Dass der Weltraum über weite Stecken kein geeignetes Medium besitzt, um Schall zu übertragen, bedeutet nicht, dass die Himmelskörper völlig lautlos ihr Dasein fristen. Sterne beispielsweise haben durchaus einen "Klang" – so zumindest bezeichnen Astronomen bestimmte Schwingungen der Sterne im Raum. Die stellare "Klangfarbe", die Frequenzen und Amplituden der Eigenschwingung, verrät einiges über die physischen Eigenarten der Sterne.

In Kombination mit Daten zur chemischen Zusammensetzung ist es einem Forscherteam nun gelungen, einige der ältesten Sterne in unserer Heimatgalaxie mit noch nie dagewesener Präzision zu datieren. Ein Teil dieser Sternenmethusalems war einst Teil einer deutlich kleineren Galaxie, die sich die frühe Milchstraße einverleibt hat. Die Ergebnisse deuten außerdem drauf hin, dass die Milchstraße bereits vor dieser Verschmelzung vor rund 10 Milliarden Jahren eine beträchtliche Sternenpopulation besessen hatte.

Sterndichtekarte der Milchstraße, erstellt mit dem StarHorse-Code unter Verwendung von Gaia-Daten. Auf der linken Seite ist das Gesichtsfeld des Kepler-Satelliten eingefügt. Die Punkte sind die APOGEE-Ziele im Kepler-Feld.
Foto: ESA-Gaia-DPAC, APOGEE-DR16, AIP/A. Queiroz & StarHorse Team

Außergalaktische Ursprünge

Aus Zusammensetzung, Lage und Bewegung können Astrophysiker wertvolle Informationen über den Ursprung und die Geschichte der Sterne gewinnen. Durch die Kombination präziser Beobachtungen der Esa-Weltraummission Gaia mit Daten der hochauflösenden spektroskopischen Durchmusterung APOGEE (Apache Point Observatory Galactic Evolution Experiment) erfuhren Forscher kürzlich etwas über die Herkunft einer bedeutenden Population von Sternen: Einst waren sie Teil einer Satellitengalaxie namens Gaia-Enceladus, die vor rund 10 Milliarden Jahren in das Gravitationsfeld der Milchstraße geriet.

Um zu verstehen, wie sich diese Verschmelzung auf unsere Galaxie ausgewirkt hat, bedarf es einer genauen Chronologie dieser Ereignisse in der frühen Geschichte der Milchstraße, die ein Forschungsteam unter der Leitung der University of Birmingham (UoB) und unter Beteiligung des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) nun vorgenommen hat. Dazu nutzten die Forscher eine relativ neue Methode namens Asteroseismologie. In dieser Disziplin werden Informationen aus einzelnen Schwingungsfrequenzen gewonnen (im Unterschied zu umfassenden, durchschnittlichen Eigenschaften des Schwingungsspektrums) Dies erlaubt es den Wissenschaftern, sehr präzise relative Alter abzuleiten.

Stellarer Resonanzkasten

Eine Analogie zu dieser Methode sind Musikinstrumente: Die Größe, Form und das Material verschiedener Instrumente bestimmen die Kombination und die relativen Amplituden und Phasen der verschiedenen Obertöne einer Frequenz – oder der Note – die unser Ohr erreichen. Diese sogenannte Klangfarbe erlaubt es uns, zwischen einem Cello und einer Posaune, zwischen einer Geige und einem Cello und für einige empfindliche Ohren auch zwischen einer Stradivari und einer modernen Geige zu unterscheiden.

Grafik: Ein Teil der stellaren Bevölkerung der Milchstraße ist außergalaktischen Ursprungs.
Grafik: L. Makereth/Asterochronometry Kollaboration/ AIP/K. Riebe

In ähnlicher Weise hängen die relativen Frequenzen und Amplituden der Eigenschwingungsformen der Sterne von den Eigenschaften des "stellaren Resonanzkastens" ab, d.h. vom Radius des Sterns und der Dichteverteilung in seinem Inneren. Beide Eigenschaften ändern sich mit der Entwicklung des Sterns, und so können mit Hilfe von Computermodellen, die wie unser Gehirn bei der Identifizierung des Musikinstruments wirken, das Alter der Sterne genau abgeschätzt werden.

Anhand der Frequenzen dieser Sterne, die mit Daten des Kepler-Satelliten in Kombination mit Gaia- und APOGEE-Daten ermittelt wurden, bestimmte das Team mit bisher unerreichter Präzision das relative Alter von etwa hundert roten Riesensternen. Einige dieser Sterne stammen aus Gaia-Enceladus und bilden einen Teil der Überreste der früh mit der Milchstraße verschmolzenen Zwerggalaxie.

Produktive junge Milchstraße

Die nun in "Nature Astronomy" veröffentlichten Ergebnisse zeigen, dass diese akkretierten Sterne ein ähnliches, aber etwas jüngeres Alter haben als die Mehrheit der an Ort und Stelle geborenen Sterne. Dies deutet darauf hin, dass die Milchstraße zum Zeitpunkt der Kollision, in den ersten Milliarden Jahren der Galaxienentstehung, bereits effizient Sterne gebildet hat, welche sich jetzt hauptsächlich in ihrer dicken Scheibe befinden. Das Team beabsichtigt nun, den neuen Ansatz auf größere Stichproben von Sternen anzuwenden und auch die subtileren Eigenschaften der Frequenzspektren einzubeziehen. Dies wird schließlich zu einem viel schärferen Blick auf die Verschmelzungsgeschichte und die Entstehung der Milchstraße führen: einer Art Zeitleiste der Entwicklung unserer Galaxie. (red, 24.5.2021)