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Die Kriegsgefahr im Kaukasus steigt wieder.

Foto: REUTERS/Artem Mikryukov/File Photo

Aserbaidschan erhöht den Druck auf seinen Nachbarn Armenien: Nach Angaben des amtierenden armenischen Premiers Nikol Paschinjan halten sich rund 500 bis 600 aserbaidschanische Soldaten auf armenischem Territorium auf. Konkret geht es um die Grenzregionen Gekharkunik und Sjunik.

Gekharkunik grenzt im Osten an Aserbaidschan und im Südosten an die umstrittene Region Bergkarabach. Sjunik hingegen liegt im Süden Armeniens zwischen dem aserbaidschanischen Kernland und der Exklave Nachitschewan, zu der Baku unbedingt einen Korridor errichten will.

Im vergangenen Herbst hat sich Aserbaidschan im Krieg um Bergkarabach die Kontrolle über den Großteil der zwischen beiden Ländern umstrittenen Region gesichert. Nach dramatischen Verlusten und einem Fronteinbruch war die Führung in Eriwan dazu gezwungen, eine von Russland vermittelte Einigung zu unterzeichnen, die von vielen Armeniern als Kapitulationsurkunde gewertet wird.

Rückzug aus Bergkarabach

Der Waffenstillstand verpflichtete Eriwan zu einem schrittweisen Rückzug aus dem mehrheitlich von Armeniern bewohnten Bergkarabach. Lediglich eine kleine Kernregion um die Hauptstadt Stepanakert bleibt über einen Korridor mit dem Kernland verbunden. Eine russische Friedenstruppe soll die Einhaltung des Waffenstillstands überwachen. Auf der Gegenseite erhielt auch Aserbaidschan freien Zugang zu seiner Exklave Nachitschewan.

Aserbaidschans autoritär regierender Präsident Ilham Alijew erklärte im April die Schaffung eines Korridors durch die Region Sjunik nach Nachitschewan. "Wir werden diesen Korridor erzwingen, ob Armenien das will oder nicht", verkündete er. Notfalls auch mit Waffengewalt deutete er an. Seither haben die Spannungen zwischen den beiden Ländern wieder deutlich zugenommen.

Am 12. Mai teilte das armenische Verteidigungsministerium dann mit, dass aserbaidschanische Truppen unter dem Vorwand einer "Präzisierung der Grenzziehung" auf armenisches Gebiet marschiert seien. Seither versucht Eriwan mithilfe internationalen Drucks, die Soldaten wieder zu vertreiben. Paschinjan verhandelte in der Zeit mit Russland, Frankreich und den USA über mögliche Hilfen. Auf der Facebook-Seite des französischen Präsidents Emmanuel Macron erschien daraufhin auf Armenisch dessen Aufforderung an Baku, die Truppen zurückzuziehen.

Luftstreitkräfte aktiviert

Baku hingegen nannte die Reaktion Eriwans "überzogen". In der vergangenen Woche startete Aserbaidschan dann seinerseits vor diesem Hintergrund ein groß angelegtes Militärmanöver. Insgesamt 15.000 Soldaten, 300 gepanzerte Fahrzeuge und bis zu 400 Artilleriegeschütze wurden mobilisiert. Darüber hinaus aktivierte die aserbaidschanische Militärführung auch 50 Kampfflugzeuge und Drohnen, die sich im Bergkarabach-Konflikt als besonders effektiv erwiesen hatten.

Noch sind die Spannungen nicht über das Stadium von Drohungen und Provokationen hinausgekommen. Doch die Gefahr einer erneuten Eskalation ist groß: In Eriwan steht Premier Paschinjan massiv unter Druck. Nationalisten machen ihn für die Niederlage in Bergkarabach verantwortlich. Die Proteste versucht Paschinjan durch vorgezogene Neuwahlen im Juni zu entschärfen. Jede Zuspitzung der Lage spielt Nationalisten in die Hände, die auf eine Revanche setzen. (André Ballin aus Moskau, 21.5.2021)