Eigentlich hatte Google den Trend früh erkannt: Bereits im März 2014 stellte das Unternehmen die erste Version von Android Wear vor – und damit auch mehr als ein Jahr vor der ersten Apple Watch. Doch was folgte, war eine wenig rühmliche Geschichte: Den zeitlichen Vorsprung schnell verspielt, wurde das Smartwatch-Betriebssystem nicht zuletzt durch eine Reihe von begrenzt nachvollziehbaren Wendungen und eine halbherzige Betreuung durch Google in eine Nebenrolle gedrängt. Selbst in der Android-Welt wollten sich zuletzt immer weniger Firmen mit dem mittlerweile zu Wear OS umgetauften System herumschlagen. Entsprechend war das System von vielen Beobachtern geistig bereits auf den bekannt großen Friedhof gescheiterter Google-Dienste geschickt worden, während Apple den Smartwatch-Markt mit einem aktuellen Marktanteil von 40 Prozent ganz klar dominiert.

Neustart

Umso überraschender kam, was Google vor kurzem im Rahmen seiner Entwicklerkonferenz I/O verkündete. Eine grundlegende Überarbeitung der Software soll Wear OS nicht nur neues Leben einhauchen, man hat sich dafür auch einen Partner an Land geholt, der tatsächlich das Potenzial hat, Bewegung in den Markt zu bringen: Samsung – immerhin mit einem Marktanteil von 10 Prozent der weltweit zweitgrößte Hersteller in diesem Bereich – verabschiedet sich von seiner Eigenentwicklung Tizen und setzt künftig ebenfalls auf Wear OS. Und dann kommt noch ein weiterer bekannter Name dazu, auch wenn hier die Überraschung nicht gar so groß ist, ist Fitbit, doch mittlerweile ein Bestandteil der Google-Familie.

Kein Tizen unter dieser Nummer

Im Rahmen der I/O betonte Google mehrfach, dass die neue Wear-OS-Version in enger Kooperation mit Samsung entstanden ist. Wer daraus nun schließt, dass hier eine Art Hybrid aus Wear OS und Tizen entstanden ist, wird schnell auf den Boden der Realität zurückgeholt – scheint das Kernbetriebssystem nach den bisher vorliegenden Informationen doch weiter ganz in Android-Hand zu bleiben.

Die Kooperation von Samsung und Google soll vieles besser machen.
Foto: Google

Optimierungen

Allerdings habe Samsung bei der Optimierung der Software geholfen, betont Google in einem Vortrag auf der I/O. Davon sollen vor allem Performance und Akkulaufzeit profitieren. Der Softwarehersteller spricht in diesem Zusammenhang von um bis zu 30 Prozent schneller startenden Apps sowie von einer – zumindest auf neuer Hardware – durchgängig flink laufenden Oberfläche. Etwas, das bei aktuellen Wear-OS-Smartwatches ja jetzt auch nicht immer der Fall ist. Verbesserungen bei der Akkulaufzeit verspricht, dass die stromintensiven High-Performance-Kerne des Prozessors künftig dank diverser Optimierungen seltener zum Einsatz kommen. Ähnliches war übrigens gerade erst bei der Vorstellung der Android 12 Beta für Smartphones zu hören. Bevor hier ein falscher Eindruck entsteht, folgt gleich eine notwendige Klarstellung: Die kommender Wear-OS-Version nutzt noch Android 11 als Basis.

Google signalisiert dabei, dass durch all diese Maßnahmen die Laufzeit von Wear-OS-Smartwatches deutlich verlängert werden könnte. So spricht man davon, dass es künftig möglich sein soll, den Puls den gesamten Tag durchgängig zu erfassen, in der Nacht einen Schlaftracker zu betreiben und am nächsten Morgen noch immer genug Akku für den restlichen Tag zu haben.

Gesundheitsdienst

Wirklich greifbar wird der Einfluss von Samsung dann an anderer Stelle: Gemeinsam haben die beiden Unternehmen nämlich die neuen "Health Services" für Wear OS entwickelt. Dabei handelt es sich um keine neue App, sondern um einen neuen Systemdienst, der sämtliche Fitness- und Gesundheits-Tracking-Aufgaben zentral abwickeln soll. Will eine App also die Aktivitäten der Nutzer erfassen, muss sie den Umweg über die Health Services nehmen. Was zunächst nach zusätzlichem Overhead klingen mag, hat in der Praxis eine ganze Reihe von Vorteilen. So wird den Entwicklern einiges an Arbeit abgenommen, weil sie sich nicht mehr selbst um die Interpretation der Sensordaten kümmern müssen.

Was die neuen Health Services für Wear OS ändern.
Grafik: Google

Die wahren Vorteile sind aber auf Nutzerseite zu finden: Die Health Services sollen all diese Aufgaben nämlich deutlich effizienter vornehmen können, als es einzelne Fitness-Apps üblicherweise vermögen. Auch kann so das Geschehen auf der Smartwatch besser koordiniert werden, was sich wiederum positiv auf die Akkulaufzeit auswirken sollte. Und auch nicht ganz zu unterschätzen: Wird eine Aufzeichnung von einer Fitness-App initiiert, könnte dies dann auch in anderen Apps direkt zur Verfügung stehen. Der Aufgabenbereich solcher Programme verschiebt sich also weg vom Tracking hin zur Analyse und Empfehlung.

