Ulrich Brand und Heinz Högelsberger – beide Experten für sozial-ökologische Verkehrspolitik – haben zur Zukunftsfähigkeit der österreichischen Kfz-Industrie geforscht. In ihrem Gastkommentar kritisieren sie die bestehende Strategie der Autoindustrie und zeigen Auswege auf.

Die Bedingungen im MAN-Werk in Steyr für einen an Wirtschaftlichkeit sowie sozialen und ökologischen Kriterien ausgerichteten Unternehmensumbau sind gar nicht so schlecht, wie es scheinen könnte. Und er fügt sich in den ohnehin anstehenden sozial-ökologischen Umbau des Mobilitätssystems ein.

Ein Mitarbeiter an der Produktionsstraße – wie soll es mit dem MAN-Werk und seiner Belegschaft in Steyr weitergehen? Noch wird um eine Lösung gerungen.
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Ein Jahrhundert lang ruhte das Geschäftsmodell der Kfz-Industrie auf drei Säulen: Der Antrieb erfolgt durch einen Verbrennungsmotor, und wer ein Auto nutzen möchte, kauft und lenkt es selbst. Durch Elektrifizierung, Sharing-Modelle und automatisiertes Fahren kommen diese Säulen ins Wanken. Das neue Verwendungsmuster nähert sich damit an jenes der – vermeintlich "altmodischen" – öffentlichen Verkehrsmittel an: Um in diesen mitfahren zu können, muss man die Fahrzeuge weder kaufen noch bedienen können. Und der Antrieb erfolgt seit vielen Jahrzehnten hauptsächlich elektrisch.

Bewusst ignoriert

Die europäische Kfz-Industrie hat diese Umwälzungen aber weder übersehen noch verschlafen. Sie hat vielmehr die Umbrüche einerseits durch Lobbying und Abgasbetrügereien bekämpft beziehungsweise bewusst ignoriert – ganz nach dem Motto: Lieber heute maximale Rendite einfahren als in Entwicklungen für morgen investieren. Oder wie es ein Insider treffend ausdrückte: "Da wird ein totes Pferd bis zum Ende geritten." Denn leichte Nutzfahrzeuge, Busse und Zweiräder könnten schon seit vielen Jahren elektrisch unterwegs sein. Allein die europäische Industrie stellte diese Produkte bislang nicht her. Da beispielsweise die Deutsche Post elektrische Zustellfahrzeuge nicht zu einem akzeptablen Preis kaufen konnte, stellte sie diese kurzerhand selbst her.

Langsam schwenken die deutschen Autohersteller um, konzentrieren aber die Herstellung elektromobiler Komponenten (E-Motorenbau, Steuerungselektronik, Batterienproduktion) rund um ihre Stammwerke. Den Zweigwerken – sei es in Steyr oder in Polen – bleibt dann nur die Aufgabe, die "fossilen Auslaufmodelle" bis auf weiteres möglichst billig zu produzieren. Daher widersprach auch Investor Siegfried Wolf nicht, als ein Journalist die Vermutung äußerte, dass er – mit reduzierter Belegschaft und geringen Löhnen – weiterhin für MAN produzieren würde.

Die vergangenen Wochen haben eines gezeigt: Der internen Konzernlogik folgend, hat MAN keinerlei Interesse, dass in die Steyrer Werkshallen ein erfolgreicher potenzieller Konkurrent einziehen könnte. Nachdem die Beschäftigten das ursprüngliche Wolf’sche Übernahmeangebot mit großer Mehrheit abgelehnt haben, wurde der Ton verschärft: Trotz voller Auftragsbücher wurden Leiharbeitskräfte "abgebaut". Man versuchte, einen Keil zwischen Angestellte und Arbeiterinnen und Arbeiter zu treiben, und schließlich versprach Wolf öffentlichkeitswirksam "Nachbesserungen". Zu seinen Beratern gehören schließlich die gewieftesten Polit-Taktiker Österreichs.

Know-how wäre vorhanden

Österreich verfügt über eine leistungsfähige Maschinenbau-, Elektro- und Bahnindustrie. Das Know-how für eine längst fällige Mobilitätswende wäre also vorhanden. Das Potenzial auch: In allen Ballungsräumen könnten Unternehmen, Geschäfte, Supermärkte und Privatkunden elektrisch beliefert werden. Die "Clean Vehicles Directive" der EU von 2019 verpflichtet öffentliche Stellen ohnehin dazu, emissionsarme Fahrzeuge zu beschaffen. Das betrifft Dienstwägen genauso wie Linienbusse oder Mistautos. Auch Motorroller und Moped könnte schon längst elektrisch surren. Noch fehlen aber die breitgestreuten europäischen Angebote.

Um dieses klassische Marktversagen auszugleichen, sollte die öffentliche Hand einspringen und aus dem MAN-Werk in Steyr – mit all seinem Know-how – einen zukunftsfähigen Standort machen. Dabei geht es aber nicht um eine reine Geldspritze. Vielmehr sollte eine Plattform geschaffen werden, auf der all jene Akteure zusammenarbeiten, deren Wissen, Technologie und Fertigkeiten es für nachhaltige Transportsysteme braucht. Der Staat soll es nicht richten, schon gar nicht allein. Aber er kann und soll Vorgaben machen und eben in Krisenzeiten sich auch stärker engagieren.

Das große Sorgenkind

Denn die politische Verantwortung betrifft ja auch eine effektive Klimapolitik und damit den Umbau des Mobilitätssystems. Der Transportsektor ist bisher das große Sorgenkind bei den Treibhausgasemissionen. Das geht in vielen gut gemeinten Vorschlägen, aktuell etwa durch die SPÖ, unter.

Um kein Missverständnis zu erzeugen. Ein einseitiges Setzen auf Elektroantriebe bei Kraftfahrzeugen wird nicht ausreichen. Das ganze Mobilitätssystem muss umgebaut werden: weniger "erzwungene" Alltagsmobilität, dass also die im Alltag zurückgelegten Entfernungen zwischen Wohn-, Arbeits- und Einkaufsort immer weiter zunehmen. Dann sind wir bei Infrastruktur- und Raumordnungspolitiken, bei der Gestaltung des öffentlichen Raums in Städten.

Es geht aber auch um die Produktion von öffentlichen Verkehrsmitteln, bei Elektro-Lkws für den städtischen Lieferverkehr und anderem.

Und, machen wir uns nichts vor, es bedarf mittelfristig einer Reduktion der Herstellung von Automobilen. Aber wir brauchen natürlich Transportmittel, die nicht unter sozial und ökologisch bedenklichen Bedingungen produziert werden. Mit politischem Mut, der Beteiligung der Beschäftigten und einer flankierenden Industriepolitik könnte das gelingen und dem MAN-Werk in Steyr eine Zukunft geben. (Ulrich Brand, Heinz Högelsberger, 19.5.2021)