"Es ist, was es ist", schreibt Erich Fried über die Liebe, und meist wird sie heute ganz ohne Romantik im Internet angeboten und gefunden – oder auch nicht. Nur manchmal schafft sie es doch noch, einen tief zu berühren, wenn man zum Beispiel Alfred (40) und Angelika (39) in Spital am Pyhrn besucht, tief in den Bergen gelegen, am Fuße des Bosrucks: Beide wurden mit Downsyndrom geboren. Sie kennen sich aus Kindertagen, die sie gemeinsam in der Sonderschule in Michldorf besuchten, woher Angelikas Mutter Edith stammt. Die kaufte das Gasthaus zur Post samt Hotel in Spital, als Angelika zwölf war, um ihrer Tochter ein Leben mit Kontakten zu möglichst vielen Menschen zu ermöglichen.

Pandemiebedingt steht das Hotel nun leer, aber der April, sagt Edith, wäre auch so der schwächste Monat gewesen. Da weht vom Pyhrn herunter immer ein steifer Wind. Und wenn andere längst draußen die Sonne genießen, dann muss man hier noch in der beheizten Gaststube sitzen.

2016 hat es zwischen Angelika und Alfred gefunkt. 2017 hielt er vor dem Christbaum in Lederhose um Angelikas Hand an.
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Dort warten Angelika und Alfred auf mich, die sich heute freigenommen haben. Alfred arbeitet seit zwanzig Jahren in einer Einrichtung von Jugend am Werk, und über die Jahre hinweg begleitete ihn auch dort ein Wunsch: "I wü ned allein sein!" Vor zwölf Jahren schließlich begann die Erfüllung seines Traumes Gestalt anzunehmen, als auch für Angelika, seiner Freundin aus Kindertagen, dort ein Platz frei wurde. Liebe auf den ersten Blick aber war es nicht, "weil zuerst war der Günther ihr Stern", erzählt Alfred von den Anfängen ihrer Liebe.

"Der Günther ist ein Stammgast", erzählt Edith, "den Angelika immer angeschwärmt hat, wie das halt so ist bei den jungen Leuten." Aber "Derwartn kannst du mehr als wie derrennen", umschreibt man in der Gegend den Spruch "Gut Ding braucht Weile". Und wo die Liebe hinfällt, da kann sie auch langsam wachsen. So hatte "der Günther" bald das Nachsehen, als Alfred seine Sommer mit Angelika zusammen im Freibad verbrachte, immer begleitet von Alfreds Mutter Paula. "Die Angelika schwimmt wie ein Haifisch", schwärmt er von ihr. Und wenn sie aus der Wasserrutsche heraus ins Becken sprang, dann stand er dort und fing sie auf.

Bussis in einer Tour

So kam es, erzählt Edith, dass es "2016 doch noch geschnackelt hat bei den beiden", als Alfreds großer Bruder Fritz ihr nämlich während eines gemeinsamen Besuches erzählte, dass Alfred immer von Angelika reden würde und er so verliebt in sie sei. Und dann sind sie an jenem Tag "auf einmal drüben im Frühstücksraum auf der Bank gelegen und haben sich Bussis gegeben", lacht sie. Und Alfred erzählt begeistert und ohne falsche Scham, wie es danach weiter ging mit ihnen beiden: "Eini samma ins Bett! Eini unter die Tuchent hat sie mich gerissen!" "Sie haben so herumgeteufelt", erzählt Edith, "dass gleich der Lattenrost durchgebrochen ist."

Seither sei Sex kein Tabu, sondern Selbstverständlichkeit zwischen den beiden Liebenden. Lange winterliche Stunden verbringen sie gemeinsam im großen Whirlpool des Hotels, auch mal mit Champagner und der Musik von Bergfeuer oder Gabalier im Hintergrund. "Sie können ihre Sexualität und Partnerschaft frei leben", sagt Edith, "denn beide sind erwachsen. Sie brauchen halt ein bisserl Unterstützung, aber eigentlich lass ich sie, und das gehört sich auch so. In der Öffentlichkeit, sage ich ihnen, sollen sie sich zurückhalten. Aber daheim, habe die Ehre! Bussis in einer Tour. Das kommt so tief von innen, weil jeder den anderen annimmt, wie er ist." Die viele Küsse, und wie sie miteinander umgingen, "da kriegt man fast einen Neid!"

