Wie zuvor Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (2011) und Bildungsministerin Annette Schavan (2013) trat auch Franziska Giffey wegen einer Plagiatsaffäre zurück.

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Es gibt vermutlich Regierungsmitglieder, die Angela Merkel lieber hätte ziehen lassen. Ein Schelm, wer dabei etwa an den deutschen Verkehrs- und Maut-Minister Andreas Scheuer (CSU) denkt.

Mit Franziska Giffey (SPD) konnte die deutsche Bundeskanzlerin gut, dementsprechend warm waren auch Merkels Abschiedsworte für die scheidende Familienministerin.

Sie nehme Giffeys Rücktritt "mit großem Respekt, aber auch mit ebenso großem Bedauern entgegen", sagte Merkel. Sie habe immer "sehr gut und vertrauensvoll" mit der Ministerin zusammengearbeitet, wofür sie ihr "von Herzen" danke.

Zuvor war Merkel von Giffey über ihren Rückzug informiert worden. Der Grund: Seit Jahren belastet eine Plagiatsaffäre die Berlinerin.

Sie hatte ihre Dissertation im Jahr 2010 an der Freien Universität mit dem Titel "Europas Weg zum Bürger – Die Politik der Europäischen Kommission zur Beteiligung der Zivilgesellschaft" verfasst. Anfang 2019 tauchten erste Plagiatsvorwürfe auf, woraufhin Giffey selbst eine Überprüfung ihrer Doktorarbeit beantragte.

Bewusste Täuschung wies Giffey zurück. Sie "habe diese Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verfasst", erklärte die heute 43-Jährige.

Diese erste Prüfung machte Giffey auch einen Strich durch die Karriereplanung. Nach dem Rücktritt von Andrea Nahles als SPD-Chefin im Juni 2019 suchte die SPD verzweifelt nach einer neuen Führung.

Nicht an die SPD-Spitze

Viele hätten sich Giffey gewünscht. Die Sozialdemokratin hatte sich vor ihrem Wechsel ins Familienministerium (2018) als Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln einen Namen gemacht. Sie vertrat damals schon die Meinung, Zuwanderung und Integration können nur funktionieren, wenn sich alle an Regeln halten.

Doch Giffey wollte wegen der schwelenden Plagiatsaffäre nicht für das Amt der SPD-Chefin kandidieren, die Führung der SPD übernahmen schließlich – nach einer Mitgliederbefragung – Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans.

Am 30. Oktober 2019 kam die Freie Universität nach ihrer Prüfung zum Schluss: Man müsse Giffey zwar eine Rüge erteilen, aber nicht den Doktortitel entziehen. Doch die Kritik – sowohl an Giffeys Werk als auch am Vorgehen der Uni – riss nicht ab.

Ein Jahr später, im Herbst 2020, nahm die Uni die Arbeit wieder ins Visier. Gleichzeitig erklärte Giffey, ihren Doktortitel nicht mehr führen zu wollen. Mittlerweile liegt das Ergebnis der neuerlichen Überprüfung vor. Laut dem Wirtschaftsmagazin Business Insider spricht sich die Prüfungskommission diesmal für einen Entzug des Titels aus.

Darauf deutet auch die Erklärung Giffeys vom Mittwoch hin. In dieser betont sie, dass sie selbst zwar noch bis Anfang Juni Zeit für eine Stellungnahme gegenüber der Uni habe, dass aber die Bundesregierung, die SPD und die Öffentlichkeit "schon jetzt Anspruch auf Klarheit und Verbindlichkeit" hätten. Deshalb trete sie zurück. Bis zur Wahl wird die deutsche Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) das Familienressort übernehmen.

"Det find ick jut"

Für einen kurzen Moment dachten viele, nun brauche auch die Berliner SPD eine neue Spitzenkandidatin für die Wahl zum Abgeordnetenhaus, die wie die Bundestagswahl am 26. September stattfindet.

Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) will nach sieben Jahren im Amt nicht mehr weitermachen, sondern in den Bundestag wechseln. Im April wählte die Berliner SPD daher Giffey zu ihrer Spitzenkandidatin. Sie soll die erste Berliner Bürgermeisterin werden.

Sie wolle die Stadt so gestalten, dass die Berlinerinnen und Berliner sagen könnten, "det find ick jut", sagte Giffey bei ihrer Wahl.

Dabei bleibt es auch. Denn Giffey ist weiterhin Spitzenkandidatin. "Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können sich auf mich verlassen", betont Giffey. Sie werde sich nun mit all ihrer Kraft auf den Berliner Wahlkampf konzentrieren.

Gut genug für Berlin?

Nicht gut genug für den Bund, aber für Berlin reicht’s – ob die Berliner das so "jut" finden, wie es sich Giffey vorstellt, wird sich erst noch zeigen. Die Landes-SPD jedenfalls steht zu Giffey, man ist dort der Meinung, im Berliner Wahlkampf seien andere Themen, beispielsweise Wohnen und Bildung, viel wichtiger als eine Titeldiskussion.

Volle Konzentration auf den Hauptstadtwahlkampf hingegen hat die SPD bitter nötig. Derzeit regiert sie mit Linken und Grünen, und sie würde natürlich auch nach der Wahl gern die Regierungschefin stellen. Doch in einer Civey-Umfrage liegen die Grünen mit 27 Prozent auf Platz eins. Die SPD kommt nur auf 16,9 Prozent. (Birgit Baumann aus Berlin, 19.5.2021)