Yusuf Demir gilt als Ausnahmetalent. 2020/21 spielte er 827 Ligaminuten für Rapid.

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Er wollte doch nur spielen. Er, das ist Yusuf Demir, 17-jähriger Offensivspieler bei Rapid. Die Fußballwelt ist sich einig: Der Youngster gehört zu den größten Talenten im heimischen Fußball. Uneinigkeit herrscht bei einem Thema, das sich durch die ganze Saison gezogen hat: Wie baut man einen jungen Spieler am besten in die Kampfmannschaft ein? Wie erkennt man überhaupt den Zeitpunkt, wann ein Talent bereit für den nächsten Schritt ist?

Bevor genauer auf Demirs Situation eingegangen wird, ein allgemeiner Überblick: Zwar bekamen Spieler, die zu Saisonbeginn jünger als 22 Jahre waren, in den 2010ern mehr Einsatzminuten als in den 2000ern. Der Anteil der 17-Jährigen betrug von 2011 bis 2020 aber trotzdem nur rund 0,8 Prozent der Gesamtspielzeit.

Sechs Talente, darunter Demir, haben in den vergangenen zehn Jahren laut transfermarkt.at ihr Profi-Debüt in der Bundesliga gefeiert, als sie das 17. Lebensjahr noch nicht abgeschlossen hatten. Auch das ist also die Ausnahme und passiert eher später – aus einem einfachen Grund: Der Sprung von den Akademien in die Bundesliga ist groß. Allein physisch: Ein Teenager hat gegenüber durchtrainierten Erwachsenen Nachteile. Der Wettkampf in der Bundesliga ist schneller und intensiver.

Viele Talente nehmen daher den Zwischenschritt über Amateur- oder Kooperationsteams in der Zweiten Liga. Sie bieten eine Bühne, auf der Talente ihre erste Erfahrung auf Erwachsenenniveau sammeln können. Salzburg-Sportdirektor Christoph Freund sagt: "Je früher junge Spieler auf diesem Niveau spielen, desto schneller entwickeln sie sich."

Vor allem auf Gebieten, die der Akademiebereich nicht abdecken könne, die man nur bei den Profis lerne: "Wie man gegen einen abgezockten, 30-jährigen Verteidiger spielen muss, wann man einen Freistoß schnell abspielt oder ein taktisches Foul macht. Hier reifen die Jungs zu Männern."

Abwägungsfrage

Mit 17 Jahren bereits Stammspieler in der Bundesliga zu sein sei daher schwierig, das gelinge nur Ausnahmetalenten. Hat ein Klub ein Talent in diesem Alter, steht er wöchentlich vor der Entscheidung, wie man es am besten einsetzt. In der U18 im Akademiebereich, beim Amateurteam oder eben in der Bundesliga? Um das zu entscheiden, beraten Akademietrainer, Amateur- und Profiverantwortliche wöchentlich, welches Niveau gerade für den jeweiligen Spieler am besten geeignet ist.

Für Martin Scherb, Leiter der ÖFB-Talenteförderung, geht es darum, dass Jugendliche gefordert werden. "Wenn ein junger Stürmer in der U18 alle Zweikämpfe gewinnt, ist das schön. Geht das aber über Monate so, werden seine Entwicklungsschritte kleiner." Dann sei es wichtig, gegen Ältere zu spielen. Dort sei er dann zwar körperlich unterlegen, aber müsse dadurch sein Spiel adaptieren und andere Lösungen finden, was ihm langfristig hilft.

Wichtig sei, dass dieser Schritt in die nächste Stufe vereinsintern begleitet wird, denn dauerhafte Überforderung bringe auch wenig. Aber: "Wenn es ihm oben schwerfällt, kann er bei seinem alten Team auch wieder Selbstvertrauen tanken. Dort wirken sich Fehler nicht so stark aus wie auf Profiniveau."

Ob ein Spieler nun bereit für die Profis ist, hängt von mehreren Faktoren ab und ist individuell zu betrachten. Für Freund gehört dazu, wie ein Talent mit Rückschlägen, etwa Auswechslungen, umgeht.

Für Scherb ist die Frage nicht messbar. Aber wenn ein Verteidiger etwa 90 Prozent der Zweikämpfe gewinne und nach vorn gute Lösungen finde, könne er bei den Älteren mittrainieren. Zoran Barisic, Rapids Sport-Geschäftsführer, sagt, dass auch das Verhalten in der Kabine, also wie sich jemand dort zurechtfinde, Aufschlüsse über die nötige Reife gebe.

Talent allein genügt nicht

Ernst Baumeister, jahrelang bei der Admira tätig, sagt, dass er oft Gespräche mit den Jüngsten führte. Talent reiche heutzutage nicht mehr, es brauche auch die richtige Einstellung. "18 ist ein gefährliches Alter", beschreibt Baumeister die Versuchungen wie Fortgehen – zumindest vor Corona.

Wenn es ein Talent in die Kampfmannschaft geschafft hat, ist die Frage, wie man es am besten integriert. Erste Bewährungsproben sind meist Kurzeinsätze. Werden diese gemeistert, winkt die Startelf.

