Autor Mathieu Sapin im Reisestress eines teilnehmenden Beobachters.

Foto: Sapin/Reprodukt

Für seinen wunderbaren Comic Gérard – Fünf Jahre am Rockzipfel von Depardieu hing Mathieu Sapin fünf Jahre am Rockzipfel von Gérard Depardieu. Er begleitete den raumfüllenden Schauspieler durch alle Höhen und Tiefen. Er sah ihm beim Urassen, Völlern und in seinem sehr gern nur in Unterhose verbrachten Alltag zu. Kurz gesagt, Gérard ist als Mensch sehr viel, in gewisser Hinsicht stellt auch er eine Macht dar, der sich sein Umfeld aufgrund seines übergroßen Egos zu unterwerfen hat.

Beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron gestaltet sich so eine Arbeit als Embedded Comic Artist schwieriger. Wie Mathieu Sapin in seinem neuen Band Comédie Française – Reisen ins Vorzimmer der Macht nun schildert, mag der französische Staatschef zwar meistens glänzend aufgelegt sein. Sein Beruf vermag es offenbar, jede Zelle im präsidialen Körper glücklich zu machen. Immerhin durfte der Autor Macron zwischen 2017 und 2019 im Wahlkampf sowie auf Reisen begleiten.

Foto: Sapin/Reprodukt

Wie Sapin aber recht bald als Teil eines vielköpfigen Fußvolks und Beraterstabs herausfindet, wird das politische Tagesgeschehen neben akut aufpoppenden Problemen aber doch recht oft auch von elender Langeweile beherrscht. Vor allem die Entourage steht als Jasager und Einsager in ständigem Bereitschaftsdienst und wartet, durchaus vergleichbar mit einer Dauerschicht als Blaulichtsanitäter.

Honig ums Maul

Sapin konnte seine Rolle als Zaungast der Macht kurz mittels Innensichten von Sekretären oder PR-Beraterinnen brechen. Macron als Fan der in Frankreich unglaublich populären Comic-Kunst hatte das Buch über Depardieu gelesen und erlaubte Aufenthalte in seiner Nähe.

Bei einem ersten kurzen Treffen bekam Sapin dann nicht nur Honig ums Maul geschmiert. Er konnte sich auch gleich mit einem weiteren Charakteristikum eines immer eiligen Spitzenpolitikers vertraut machen. Politiker gehen so in ihrer Rolle als Verführer und Gebrauchtwagenverkäufer auf, dass sie am Ende selbst daran glauben, ihr Leben dem Dienst am Volk zu widmen. Sie sind beinahe heilig.

Sapins dieses Mal mehr dem stillen Humor als dem lauten Poltern gewidmetes Buch bekommt nun eine zweite Ebene. Der Zeichner, der sich selbst in seinen Büchern gern als schüchternes Männlein mit Kartoffelplutzer und nerdiger Zeichentasche darstellt, interessiert sich schnell mehr für die Macht an sich als die Person dahinter – und wie leicht verführbar Menschen sind, die Machtmenschen nahekommen.

Jupiter und die Revolution

Sapin beschäftigt sich parallel zur erhofften Zusammenkunft mit Macron mit der Biografie des französischen Dramatikers Jean Racine. Es ist der zweite große, parallel geführte Block des Buches. Racine wandte sich im 17. Jahrhundert aus ähnlichen Gründen wie Sapin von der Kunst ab und wurde zum willigen Chronisten des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Macron wird von Sapin auch zur Zeit der Gelbwestenproteste begleitet. Die Wutbürger setzen den Präsidenten gern mit dem "Sonnenkönig" gleich. Macron selbst bezeichnete sich damals gern (ironisch) als Jupiter. Die Französische Revolution konnte doch nicht alle Sehnsüchte nach altem imperialem Glanz ausmerzen.

Foto: Sapin/Reprodukt

Dafür bekommt Sapin von Macrons Ehefrau Brigitte einen Vortrag über Racine. Immerhin möchte Sapin mit dem bürgerlichen Präsidenten über alte sonnige Zeiten sprechen. Daraufhin taucht auf Brigittes Instagram-Konto ein Foto auf, das sie dabei zeigt, wie sie ihrem Mann mit Zeichnungen Mathieu Sapins eine wimst. Eine schließlich längere Begegnung mit Emmanuel Macron persönlich verläuft enttäuschend. Eigentlich möchte der nämlich nur die Telefonnummer von Gérard Depardieu haben. Kleine Tipps von Schauspieler zu Autoverkäufer können schließlich nie schaden. Vor allem wenn es sich um einen sogenannten Volksschauspieler handelt. (Christian Schachinger, 20.5.2021)