliche Vereinbarung mit dem Arbeitgeber herabgesetzt, die Firma zahlt die tatsächlich geleistete Arbeitszeit, die Krankenversicherung füllt den Rest auf.

Die Ärztin Eva Höltl ist Gesundheitsmanagerin der Erste Bank, wo sie sich mit dem Wiedereingliederungsmanagement beschäftigt
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Möglich ist das maximal neun Monate lang. Das gilt seit 2018, und es haben fast 8000 Arbeitende davon Gebrauch gemacht, über 90 Prozent konnten solcherart in ihrem Job bleiben – obwohl sie noch nicht so fit waren, dass sie "wie früher" arbeiten konnten.

Das Aufbrechen der starren Zuordnung "krank" oder "gesund" ist der Gesundheitsmanagerin der Erste Bank, Eva Höltl, zu verdanken. Sie hat in einer ministeriellen Arbeitsgruppe noch unter Gesundheitsminister Rudolf Hundstorfer entsprechende Modelle in die Welt gebracht. Rund ein Drittel des gesamten Krankenstandsvolumens, so die Ärztin, entfällt auf Langzeitkrankenstände. Also: Der Hebel, um Menschen in Beschäftigung zu halten, sei sehr groß, sagt Höltl.

Langzeitkrankenstände halbiert

In der Erste Bank konnte sie aus eigenen Mitteln des Bankenkonzerns ohne Zuzahlung der Kassen vorangehen – dort besteht seit vielen Jahren ein Wiedereingliederungsmanagement nach Krankenständen. Was Höltl freut: Das Bild von statisch verlaufender Leistungsfähigkeit über die Lebensphasen hinweg ist damit korrigiert und "lebensgerechter" angepasst. Mal ist man eben ein Kraftwerk, dann muss zurückgeschaltet werden, bevor es wieder voll losgehen kann.

Die Pionierleistung hat sich für die Bank gelohnt. Die Langzeitkrankenstände wurden halbiert. Höltl: "Das ist kein Programm für Arme und Schwache, es ist ein Herzensanliegen und hat betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich positive Effekte." Denn, so berichtet Hölt, wer "gesundgeschrieben" zurückkomme und merkt, dass er oder sie es nicht gleich voll schafft, muss meistens dann den Weg in die Invaliditätspension beschreiten.

Tatsächlich, ist Eva Höltl überzeugt, könne der Betrieb mit einer Rahmenvereinbarung für Leistung je nach Möglichkeit zu einem "Ort der Genesung" werden, der "Wiedererstarkung". Soziale Kontakte, Gebrauchtwerden, Teil der Organisation sein – das stärke nachweislich. Die Menschen nach Hause zu schicken und dort zu lassen – das sei die schlechteste aller Möglichkeiten. Das Gefühl der "Unbrauchbarkeit" für starre Systemanforderungen kann ja auch laut Hausverstand nicht gesundheitsförderlich und glücklichmachend sein.

Soziale Nachhaltigkeit

Die Erste macht weiter über die gesetzlichen Möglichkeiten hinaus, was die 250 bis 300 Langzeitkranken (von zusammen 8000 Beschäftigten) zur Wiedereingliederung brauchen. Es mache sich mittelfristig bezahlt, so Höltl. Der Vorstand argumentiert mit Verantwortung des Unternehmens auch in der Dimension soziale Nachhaltigkeit.

Long Covid macht die Debatte um die Wiedereingliederungszeit wieder größer
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Aktuell ist Höltl damit beschäftigt, Leistungseinschränkungen nach Covid-19-Infektionen zu erfassen. Gerade jetzt, wo Long Covid, also mittelfristig nach einer Infektion anhaltende Beschwerden, etwa neurologischer Natur, auftreten, müsse Wiedereingliederungsteilzeit zu einem noch zentraleren Thema werden. Höltl: "Long Covid betrifft ja auch junge Menschen."

Ein Modell für mehr?

Bis jetzt haben vorwiegend Großunternehmen die gesetzlichen Möglichkeiten zum "Teilkrankenstand" ausgenützt. Kleinere und mittlere Firmen seien offenbar noch dafür zu interessieren. Ebenso sollte, sagt Höltl, die Möglichkeit der Lohnaufzahlung auch für schubweise auftretende Krankheiten – etwa multiple Sklerose – gelten können. Auch angesichts der, wie sich die Medizinerin ausdrückt, "gestiegenen psychischen Vulnerabilität" in den Pandemiemonaten dürfte die Nachfrage nach individuellen Modellen des halbkrank/halbgesund steigen.

Das Modell und seine möglichen Adaptionen breiter in die Wirtschaft zu bringen sollte auch für Arbeitsminister Martin Kocher ein Thema sein. Er will ja unter anderem rund 50.000 Langzeitarbeitslose wieder in Beschäftigung bringen und Langzeitarbeitslosigkeit künftig besser verhindern. (Karin Bauer, 22.6.2021)