Neue Oberfläche, neuer Look

Dazu bringt das große Wear-OS-Update noch eine komplett neu gestaltete Oberfläche im Stile jenes "Material You"-Designs, das Google ebenfalls erst vorgestellt hat. Dies geht mit einigen funktionellen Verbesserungen einher. So soll künftig über einen Doppelklick auf einen Seitenknopf der Uhr zur vorherigen App zurückgekehrt werden können. Vor allem aber wird das Tiles API ausgebaut, mit dem Apps zentral auf der Uhr die wichtigsten Daten präsentieren können. Und auch nicht uninteressant: Samsung entwickelt einen eigenen Editor, mit dem es sehr einfach sein soll, individuelle Watchfaces für Wear OS zu erstellen.

Das neue UI im Überblick.

Apps

Die beste Plattform ist aber wenig, wenn es keine vernünftigen Apps dafür gibt. Doch auch in diesem Bereich gibt es derzeit deutliche Lebenszeichen. So kündigt Spotify eine neu gestaltete Version seiner App für Wear OS an, mit der dann Lieder endlich auch direkt an die Uhr gestreamt werden können. Adidas, Bitmoji und Strava versprechen ebenfalls grundlegend überarbeitete Apps. Vor allem aber nimmt Google selbst seine Plattform wieder ernst: So soll endlich eine Youtube-Music-App erscheinen, und dies auch gleich mit der Möglichkeit, Lieder auf der Uhr für die Offline-Nutzung zu speichern. Google Maps soll wiederum eine Navigationsfunktion direkt auf der Uhr erhalten, die in einer späteren Version dann auch ganz ohne Smartphone funktionieren soll. Vereinfacht soll zudem die Installation von Apps werden, indem diese direkt über den Play Store am Smartphone initiiert werden kann.

Fitbit statt Google Fit?

Doch noch einmal zurück zum Fitnessbereich, hier kommt nämlich dann der Einfluss von Fitbit zum Tragen – soll doch dessen App für entsprechende Aufgaben zum Einsatz kommen, also quasi oberhalb der erwähnten Health Services verwendet werden. Das ist logisch, wirft aber wiederum die Frage auf, was eigentlich aus Google Fit werden soll. Und wenn wir schon bei interessanten Fragen sind: Es würde sich natürlich auch anbieten, die Health Services auf Android-Smartphones anzubieten, davon ist bisher aber noch nicht die Rede.

Fitbit soll einen prominenten Platz erhalten.
Grafik: Google

Hardware

Nur in einem Nebensatz erwähnt Google einen Punkt, bei dem sich schnell der Verdacht aufdrängt, dass er der wahre Motivator für das Umdenken von Samsung sein könnte: Hardware. Konkret hat Google ja auf Fortschritte bei neuer Hardware verwiesen. Es ist schwer, das nicht als Seitenhieb auf Qualcomm zu verstehen, das seit Jahren notorisch unmotiviert an neuen Chips für Smartwatches arbeitet. Insofern könnte es durchaus sein, dass Google künftig Samsung-Chips für Wear-OS-Uhren favorisieren wird, was das südkoreanische Unternehmen wohl kaum stören dürfte.

Wer bekommt was

Was bedeutet all das nun für die betroffenen Smartwatches? Auf der Samsung-Seite ist die Angelegenheit klar: Die kommende Galaxy Watch 4 soll bereits mit Wear OS ausgeliefert werden, während bei älteren Smartwatches des Unternehmens Tizen bis an das jeweilige Supportende weiter gepflegt werden soll. Zu hoffen bleibt, dass Samsung dies mit der nötigen Ernsthaftigkeit betreibt und nicht bald einmal das Interesse verliert, was in solchen Fällen leider immer zu befürchten ist.

Auch andere kommenden Smartwatches werden wohl bereits vom Start weg mit der neuen Wear-OS-Generation ausgestattet sein – allen voran jene aus dem Hause Google selbst. Offiziell bestätigt wurde auf der I/O, dass Fitbit für seine Smartwatches künftig Wear OS verwenden wird. Nicht kommentieren will Google hingegen bisher die Existenz einer Pixel Watch, von der bereits vor einigen Wochen Bilder kursierten und die angeblich parallel zum Smartphone Pixel 6 im Herbst präsentiert werden soll. Und dann wäre da natürlich noch die Option, dass die erwähnte Fitbit-Uhr und die Pixel Watch ein und dasselbe Gerät sind. Immerhin verwendet Google für seine Hardware gerne teuer zugekaufte Markennamen – schlage nach bei "Nest".

Auch Google Maps soll aktualisiert werden.
Grafik: Google

Zeitplan

Welche Wear-OS-Smartwatches die neue Version erhalten sollen, ist hingegen derzeit noch ebenso unbekannt wie der generelle Veröffentlichungszeitpunkt des großen Updates. Dass dies noch einige Monate dauern dürfte, darauf verweist aber auch ein anderer Umstand – soll doch in den kommenden Wochen noch ein Zwischen-Update für Wear OS veröffentlicht werden, das sich vor allem auf kleinere Verbesserungen und neue Tiles konzentrieren soll.

Fazit

Egal wie dieses neue Abenteuer ausgeht: Gerade für Android-Nutzer sind all das hervorragende Nachrichten. Endlich gibt es wieder einen gemeinsamen Weg der zwei wichtigsten Firmen in diesem Bereich, noch dazu einen, der mit einer modernisierten Plattform sowie erneuertem Interesse bei App-Herstellern einhergeht. Das nährt die –sanfte – Hoffnung, dass Android-Nutzer vielleicht irgendwann nicht mehr neidvoll ins Apple-Universum blicken, wenn sie über Smartwatches sprechen. Nun müssen all die Beteiligten eigentlich nur mehr beweisen, dass sie die Erwartungen gerade in Hinblick auf Performance und Akkuleistung halten können. Und vielleicht auch noch eine konkurrenzfähige Hardware produzieren. Eine Kleinigkeit quasi. (Andreas Proschofsky, 20.5.2021)