Den Sprachwandel kann nur eine große Masse von Sprechenden und Schreibenden vorantreiben oder verhindern. Aktive Eingriffe in die Sprache wird aber meist nur Aktivistinnen und Aktivisten zugeschrieben.

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Wein, Weib und Gesang. Das fiel einem Historiker in einem TV-Interview auf die Frage ein, wie er sich in Zeiten der Pandemie bei Laune halte. Der Moderator schien peinlich berührt, sein Gegenüber hingegen ein bisschen stolz auf seine verbale Kühnheit, Frauen mit Mitteln zur Zerstreuung in eine Reihe zu stellen, sie als "Weiber" zu bezeichnen. War es eine Reminiszenz an "gute alte Zeiten"? Eine Provokation in Richtung der vielzitierten "Sprachpolizei"? Gar Ironie? Wir wissen es nicht. Doch eines zeigen Sprechhandlungen wie diese: Die Welt verändert sich, und die Sprache und unser Verhältnis zu Wörtern und Formulierungen auch.

Doch wer verändert die Sprache, formt sie um, überdenkt sie? Oder will sie – im Gegenteil – so erhalten, wie sie der eigenen Generation vertraut ist? "Sprachwandel erfolgt von 'unten', 'oben', 'außen' und 'innen'", sagt Martin Reisigl vom Institut für Sprachwissenschaft in Wien. Kulturelle, wirtschaftliche, politische, mediale, sozialpsychologische und freilich auch sprachliche Faktoren wirken auf komplexe Weise zusammen, erklärt der Diskursanalytiker und Soziolinguist. Sprachwandel passiert somit durch Einzelne und viele und durch eine Verschränkung verschiedenster gesellschaftlicher Prozesse.

Was bleibt, was geht

Inwiefern Sprechende und Schreibende selbst die Sprache formen, zeigt auch die Arbeit der Duden-Redaktion, die die stellvertretende Leiterin des Rechtschreibwörterbuchs, Laura Neuhaus, in erster Linie als beobachtend beschreibt. Ein Wort bleibt so lange im Duden, wie es gesprochen und geschrieben wird. Analysiert wird dies mithilfe eines Sprachkorpus, der 5,7 Milliarden laufende Wortformen enthält und sich aus verschiedensten Texten zusammensetzt – von Zeitungsartikeln über Onlineforen, Bastel- und Reparaturanleitungen bis hin zu literarischen Texten.

Neue Wörter, die in diesem Korpus häufig vorkommen, werden zu Kandidaten, die in den Duden aufgenommen werden könnten, mit Rechtschreibempfehlungen (Fake News. Fake-News oder Fakenews?), Bedeutungserklärung und – wenn nötig – weiteren Einordnungen: So finden wir beim "Weib" etwa den Hinweis, dass diese Bezeichnung veraltet ist und "im modernen Sprachgebrauch zunehmend als diskriminierend" gilt. Bei "Zigeuner" findet sich die Ergänzung, dass das Wort vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma als diskriminierend abgelehnt wird. "Wir versuchen Orientierung zu geben, warum man jetzt eher People of Color oder Schwarze Menschen mit großem S verwendet", sagt Neuhaus.

Dieser Text ist ein Teil einer ressortübergreifenden Serie des STANDARD zum Thema Sprachwandel.
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Realität sprachlich abbilden

Man kann sich also informieren und darüber entscheiden, welcher Wörter man sich bedient und welcher nicht. "Wir wollen Sprache nicht beschönigen, sondern ihre Veränderungen beobachten und Sprache darstellen, wie sie nun einmal ist", sagt Neuhaus. Dass Sprache oft einfach mit neuen Realitäten mitmuss, das zeigten die vergangenen 15 Monate: Von "Corona" bis "Erststich", wir brauchen heute viele neue Wörter, um unseren pandemiegeplagten Alltag zu beschreiben.

Was bei medizinischen oder technischen Kontexten als notwendig erscheint, um diese adäquat beschreiben zu können, löst bei Personenbezeichnungen oft heftige Debatten aus. Stichwort Genderstern und andere Formen, die Geschlechtsidentitäten abseits von männlich und weiblich sprachlich abbilden. Seit 2018 kann im Zentralen Personenstandsregister "divers" oder "inter" gewählt werden. "Diese Realität muss man auch sprachlich abbilden", sagt Neuhaus.

Bahöl um den Sprachwandel

Neue Bezeichnungen sind aber nicht nur bei jenen umstritten, die Sprache so belassen wollen, wie sie sie gewohnt sind. So ließe sich etwa an "People of Color" kritisieren, dass der Begriff eine Einteilung in zwei Großkategorien vornimmt und suggeriert, dass es "farbige" und "farblose" Personen gebe, sagt Reisigl. "Wir haben es hier mit einem ähnlichen Benennungsproblem zu tun wie dem, wo vermeintliche 'Menschenrassen' sprachlich mithilfe von Farbmetaphern konstruiert werden. Tatsächlich gibt es keine 'weißen' Menschen. Wir konstruieren mit sprachlichen Mitteln vorgestellte Gemeinschaften als klar abgrenzbare." Andererseits brauchen wir diese Kategorien noch, um Diskriminierung sichtbar zu machen.

Daher dieser Bahöl. "An Sprache zeichnet sich der Wandel der Gesellschaft ab", so Neuhaus. Jene, die einen bestimmten gesellschaftlichen Wandel nicht wollen, könnten auch die damit verbundenen sprachlichen Entwicklungen nicht befürworten. Auch Reisigl betont, dass es um gegenläufige Interessen und widerstreitende Diskurs-, Sprech- und Schreibtraditionen geht, die identitätsstiftend wirken. Und so stehen dort jene, die einen Sprachverfall bejammern und sich gegen manche sprachlichen und sozialen Veränderungen stemmen, und hier jene, die sich über Sprache Anerkennung und soziale Inklusion erkämpfen. Es geht also um weit mehr als um ein paar neue Sternchen hier oder ein veraltetes "Weib" dort. (Beate Hausbichler, 19.5.2021)