Eine afghanische Familie in Athen, wo viele Asylwerber obdachlos sind.

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Der Schutz des Familienlebens ist ein hohes Gut und unter anderem in Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) festgeschrieben. In Asylverfahren regelt die Dublin-III-Verordnung, dass Familien im Fall einer Trennung auf mehrere EU-Staaten im zuständigen Staat zusammengeführt werden müssen. Bloß, dass das in der Praxis nicht immer funktioniert. Wie das Rote Kreuz und die Asylkoordination Österreich berichten, werden besonders Zusammenführungen, bei denen sich ein Familienteil in Griechenland befindet, oft nicht durchgeführt, weil die dortigen Behörden Fristen verstreichen lassen. Die Leidtragenden sind Kinder, Eltern und Ehepartner, die dann voneinander getrennt bleiben.

2020 wurden laut österreichischem Innenministerium (BMI) 134 sogenannte Konsultationsverfahren mit Griechenland geführt, in denen es um Familienzusammenführungen ging. Österreich stimmte solchen "in knapp der Hälfte" zu, sagt ein Sprecher des BMI. Tatsächlich von Griechenland nach Österreich gebracht wurden 54 Personen, zeigt die Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper.

Ein Behördenproblem

Warum lehnt Österreich die andere Hälfte der Familienzusammenführungen ab? Zum Beispiel weil die Familieneigenschaft nicht belegt werden kann oder die Angaben der betroffenen Personen nicht übereinstimmen, heißt es vom BMI. Es gibt aber einen weiteren, häufig auftretenden Grund. "In einigen Fällen halten die griechischen Behörden die Fristen nicht ein, wodurch die Zuständigkeit Österreichs automatisch erlischt", sagt Daniel Bernhart vom Roten Kreuz, der Flüchtlinge bei Familienzusammenführungen berät. Beim BMI will man lediglich bestätigen, "dass die Covid-19-Pandemie sich maßgeblich auf den Bereich der Außerlandesbringungen ausgewirkt hat". "Familienzusammenführungen aus Griechenland haben schon vor der Pandemie nicht funktioniert", entgegnet Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich.

Gibt ein Asylwerber in Griechenland an, dass sich Familienmitglieder in einem anderen EU-Staat befinden, muss innerhalb von drei Monaten eine Anfrage an dieses Land gestellt werden. Innerhalb von weiteren drei Monaten muss das andere Land antworten und die Zusammenführung dann innerhalb von sechs Monaten durchgeführt werden. Hält ein Land eine dieser Fristen nicht ein, ist automatisch das jeweils andere zuständig.

"Oft halten die griechischen Behörden schon die erste dreimonatige Frist nicht ein", sagt Bernhart. In anderen Fällen ist schon alles für die Zusammenführung bereit, diese wird aber nicht innerhalb von sechs Monaten durchgeführt, womit die Zuständigkeit Österreichs erlischt. Die Familien werden schließlich informiert, erhalten aber keinen behördlichen Bescheid, gegen den sie ein Rechtsmittel einlegen könnten.

Doch warum lässt Griechenland Fristen verstreichen? Liegt es nicht im Interesse Athens, Asylwerber in andere Länder weiterzuschicken? "Das griechische Asylsystem ist auf vielen Ebenen dysfunktional", vermutet Gahleitner-Gertz als Ursache. Von den griechischen Behörden war trotz mehrmaliger Anfrage des STANDARD keine Stellungnahme zu bekommen.

Kulanz wäre möglich

Für die betroffenen Familien bedeutet das oft die physische Trennung. Selbst wenn sich ein Familienteil entscheiden würde, nach Griechenland zurückzugehen, wäre er auf die Kulanz der dortigen Regierung angewiesen, sein Asylverfahren zu übernehmen. "Die Familien, die wir aktuell betreuen, sind großteils seit rund anderthalb Jahren getrennt", sagt Bernhart. Wie lange sie das noch bleiben, hänge von den Behörden ab.

Nun könnte sich natürlich auch Österreich kulant zeigen und eine Familie aufnehmen, obwohl es formal nicht mehr zuständig ist. Von dieser Möglichkeit wurde 2020 laut Anfragebeantwortung in 16 Fällen Gebrauch gemacht. "Am einfachsten wäre das Problem gelöst, wenn Österreich das in allen Fällen tun würde", sagt Bernhart. Um Kulanz walten lassen zu können, brauche es erst ein Ansuchen von Griechenland, entgegnet das BMI. "Griechenland stellt diese Ansuchen erst gar nicht, weil sie von Österreich meist abgelehnt werden", sagt Bernhart. (Johannes Pucher, 23.5.2021)