Als der verlorene Sohn nach langer Abwesenheit in die Heimat zurückkehrte, wurde er dort laut Bibel voller Freude empfangen. So ähnlich erging es dem Stammgast, als er nach dem Lockdown wieder in seinem Lieblingskaffeehaus einkehrte. Endlich! Der erste Kaffee, der erste Griff nach der Zeitung – ein Stück langentbehrte Lebensqualität ist wieder da. Die Welt ist wieder in Ordnung.

Die Kellnermannschaft ist vollzählig zur Stelle, froh, dass die Zeit der Kurzarbeit mit wenig Geld und viel Langeweile vorbei ist. Auch die Stammgäste, berichtet der Ober, sind treu geblieben. "Wir sind für abends seit einer Woche ausgebucht." Also alles okay? Ob es wirklich so ist, wird sich erst nach einiger Zeit zeigen. Denn die Pandemie hat, ungeachtet aller Erleichterung über ihr vorläufiges Ende, Spuren hinterlassen. Alte Gewohnheiten wurden abgelegt, neue entwickelt.

So hat etwa mancher Kaffeehausgast in den letzten Monaten seine Lieblingszeitungen abonniert, statt diese, wie vorher gewohnt, im Lokal zu lesen.
Foto: imago/Arnulf Hettrich

So hat etwa mancher Kaffeehausgast in den letzten Monaten seine Lieblingszeitungen abonniert, statt diese, wie vorher gewohnt, im Lokal zu lesen. Zeitunglesen ist in Wien seit Generationen ein wichtiger Bestandteil der Kaffeehauskultur. Wird der alte Zustand wiederkehren? Oder wird auch hier der Vormarsch der Online-Kultur spürbar werden? Viele haben sich im Lockdown daran gewöhnt, ihre Informationen aus dem Internet zu beziehen. Bildschirm statt Print. Werden sie dabei bleiben?

Neue Sitten

Online-Konferenzen statt persönlicher Treffen, Homeoffice statt eines traditionellen Büros – auch das ist inzwischen für Millionen Angestellte zur Routine geworden. Alle freuen sich zwar, wenn sie ihre Kollegen und Kolleginnen wiedersehen, aber ganz verschwinden wird das Arbeiten von zu Hause aus wohl nicht. Die Arbeitgeber haben bemerkt, dass sie sich viel Geld ersparen, wenn ein Teil der Arbeit in den Wohnungen der Mitarbeiter abläuft statt in der Firmenzentrale, und auch mancher Angestellte ist ganz froh, wenn er sich wenigstens ein paarmal in der Woche den langen Anfahrtsweg zur Arbeit ersparen kann. Vom Wegfall teurer Dienstreisen zu Meetings und Konferenzen ganz zu schweigen.

Theater, Konzerthallen und Fußballstadien werden sich wohl bald wieder mit "echtem" Publikum füllen. Eine Premiere ohne Applaus ist für die Fans nur das halbe Erlebnis. Aber werden die Menschen auch wieder zu Vorträgen und Dichterlesungen strömen? Werden sie künftig lange Fahrten in Kauf nehmen? Wir sind faul geworden im Lockdown.

Und auch im privaten Alltag sind neue Sitten eingerissen. Take-away, in Österreich vor der Pandemie allenfalls "beim Chinesen" üblich, ist gängige Praxis geworden. Zahllose Lokale bieten jetzt Essen zum Abholen an, die Fahrradboten mit ihren bunten Spezialrucksäcken voller Speisencontainer gehören zum Straßenbild. Bis jetzt war es in Österreich guter Ton, dass man für Gäste selbst kocht. Aber mittlerweile ist auch manche brave Hausfrau auf den Geschmack gekommen, dass man sich die Kocherei auch sparen und ein feines Menü liefern lassen kann. Man muss den Gästen ja nicht sagen, dass der Tafelspitz vom Restaurant an der Ecke stammt, und kann sich ruhig für seine Kochkunst loben lassen.

Veränderungen kommen, aber sie kommen langsam. Vorderhand freuen sich der Österreicher und die Österreicherin, dass alles so ist "wie früher". Und bestellt beim Ober noch einen kleinen Braunen. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 19.5.2021)