Spätestens jetzt ist die Schonzeit vorbei: Joe Biden muss im Zusammenhang mit der Israel-Politik der USA Führungskompetenz beweisen.

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Eine Zeitlang sah es so aus, als gäbe es bei den US-amerikanischen Demokraten keine Differenzen mehr, jedenfalls keine nennenswerten. Seit dem Amtsantritt Joe Bidens im Jänner, mit seiner Biografie ein klassischer Vertreter der politischen Mitte, hörte man vom linken Flügel nur noch Applaus für den US-Präsidenten, während sich Kritik auf Nebensächliches beschränkte.

Das war umso bemerkenswerter, hatte doch Alexandria Ocasio-Cortez, die Lichtgestalt der jungen Linken in den Vereinigten Staaten, einmal angemerkt, sie kenne kein anderes Land, in dem Joe Biden und ihre Person in derselben Partei wären.

Aber jetzt ist es so weit: Mit der aktuellen Krise im Nahen Osten ist das Kapitel schönster Harmonie fürs Erste beendet. Angeführt von den Progressiven, verstärken prominente Demokraten den Druck auf Biden, dessen Einsatz für eine Waffenruhe zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas viele als halbherzig empfinden. 28 Senatoren verlangten in einem ebenso knappen wie klaren Statement einen sofortigen Stopp der bewaffneten Auseinandersetzungen, damit nicht noch mehr unschuldige Zivilisten in dem Konflikt mit ihrem Leben bezahlen müssten.

Initiiert wurde der Vorstoß von Jon Ossoff, einem 34-jährigen Senkrechtstarter aus Georgia, in dem gerade jüdische US-Amerikaner seiner Generation einen Hoffnungsträger mit großer Zukunft sehen.

Deutlichere Worte

Es lag wohl auch an der Mahnung aus den eigenen Reihen, dass Biden am Montag (Ortszeit USA) während eines Telefonats mit dem israelischen Premier Benjamin Netanjahu deutlichere Worte fand als zuvor. Der Präsident, so teilte das Weiße Haus hinterher mit, habe seiner Unterstützung für einen Waffenstillstand Ausdruck gegeben. Biden, so interpretiert Dennis Ross, ein altgedienter Nahostvermittler, die diplomatisch-sperrige Erklärung, habe Netanjahu auf subtile Weise zu verstehen gegeben: "Okay, ihr habt getan, was ihr tun musstet – und jetzt ist es an der Zeit, einen Weg aus der Krise zu finden."

Etlichen Parteifreunden des Staatschefs geht das nicht weit genug. Biden hätte Fristen setzen, er hätte eine Waffenruhe einfordern müssen, statt sie nur zu unterstützen, bemängeln sie.

Im UN-Sicherheitsrat verhinderten die USA am Montag zum dritten Mal in Folge eine Resolution, die zur Deeskalation aufgerufen hätte. Auch daran hat sich Streit entzündet, zumal die konstruktive Mitarbeit in multilateralen Institutionen gewissermaßen zur DNA der Demokraten gehört. Solidarität mit Israel ist auch für sie festes Prinzip. Amerikanische Juden geben ihnen traditionell den Vorzug vor den Republikanern, nach Schätzung von Experten mit Mehrheiten um die 70 Prozent.

Beim Wahlduell zwischen Biden und Donald Trump hat sich dies erneut bewahrheitet, obwohl sich Trump als besonders treuer Freund Israels in Szene gesetzt hatte, indem er etwa die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegt hatte.

Sanders' "Ausgewogenheit"

Die Sympathien für Israel ändern indes nichts an der Kritik, die mit jedem Tag, an dem der Schlagabtausch im Nahen Osten andauert, heftiger wird. Niemand behaupte, dass Israel nicht das Recht habe, sich zu verteidigen oder sein Volk zu schützen, schrieb Bernie Sanders, dessen Vater, ein aus Polen ausgewanderter Jude, fast alle seine Verwandten im Holocaust verlor, in der "New York Times". "Warum werden diese Worte dann Jahr für Jahr wiederholt? Und wieso wird so gut wie nie die Frage gestellt: Was sind die Rechte des palästinensischen Volkes?" Die Vereinigten Staaten, so der Senator aus Vermont, dürften nicht alles entschuldigen, was die rechtsgerichtete Regierung Netanjahus tue. "Wir müssen den Kurs ändern und einen ausgewogeneren Ansatz verfolgen."

Wenn Biden einem Alliierten nicht die Stirn biete, frage sie sich, wem er überhaupt die Stirn bieten könne, warf Alexandria Ocasio-Cortez polemisch angespitzt in die Debatte. "Apartheidstaaten sind keine Demokratien", hatte sie, auf Israel gemünzt, am Wochenende getwittert. Eine Provokation, die ihr prompt entschiedenen Widerspruch eintrug, auch aus der eigenen Partei.

Müsste er sich zwischen einer Terrororganisation wie der Hamas und einer verbündeten Demokratie entscheiden, bräuchte er nicht lange zu überlegen, konterte Ted Deutch, ein Kongressabgeordneter aus Florida: "Ich stehe hinter Israel." (Frank Herrmann aus Washington, 18.5.2021)