Nach dem erfolglosen Versuch einer Regierungsbildung nach den Wahlen am 4. April übernahm in Bulgarien durch Ernennung durch Präsident Rumen Radev eine Übergangsregierung die Verantwortung. Zum Regierungschef wurde der Verteidigungsexperte Stefan Janev ernannt. Er wird das Kabinett bis zu den Neuwahlen am 11. Juli führen. Der bisherige Premier Bojko Borissov, dessen klientelistische Partei GERB zwar die Wahlen gewann, aber einige Prozentpunkte verlor, ist angeschlagen. Unklar ist, ob er weiterhin die Partei führen wird.

Stefan Janev fungiert in Bulgarien als Interimspremier – aber nur bis zu Neuwahlen im rund zwei Monaten.
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Janev war zuletzt Berater von Präsident Radev und zuvor im Verteidigungsministerium tätig. Kulturminister wurde Velislav Minekov, einer der führenden Köpfe der Demonstrationen gegen Korruption und für mehr Rechtsstaatlichkeit im Vorjahr. Außenminister wurde Svetlan Stoev, der bisherige Botschafter in Schweden.

Expertenregierung im Gespräch

Der bulgarische Politologe Andrej Pamporov beschreibt die neue Regierung als klar in Richtung der EU ausgerichtet. In Bulgarien gibt es auch starke prorussische Strömungen, etwa die Sozialdemokraten. Zurzeit wird gerade untersucht, wie sehr die alte GERB-Regierung die Institutionen unterlaufen und gekapert hat. "Falls das nächste Parlament wieder keine neue Regierung ernennen kann, könnte die Übergangsregierung ein paar weitere Monate regieren", meint Pamporov zum STANDARD.

Debattiert wird aber auch, ob es vernünftig wäre, wenn für die nächsten Jahre ein Expertenkabinett gewählt würde – denn sowohl Borissovs GERB als auch die zweitgereihte Gruppierung mit dem ungewöhnlichen Namen "Es gibt so ein Volk" des Entertainers Slavi Trifunov haben bisher keine ausreichende Unterstützung von anderen Parteien. Das jetzige Kabinett gilt bereits als eine Art Expertenregierung.

Veto gegen Skopje bleibt

Die Übergangsregierung wird allerdings nicht das Veto gegen den Beginn von Beitrittsverhandlungen des Nachbarstaats Nordmazedonien aufheben. Die Regierung in Sofia blockiert die längst fälligen Gespräche (Nordmazedonien hat seit 2005 den Kandidatenstatus) wegen ihrer nationalistischen Geschichtsinterpretationen und Identitätspolitik gegenüber dem Nachbarland.

Außenminister Stoev verwies auf einen Beschluss des Parlaments aus dem Jahr 2019, wonach Nordmazedonien den Wünschen von Bulgarien in dieser Hinsicht nachgeben müsse. Der mazedonische Regierungschef Zoran Zaev rief die EU-Staaten auf, ihre Versprechungen zu erfüllen.

Seit Jahren wird Skopje der Beginn von Verhandlungen zugesagt. Nordmazedonien könnte laut Experten am schnellsten von allen sechs sogenannten Westbalkanstaaten der EU beitreten, weil die Reformen und die Übernahme des Rechtsbestands der EU am weitesten fortgeschritten sind. (Adelheid Wölfl, 19.5.2021)