Bussis in einer Tour und Blumen für Angelika. Alfred sei "so ein Gentleman", schwärmt Schwiegermutter Edith.
Foto: privat

"Er ist so ein Gentleman", schwärmt sie von ihrem Schwiegersohn in spe, der jedes Mal mit Blumen für seine Angelika ankam, als er noch nicht bei ihr wohnte. Oder er brach irgendwo einen schönen Zweig für sie ab auf dem Weg zu ihr. "Seine Eltern liebten sich sehr", erzählt Edith. "Sein Vater, der 2016 starb, schrieb sogar Briefchen für seine Mutter und legte sie ihr auf den Nachttisch." "Oder er hat ihr eine schöne Tulpe hingestellt!", erinnert sich Alfred, der seine "Guggi", wie er Angelika liebevoll nennt, nun genauso glücklich machen möchte wie sein Papa die Mama.

Zu Weihnachten 2017 hielt er vor dem Christbaum in Lederhose und Jagahemd um Angelikas Hand anhielt. Die Ringe waren organisiert, und seine Angebetete sagte Ja. "Das war so schön auch für uns Mamas", schwärmt Edith, "wir waren so glücklich, dass die beiden ihre große Liebe gefunden hatten, wer hätte das gedacht." Vor der geplanten Hochzeit aber erkrankte Alfreds Mutter an einem Gehirntumor, und vier Tage nach Weihnachen 2018 war sie tot. In der Trauer, erzählt Edith, hätte Angelika ihren Alfred wunderbar aufgefangen, "sie ist so eine starke Persönlichkeit."

"Ich liebe dich, Guggi"

Man könnte auch sagen: Die Liebe vertiefte sich. Und bald zog Alfred in eine eigene Wohnung hier im Gasthaus neben der von Angelika. Edith, die spät noch Jus studierte, klärte die rechtlichen Fragen. Beide sind besachwaltet, über seinen Wohnsitz aber durfte Alfred frei entscheiden. Der Pflegschaftsrichter schaute sich seine neuen Lebenssituation an und meinte: "Die beiden haben doch den Jackpot gezogen!"

Auch Edith nennt das Zusammenleben eine dreifache Win-Situation. Woher sie die Kraft nimmt? "Mir bleibt nix anderes übrig", sagt sie, die Angelika schon mit 19 bekam und diese seither alleine betreut. "Ich sag mal: 97 Prozent der Beziehungen von Eltern mit Kindern mit Beeinträchtigung scheitern", sagt sie. Edith arbeitet über die Landesgrenze hinweg im steirischen Bad Goisern und hat nun mehr Zeit für sich, da sie ihre Tochter in guten Händen weiß.

Alfred steht jeden Tag um halb sieben auf und geht zum Bäcker, um "Nussbrot, Kornspitz, Semmeln" für Angelika zu holen, auch Süßes mag sie gerne, "sie ist ja so eine süße Maus", schwärmt er. Selbst Bügeln und Staubsaugen übernimmt er im Haushalt. "Ich nehme ihnen nicht alles ab", sagt Edith, die ihrer Tochter immer alles ermöglicht bzw. sie nie von etwas ausgeschlossen hat: Kreuzfahrten im Mittelmeer, Reisen nach New York, Chicago, London, Paris, Kreta, Istanbul. Gyrocopter fliegen über die Weingärten bei Retz. Ein Höhepunkt für Musikfan Alfred war der Besuch bei Slavko Avsenik und den Original Oberkrainern in Begunje am Bleder See: "Wir wollten nach Opatja ans Meer, sind aber fünf Tage hängen geblieben."

Nun wird es Zeit für ein wenig "quality time" alleine, denn auch die beiden gönnen sich ihren Freiraum, wie in jeder guten Beziehung: Angelika will in ihren Kochbüchern blättern und Alfred seinen Spaziergang machen. Er sagt noch einmal: "Ich liebe dich, Guggi" und setzt sich die coolen Sonnenbrillen auf. Mit den Nordic-Walking-Stöcken macht er sich auf den Weg, "meistens singt er dabei", lacht Edith. Ganz sicher wird er mit einer Blume oder einem Zweig für Angelika zurückkommen. Und ganz sicher wird er heiraten, sobald das im Rahmen einer großen Gesellschaft möglich sein wird. (Manfred Rebhandl, 22.5.2021)