Es darf in Österreich wieder quer durchs Land auswärts gegessen werden.

Foto: APA, Helmut Fohringer

Wien – Franz Schubert kommt vor lauter Reden kaum zum Trinken. An seinem ersten Caffè Latte hat er gerade einmal genippt, schon reicht ihm Herr Otto behände den zweiten. Seit acht Uhr früh sitzt der künstlerische Leiter des Cafés Korb in seinem Gastgarten an der Wiener Brandstätte und hält Hof. "Ich mache hier als Corona-Beauftragter den Kontrolleur", erläutert er, wirft routinierte Blicke auf Zutrittstests der Gäste und lehnt sich behaglich zurück in den Sessel. Überlebenswichtig sei das Ende der Sperrstunde in der Gastronomie, sagt er und bezieht sich dabei vor allem aufs seelische Wohl der Menschen.

Schubert, Dreitagebart, schwarze Brille, die weißen Haare zum Zopf gebunden, will mit den Wienern nicht über Freiheitsrechte polemisieren. Viele würden die Auflagen für den Genuss der Bewirtung eh gelassen nehmen. "Lieber so als gar nicht." Bedenken, dass seinen Leuten die Bürokratie bald über den Kopf wächst, hat er keine. "Wir halten es wie die Handwerker: Schau ma mal, dann werd ma schon sehen."

Ort der Geschichten

Bis auf den vorletzten Tisch besetzt ist das Künstlercafé im Herzen Wiens am ersten Tag nach dem Lockdown. Wobei sich für jeden ein Platzerl finden werde, ohne die amtlich verordneten Abstände zu verletzen, wie Schubert versichert. Sorge um die Zukunft des seit 1904 bestehenden Betriebs macht er sich nicht. "Wir sind aus den Kinderschuhen raus." Klar sei die Krise nicht lustig. Aber das Korb sei seit Generationen ein Ort der Kommunikation und der Geschichten. Die Wiener ließen es nicht im Stich.

"Schmetterlinge im Bauch"

Ein paar Ecken weiter, unter den Markisen des Schwarzen Kameels, rücken sich zwei junge Frauen für Selfies ins helle Licht. "Wir haben Schmetterlinge im Bauch", gestehen sie freimütig ein. Sich im erstbesten Lokal, das ihnen gefalle, spontan ein Frühstück zu gönnen und sich bedienen zu lassen löse Glücksgefühle aus. "Weinen könnten wir vor Rührung", sagen auch Mädels vor der Konditorei Aida nebenan und lachen. "Es klingt bescheuert, aber Menschen wieder aus dieser Höhe beobachten zu können hat was Bewegendes."

Im nahen Landtmann am Ring diskutiert Cafetier Berndt Querfeld mit Gästen über die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie. Dank zusätzlicher staatlicher Hilfen müsse er weniger privates Geld in seine Betriebe stecken als befürchtet, zieht er Bilanz. Dass von guten Geschäften keine Rede sei, wenn man in einem Jahr mehr als fünf Millionen Euro Umsatz verliere, liege für ihn aber auf der Hand.

"Erst das Ei, dann die Henne"

In Schönbrunn und bei der Hofburg hält Querfeld seine Lokale vorerst noch geschlossen. Diesen langsam neues Leben einzuhauchen und ihre Speisekarte abzuspecken spiele es nicht, das habe er in Zeiten von Corona gelernt. "Erst kommt das Ei, dann die Henne."

Seine übrige Gastronomie sei gut gebucht, wiewohl diese im Dienste gesunder Distanz nur noch halb so viele Sitzplätze biete. Allein der Gastgarten im Landtmann ist an diesem Mittwochvormittag spärlich besetzt. Wind bläht die Tischtücher auf. Querfeld reibt sich fröstelnd die Arme. "Ein Fiasko wäre es gewesen, hätte die Regierung bis Juni im kältesten Mai seit 25 Jahren nur die Schanigärten geöffnet."

Die Touristen fehlen, der Sommer werde wohl ein ruhigerer werden, meint Fuad Vojic, der das Restaurant Giorgina in der Schenkenstraße gemeinsam mit seiner Frau führt. Seine Mitarbeiterin verleiht den Fenstern noch schnell frischen Glanz, bevor das erste Mittagsgeschäft des Jahres beginnt. Der Gastgarten im Hinterhof ist geöffnet. Im Lokal stapeln sich Kartons mit Tests für die Gäste. Er freue sich sehr übers Aufsperren, sagt Vojic, von Hektik ist hier keine Spur. "Wir sind ein eingespieltes Team, jeder weiß, was er zu tun hat."

Zu wenig Personal zum Testen

Weit außerhalb der Innenstadt, entlang des Döblinger Gürtels, prüft Michael Nimler besorgt den Himmel auf Regenwolken. Der Geschäftsführer des Cafés Blaustern hat Abstände im Gastgarten ausgemessen, die Tische farblich markiert. Er halte die neuen Regeln, so gut es gehe, ein, "was genau auf uns zukommt, weiß jedoch keiner". In die Freude über den Neustart mischen sich Sorge über neue Auflagen und Angst vor so manch hitziger Debatte. Im Blaustern an Ort und Stelle testen lassen können sich Gäste wie in vielen anderen Wiener Restaurants nicht. "Es gibt rundum genügend Testmöglichkeiten", sagt Nimler. "Uns fehlt für diese Extraarbeit schlichtweg das Personal."

Auch Helmut Morbitzer, der am Alsergrund das Café Blue Orange führt, hofft, dass sich die Wiener anderswo testen lassen, um niemanden abweisen zu müssen. Er winkt Bekannten durchs Fenster zu, hüpft von einem Bein aufs andere, zupft an seiner Maske. "Wir sind alle alte Hasen, trotzdem bin ich nervös. Ich hoffe auf viel Stress, aufs Tratschen und Schmähführen, das lenkt ab." Vielleicht trage er die rosarote Brille, aber er sei zuversichtlich, dass seine Stammgäste zurückkehren. So viele hätten das Selberkochen und gelieferte Essen satt. Und so wichtig die Hauszustellung wurde, ein Freund der Botendienste auf zwei Rädern werde er nie.

"Stammgäste rausschmeißen?"

Vor einem Beisl in Wien-Landstraße feiern zwei ältere Herren das vorläufige Ende der gastronomischen Durststrecke mit Bier und Spritzwein. Die goldfarbenen Knöpfe auf der Jacke des einen scheinen frisch poliert. Sein schwarzer Zylinder auf dem Kopf und die bunten Federn im Ohr sind ebenso Blickfang wie das karierte Kapperl und der akkurat gezupfte Schnurrbart seines Gegenübers.

Er sei seit wenigen Tagen zum ersten Mal geimpft, getestet aber nicht, gibt Letzterer offen zu. Und er ist sich sicher, dass auch in anderen Wirtshäusern bei Kontrollen nicht so heiß gegessen wird wie gekocht. "Ein Kellner ist kein Beamter."

Gehobene Gastronomie stelle sich mit der Politik gut und werde die Vorschriften zumindest anfangs penibel achten, glaubt er und erinnert ans Schweizerhaus im Prater, das zum Rummelplatz der Politspitze wurde. "Ein kleiner Betrieb aber muss Umsatz machen. Wer kann es sich da erlauben, seine Stammgäste rauszuschmeißen?" Wie bei so vielen anderen Dingen werde sich wohl auch dafür eine österreichische Lösung finden. (Verena Kainrath, 20.5.2021)