Laut Baumeister dürfen junge Spieler nicht zu schnell fallen gelassen werden. "Wenn ein Spieler ein schlechtes Spiel macht, sollte man ihm trotzdem eine Chance im nächsten Spiel geben." Falls nicht, sollte man ihm erklären, warum es momentan nicht für einen Einsatz reiche. "Sonst fühlt sich das Talent allein und verloren."

Es muss also einiges zusammenpassen, ehe sich ein Youngster für die Bundesliga qualifiziert. Letztlich zählt auch das Leistungsprinzip. Oder, wie Barisic sagt: "Wir machen die Tür auf, durchgehen muss das Talent schon selbst." Demir ist durchgegangen. Er rückte zur Saison 2019/20 in den Profikader auf und feierte im Dezember 2019 sein Debüt für die Erste.

In dieser Saison kam der 17-Jährige regelmäßig zu Einsätzen und auf 827 Ligaminuten. 14 Teamkollegen standen länger auf dem Rasen als er. Stammspieler war er bisher also nicht, meist der Joker. Und manche fragen sich, warum, oder zumindest, warum er nicht ein paar Minuten mehr auf dem Konto hat. Immerhin gilt er doch als Ausnahmetalent.

Schwächen vs. Stärken

Scherb trainierte Demir einst als U15- und U17-Teamchef. Er ist mit der Entwicklung des Rohdiamanten zufrieden. "Wenn er reinkam, veränderte sich das Spiel", sagt er. Er hielt manch öffentliche Ansprüche an Demir für übertrieben. "Man darf keine Wunderdinge erwarten."

Auch jungen Spielern müsse Zeit zugestanden werden, sich in der Kampfmannschaft zu akklimatisieren. "Wenn ein Ausländer kommt, ist es völlig normal, dass er ein halbes Jahr Eingewöhnungszeit bekommt. Warum nicht auch ein 17-Jähriger?"

Barisic sieht das ähnlich. Er verweist darauf, dass Rapid als Vizemeister eine gute Saison gespielt habe. Es herrschte Konkurrenzkampf, "Fountas und Knasmüllner wollten auch spielen". Physisch hätte Demir mehr Spielzeit verkraftet, auch "wenn er noch nicht den Körper eines Erwachsenen hat".

Als seine Schwäche wurde immer wieder sein Spiel gegen den Ball genannt. Barisic sagte Anfang Mai: "Ich denke, ohne mit den Worten des Trainers zu sprechen, wenn Yusuf seine Aktivität und Aggressivität gegen den Ball verbessert, würde er zu mehr Einsätzen kommen."

Der Sportdirektor betont, dass der Verein mit Demir vor Jahren einen Karriereplan entworfen habe und dieser eingehalten worden sei – darin ging es auch um "Einsätze". "Dem Yusuf schaut jeder gern beim Fußballspielen zu", beschreibt Scherb dessen Offensivstärken. Der 17-Jährige ist dribbelstark, kann sich im Eins gegen Eins behaupten, vereint mit einer brillanten Technik.

Rapids Zwickmühle

Aber das Leben besteht nun einmal aus Abwägungen. Und Demirs Schwächen hätten seine offensive Genialität noch überwogen, kann man laut Barisic zusammenfassen. Warum der Youngster zumindest gegen tief stehende Gegner nicht mehr Minuten bekommen hat, will er nicht beantworten. "Da müssen Sie den Trainer fragen". Ebendieser, Didi Kühbauer, sagte zuletzt, dass zu dem Thema bereits alles gesagt sei. Oder Ende April: "Ich weiß, was Yusuf zum Stammspieler fehlt, werde es aber da nicht sagen."

Scherb versteht Rapids Zwickmühle. "Als ÖFB-Trainer wünsche ich mir, dass Yusuf so oft wie möglich spielt. Als ehemaliger Bundesligatrainer (Altach 2017) hätte ich es vielleicht genauso wie Didi gemacht." Man müsse Kühbauer die Kompetenz zuschreiben, dies zu beurteilen. "Yusuf ist unaufhaltbar. Rapid hat’s vor ihm gegeben und wird’s auch nach ihm geben."

Dieses Post-Demir-Rapid könnte bald Realität sein. Der Vertrag des Youngsters endet Mitte 2022. Verlängert er diesen nicht, kann der Klub nur noch in diesem Sommer eine hübsche Ablösesumme generieren. Das ist Barisic bewusst, "ich bin ja nicht ganz blöd". Natürlich habe Demir das Interesse von Klubs geweckt, aber der Sportchef möchte nicht in die Glaskugel schauen.

Häufigere Einsätze, um den Marktwert zu steigern, waren jedenfalls kein Thema. "Wir hätten Werbung und Marketing machen können und ihn ein Jahr jede Minute spielen lassen, um ihn teurer zu verkaufen. Oder wir bauen ihn vernünftig auf." (Andreas Gstaltmeyr, Michael Matzenberger, 25.5.2021)